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Online-Geschenke kommen auch in Würzburg an


Autor: Sabine Paulus

Würzburg, Sonntag, 04. November 2012

Die Online-Verschenk-Börse "Freecycle" hat in Würzburg etwa 100 Anhänger wie Andrea Schneider. Sie freut sich derzeit über ein Aquarium, für das sie keinen Cent bezahlen musste.
Andrea Schneider hat ihr großes Aquarium geschenkt bekommen - von einem Netzwerk-Freund, der sich auch mal gern was schenken lässt.  Foto: Sabine Paulus


Als Andrea Schneider folgendes Online-Inserat entdeckte, wusste sie gleich, dass sie am Ziel ihrer Suche ist. Vor dem Winter wollte die 47-jährige Würzburgerin ihren Goldfischen ein neues Quartier einrichten.

Sie schaut immer wieder mal im Netz bei ihrer Würzburger Freecycle-Gruppe nach, was es so Neues gibt. Und dann entdeckte sie es: ihr neues, altes Aquarium, zu verschenken von einem Gruppen-Mitglied, das es mit folgenden Worten beschrieb: "Hi, habe ein altes Aquarium zu verschenken! Maße: 120*50*50, wulstverklebt, Glas: 10 mm, Ablagerungen von Algen und sonst. Verunreinigungen vorhanden, an Kratzer im Glas kann ich mich nicht erinnern (Steht seit 2 Jahren im Keller), ist aber dicht! Es war mal eine Rückwand eingeklebt, daher Silikonreste, ca. 10-12 cm von der Rückwand entfernt. Falls es jemand haben will, muss es abgeholt werden! Standort Würzburg."

Andrea Schneider holte den Glasbehälter beim Inserenten ab und brachte das Gefäß in ihre Wohnung.


Jetzt kann sie sich mit dem Reinigen und Einrichten Zeit lassen. Sie ist froh, dass es so gut gelaufen ist. "Ich bin schon seit 2006 Mitglied von Freecycle und entdecke immer wieder mal etwas Interessantes", freut sie sich.
Die Online-Verschenk-Börse kann Lebenshilfe sein. Spannung und Freude kommen hinzu.



War ein Geburtstagsgeschenk völlig daneben? Ist nach einem Umzug Hausrat übrig? Fehlt in der Sammlung noch ein bestimmter Perry-Rhodan-Band?


Die "echte weltweite Bürgerinitiative", wie die Anhänger Free-cycle bezeichnen, kann das Gewünschte vielleicht bieten.
Sie ist im weltweiten Netz angesiedelt. Das "Verschenke-Netzwerk" funktioniert aber ohne Community-Funktionen wie bei Facebook & Co., es ist ein Forum. Wer mitmachen will, schickt dem Moderator eine Mail. Jedes Gesuch oder Angebot ist zeitgleich für alle zu sehen. Die Verwertungsbörse soll lokalen Charakter haben, was eine rege Tätigkeit der Mitglieder nicht verhindert: Mehr als 100 Inserate pro Monat sind es fast immer.

Ziel dieses sozialen Netzwerks ist nichts Geringeres als das Ende der Wegwerfgesellschaft.


Die erste Gruppe Deutschlands gründete sich 2004 in Frankfurt. Die Idee stammt aus Tucson, Arizona. Am 1. Mai 2003 gründete Deron Beal, Mitglied einer Hilfsorganisation in Tucson, eine Newsgroup bei Yahoo, mit der Absicht, dass Dinge, die in dem einen Haushalt überflüssig geworden sind, in einem anderen Haushalt weiter benutzt werden können. Das Ganze sollte absolut ohne Geld ablaufen.
Heute hat allein die ursprüngliche Freecycle-Gruppe in Tucson rund 10 000 Mitglieder, weltweit sind es zirka 4500 Gruppen mit fünf Millionen Mitgliedern.

Nach Deutschland brachte die Idee der Frankfurter Thomas Pradel, der das Projekt im April 2004 startete.


Um eine oder mehrere Gruppen kümmert sich ein Moderator. Petra Bergermann ist Moderatorin. Sie hat sich bei Thomas Pradel gemeldet, als er Leute suchte, die mitmachen. Seit Oktober 2006 ist Bergermann außer für die rund 100 Mitglieder starke Würzburger Gruppe für Nürnberg (350 Mitglieder) und Regensburg (rund 100 Mitglieder) zuständig.

"Ich finde die Idee von Freecycle einfach bestechend gut: Schenken und beschenkt werden, ohne jegliche finanzielle Verpflichtung", erklärt Bergermann den Grund, warum sie sich hier einsetzt.


Eine ihrer Aufgaben ist, Anfragen von Mitgliedern schnellstmöglich freizuschalten, meistens unverändert, selten leicht (sprachlich) modifiziert und ganz selten mit Rückfrage an den Absender. "In den meisten Fällen handelt es sich darum, dass das meist neue Mitglied sich missverständlich oder unfreundlich ausdrückte. Im Übrigen übe ich mein Amt so unauffällig wie möglich aus", sagt Bergermann. Und achtet darauf, dass die Regeln eingehalten werden.
Bei Freecycle werden funktionstüchtige Sachen verschenkt.

Jeder kann mitmachen, egal, wie viel er besitzt.


Niemand muss sich genieren. Die Nachrichten "Biete" oder "Suche" werden an alle Mitglieder der Freecycle-Newsgroup automatisch versandt. Teilnehmer, die sich angesprochen fühlen, nehmen mit dem Absender direkt Kontakt auf. Die Abwicklung vereinbaren die Partner dann untereinander.

Bettwäsche von anno dazumal


Die verschenkten oder gewünschten Dinge sind so verschieden wie die Menschen in der Freecycle-Gruppe. Die Liste reicht von PC und allem, was dazu gehört, bis zu Kinderkleidung und Kieselsteinen für die Gartengestaltung. Petra Bergermann erinnert sich an einige besonders bemerkenswerte Dinge bisher: eine Schreibmaschine für Blindenschrift, ein Bauwagen für ein Straßenfest oder ein WC-Aufsatz für das Toilettentraining eines Kleinkindes. Jemand verschenkte ein Klavier von 1902 sowie Barhocker, eine Heimorgel, Omas Bettwäsche-Schatzund komplette Anglerausrüstungen, zu groß gewordene Zimmerpflanzen - oder auch Aquarien wie das, welches sich Andrea Schneider schenken ließ.