Druckartikel: Mit sozialen Kontakten gegen Demenz

Mit sozialen Kontakten gegen Demenz


Autor: Ralf Dieter

Kitzingen, Montag, 04. November 2013

Die Zahl der Demenzerkrankten steigt und steigt. Was hilft den Patienten? Decken vielleicht? Ganz so einfach ist es natürlich nicht. Aber die Aktion der Arbeiterwohlfahrt, Ortsverband Kitzingen, kann einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass sich Demenzerkrankte besser fühlen.
Sandra Lussert hilft einer Demenzkranken beim Anlegen des Kleiderschutzes. Mit 22 Plätzen ist die gerontopsychiatrische Abteilung voll belegt.


Stefanie Gassner ist seit 18 Jahren im Wilhelm-Hoegner-Haus in der Kitzinger Siedlung beschäftigt. Sie hat die Gerontopsychiatrische Abteilung geleitet, ist seit Oktober letzten Jahres Pflegedienstleiterin. Gassner weiß, was Demenzerkrankte brauchen - und was die Angehörigen leisten können.

Etwa jeder Dritte Deutsche über 90 ist von einer Demenzerkrankung betroffen. Bis zum Jahr 2050 wird die Zahl von etwa 1,4 Millionen auf drei Millionen steigen, prognostiziert die Deutsche Alzheimer Gesellschaft. Das Wilhelm-Hoegner-Haus hält derzeit 74 Pflegeplätze vor. 22 Patienten sind in der so genannten "Geronto" untergebracht. Die Abteilung im zweiten Stock ist geschlossen.

Wer eintritt, fühlt sich aber keineswegs wie in einem Gefängnis - eher wie in einer großen Wohngemeinschaft.

Sandra Lussert räumt gerade das Geschirr auf einen fahrbaren Wagen und singt dabei "Ein bisschen Spaß muss sein" von Roberto Blanco. Die Musik läuft dezent im Hintergrund und ist eine von mehreren Möglichkeiten, die Bewohner an ihre Kindheit und Jugend zu erinnern. Die Flure sind mit Mustertapeten bestückt, Bilder vom alten Kitzingen oder von Reklame der 50er Jahre hängen an den Wänden.

Lussert ist die Wohnbereichs-assistentin der "Geronto". Während sie den Tisch deckt, streichelt ein Pfleger einer Patientin sanft über die Hand und erhält als Dank einen Kuss auf die Wange.

"Es ist wichtig, ein heimeliges Gefühl bei den Bewohnern zu schaffen", sagt Stefanie Gassner. Dann kommen Gefühle und Verhaltensmuster wieder zu Tage, die längst eingeschlafen schienen. Denn das hat die Pflegedienstleiterin über die Jahre gelernt: Das kindliche Verhalten kommt in der Demenz wieder zum Vorschein. "Wer als Kind viel Zuneigung gebraucht hat, der braucht sie auch in dieser Phase", erklärt sie. Und wer als Kind viel geschrien hat, um Aufmerksamkeit zu erlangen, der schreit auch häufiger als Demenzkranker. Es sei denn, er erhält die nötige Zuneigung.

Jedem einzelnen Bewohner der "Geronto" die Aufmerksamkeit zu schenken, die er oder sie gerade braucht: Das ist die tägliche Herausforderung der Fachkräfte vor Ort. Gassner berichtet von einer Patientin, die mit einer Fixierung eingezogen ist und regelmäßig Psychopharmaka benötigte. "Sie hat kaum gesprochen, sich zurückgezogen." Wie sich herausstellte, war ihre Mutter früh verstorben. "Sie wollte eigentlich nur kurz gedrückt werden", erinnert sich Gassner. "Immer, wenn jemand an ihr vorbei gelaufen ist, hat sie die Hand ausgestreckt."

Diese Wertschätzung versuchen die Pfleger jedem einzelnen Patienten zu geben. Mit sichtbarem Erfolg. Fixierungen gibt es laut Gassner nur noch in Ausnahmefällen, Psychopharmaka werden kaum mehr verabreicht. "Deshalb sind die Gespräche mit den Angehörigen ja so wichtig", sagt sie. "Damit wir etwas über die Kindheit und Jugend unserer Patienten erfahren."

Vergesslichkeit im Alter ist ganz normal. Sobald aber die örtliche Orientierung verloren geht, wird es gefährlich. Spätestens dann müssen sich die Angehörigen mit dem Gedanken vertraut machen, dass ihr Vater, ihre Mutter oder ihr Partner Demenz hat. "Die Patienten wissen lange, wer sie sind", versichert Gassner. "Aber oft erkennen sie ihre Angehörigen nicht mehr." Dann kann es passieren, dass der Vater oder die Mutter einfach weggeht, wenn das Kind zu Besuch kommt oder jemand ganz anderen in ihm oder in ihr zu erkennen glaubt. "Am besten ist es, wenn man sich von der persönlichen Ebene loslösen kann", sagt Gassner, wohlwissend, dass dies alles andere als einfach ist. Wer es schafft, in diesen Augenblicken sich auf die Situation des Angehörigen einzulassen, der könne richtig schöne Momente erleben und das Zusammensein trotz der Krankheit genießen.

Die Zahl der Menschen, die an Demenz erkranken, wird in Zukunft eher wachsen als abnehmen. Diese Menschen brauchen nicht zuletzt eine Gesellschaft, die sie so akzeptieren, wie sie sind, fordert die Vorsitzende der Deutschen Alzheimergesellschaft, Heike von Lützau-Hohlbein. Der integrative Gedanke ist auch Stefanie Gassner wichtig. Früher waren auch Heimbewohner in der "Geronto" untergebracht, die nicht an Demenz erkrankt waren - auf freiwilliger Basis. "Das gemeinsame Essen und Kommunizieren und Lachen hat geholfen", erinnert sich die Pflegedienstleiterin. Heute sind alle 22 Plätze von Demenzkranken belegt.

Den Angehörigen rät sie, die Patienten ruhig mitzunehmen, wenn es in der Familie etwas zu feiern gibt. Der Kontakt zu anderen Menschen verzögert nach ihrer Beobachtung das Fortschreiten der Krankheit. Decken, wie sie von Michael und Helga Meier und all den Freiwilligen Helfern von der AWO gestrickt werden, können durchaus eine zusätzliche Hilfe sein. Weil sie mit Knöpfen, Borten, Reißverschlüssen und vielem mehr verziert werden und die Demenzkranken an ihre Kindheitstage erinnern.


Info


Die Arbeiterwohlfahrt Kitzingen, Ortsverband Kitzingen, hat an zwei Terminen mit Freiwilligen mehr als 40 Decken gefertigt. Jede Decke hat 16 einzelne Felder, die verziert sind und bei Demenzerkrankten Erinnerungen hervorrufen sollen. Die Decken werden kurz vor Weihnachten kostenlos an Altenheime abgegeben. Auch Privatpersonen können sich bei den Initiatoren Helga und Michael Meier melden, Tel. 09321/32609 oder 0160/96050600. Das nächste Treffen findet am 4. Januar, von 14 bis 17 Uhr, im Haus Margarethe in der Buchbrunner Straße 7b statt.





































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