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Olympics-Goldjunge aus Franken


Autor: Diana Fuchs

Würzburg, Donnerstag, 28. März 2019

Ein Franke holt bei den Special Olympics zweimal Gold: Stefan Weidners Freudentränen in Abu Dhabi, Dubai und daheim in Würzburg.
Hat Biss: Stefan Weidner Diana Fuchs


Er dreht auf. DJ Rumba-Finger aus Jamaika hat seinen Truck mit Sound- und Lichtanlage direkt am Eingang zu den Mainfränkischen Werkstätten in Würzburg, Ohmstraße, geparkt. Von hier aus schickt er seine Beats in die Menge. Und die wächst rasch auf ein paar hundert Leute an. Rollstuhlfahrer und Plakatträger, Fähnchenschwenker und fröhlich Schwofende - alle strahlen um die Wette, Vorfreude und Aufregung vermischen sich. Nach zwei Wochen in den Vereinigten Arabischen Emiraten soll gleich ihr Olympiasieger heimkehren - mit zwei Goldmedaillen!

In aller Herrgottsfrüh war Peter Estenfelder (Technischer Leiter der Mainfränkischen Werkstätten) zusammen mit Stefan Weidners Familie zum Frankfurter Flughafen gefahren. Dort landete das Flugzeug der deutschen Special-Olympics-Delegation. An Bord war einer der erfolgreichsten Athleten bei den Weltspielen für Menschen mit geistiger Behinderung: Stefan Weidner. Der 42-Jährige aus Ger-brunn bei Würzburg hatte zunächst in der Disziplin 1600 Meter Freiwasserschwimmen mit 26,18 Minuten die Goldmedaille geholt und stand ein paar Tage später mit der 4x100-Meter-Staffel erneut ganz oben auf dem Treppchen. Zudem holte er über 800 Meter Freistil einen vierten Platz.

Während Peter Estenfelder und Familie Weidner mit ihrem "Goldjungen" zurück nach Würzburg fahren, verwandelt sich der Hof der Mainfränkischen Werkstätten in eine Party-Meile. Deren Organisator Thorsten Dennerlein (Lagerist) hält per Handy Kontakt zu Peter Estenfelder und heizt die Stimmung in Würzburg an, indem er alle paar Minuten die aktuelle Position des Kleinbusses bekanntgibt. Und dann kommt der große Moment. Der Van fährt die Auffahrt hoch, jemand schreit: "Er kommt!", DJ Rumba-Finger dreht noch mehr auf: "Ein Hoch auf uns, auf dieses Leben, auf den Moment, der immer bleibt", dröhnt es aus den Boxen. Die Menge jubelt und schwenkt enthusiastisch selbst gemalte Fähnchen mit Aufschriften wie "Goldjunge", "WÜ love you" oder "Welcome back".

Stefan Weidner steigt mit sportlichem Schwung aus dem Wagen - und hält sich erst einmal die Hand vors Gesicht. "Unglaublich", lautet sein erster Kommentar wenige Augenblicke später. Niemand hat ihm etwas verraten, der Empfang vor den Mainfränkischen Werkstätten, wo er seit sechs Jahren in der Kabelmontage arbeitet, ist eine echte Überraschung.

"We are the Champions, my friends": Freddie Mercurys Worte hallen übers Areal, als Kollegen, Betreuer, Freunde, Christoph Deckert (Wohnheim-Leiter) und Dieter Körber (Geschäftsführer der Mainfränkischen Werkstätten) Stefan Weidner in die Arme schließen. Der 42-Jährige im "Germany"-Trikot ist sichtlich gerührt und lässt jeden, der möchte, die Goldmedaillen berühren, die an seinem Hals hängen. Er lächelt in unzählige Handy-Kameras und antwortet geduldig auf alle Fragen. Ja, heiß sei es in den Emiraten gewesen, und er habe Menschen "von überall her, aus Afrika, Australien und der ganzen Welt" getroffen. Viele andere Schwimmer hätten im gleichen Hotel gewohnt, der Team-Geist sei "echt toll" gewesen, ebenso wie die Atmosphäre bei den Wettkämpfen.

Und natürlich hoffe er, bei den Weltspielen 2023 in Berlin wieder dabeisein zu dürfen.

Auf die Frage, was sein schönstes Erlebnis war, nennt er nicht etwa die Medaillengewinne, sondern sagt: "Die Eröffnungsfeier. Die war wunderschön. Als die Fackel aufgeflammt ist, musste ich richtig heulen."

Stefans Schwester Anne Weidner nickt. Die 37-Jährige besuchte ihren Bruder bei der Olympiade. Ihr Fazit: "Ich bin froh, dass ich ihm so nah sein konnte, vor allem beim Freiwasserschwimmen. Er trainiert ja normalerweise mit unserem Vater im Gerbrunner Hallenbad. Für ihn war es das erste Freiwasserschwimmen im Meer." Stefan Weidner hatte auch in der Vergangenheit schon vielfach sportliche Erfolge gefeiert, unter anderem beim Iron-Man-Triathlon in Roth. "Aber solche Gänsehaut wie bei den Special Olympics hatte ich noch nie", berichtet seine Schwester Anne. "Stefan war nach seinem Erfolg total geflashed. Es war herzzerreißend schön, das zu erleben."

Anne Weidner würde gerne auch vielen anderen behinderten Sportlern ähnliche Erlebnisse ermöglichen. "Stefan ist ein gutes Beispiel dafür, dass Menschen mit geistiger Behinderung vieles schaffen können." Die 37-Jährige wünscht sich, dass alle sportlichen Behinderten nach ihren Möglichkeiten gefördert werden. "Hier braucht es Engagement von Unterstützern. Denn nicht alle haben wie Stefan das Glück, eine sportbegeisterte Familie zu haben, die einen fördert."

Alle freuen sich mit

Betreuerin Sonja Müller sieht das ähnlich. Der sportliche Erfolg gebe Bestätigung und Selbstvertrauen. "Ich finde es total bedauerlich, dass die Special Olympics oft - zum Beispiel auch im Fernsehen - so stiefmütterlich behandelt werden. Dabei sind die Wettkämpfe mindestens so ergreifend wie die der 'normalen' Olympiade."

Für den Empfang daheim gilt das auf jeden Fall auch. Während Stefan im Bad der Menge deutlich langsamer vorankommt als im Schwimmbecken und im Meer, wartet am Rand geduldig eine Rollstuhlfahrerin. Sie heiße Sandra, sagt sie, und arbeite mit Stefan zusammen. Er sei ein ganz lieber Kerl und es sei super, ihm jetzt gleich gratulieren zu können. "Ich glaube", sagt sie, "ich habe vorhin Freudentränen in seinen Augen gesehen."

Technischer Leiter Peter Estenfelder erfährt auf andere Art, wie gerne sein Schützling wieder in Würzburg angekommen ist. Estenfelder hätte ihm zur Regeneration ein paar Tage Sonderurlaub eingeräumt. Aber Stefan Weidner sagt nur: "Nein, nein. Ich war lang genug weg. Jetzt freu' ich mich wieder auf die Arbeit!"

INFO: Die "Special Olympics World Summer Games 2019" für Menschen mit geistiger oder Mehrfach-Behinderung fanden vom 14. bis 21. März in den Vereinigten Arabischen Emiraten statt. Abu Dhabi und Dubai waren Schauplatz für Wettbewerbe in 25 Sportarten. Das Team "Special Olympics Deutschland" war mit 163 Athleten bei den Spielen vertreten, drei davon aus Franken. Insgesamt maßen sich 7.000 Athleten in 25 Sportarten.