Marshall-Heights spaltet Kitzinger Stadtrat
Autor: Diana Fuchs
Kitzingen, Freitag, 12. April 2013
Die Bürger sollen gefragt werden. Allerdings nicht im Sinn der "Yes, we can"-Initiative. Sondern mittels Ratsbegehren.
Äußerlich blieben sie ruhig. Falls sie sich ärgerten, ließen Renate Haass, Jutta Heinlein und Klaus Christof (KIK) sich das am Donnerstagabend kaum anmerken. Dennoch: Der Ausgang der Kitzinger Stadtratssitzung war ganz und gar nicht nach ihrem Geschmack.
Haass und Heinlein, die Initiatorinnen des Bürgerbegehrens "Yes, we can" zur Wahrung des Erstzugriffsrechts auf die Marshall-Heights, hatten mit Unterstützung der Kommunalen Initiative Kitzingen (KIK) 1480 gültige Bürger-Unterschriften gesammelt. Ihr Ziel: Die Stadt sollte den Wohnraum in der früheren US-Wohnsiedlung weitestgehend erhalten, deshalb ihr Vorkaufsrecht nutzen und die 700 Wohneinheiten später weiterveräußern, wobei die neuen Besitzer größtmögliche gestalterische Freiheit haben sollten. Doch zum Bürgerentscheid im Sinn der Initiative wird es nun wohl nicht kommen.
40 Zuschauer wurden Zeugen einer emotionsgeladenen Sitzung. Am Ende stand fest: Die Bürger sollen zwar zur Zukunft der früheren US-Wohnsiedlung "Marshall-Heights" befragt werden - aber nicht so, wie die Initiative Marshall-Heights das wollte. Denn: Die knappe Mehrheit von 15:14 Stadträten bewertete das Bürgerbegehren der Initiative als nicht zulässig.
Haass, Heinlein & Co. bleibt noch der Klageweg. Ob sie diesen beschreiten, ist noch offen. Haass sagte gestern auf Anfrage: "Wir warten erst mal den Bescheid von der Stadt ab und sind sehr gespannt auf dessen Begründung. Dann befragen wir eventuell Verwaltungsjuristen."
Nervenaufreibend
Nach nervenaufreibenden Stunden gab die Ratsmehrheit (18:11) grünes Licht für einen Eilantrag, den 14 Räte aus den Reihen der CSU, SPD, ödp, zwei UsW-Räte und der parteilose 2. Bürgermeister Werner May gemeinsam gestellt hatten. Sie möchten ebenfalls die Bürger befragen, aber - im Gegensatz zu Haass und Heinlein - keinesfalls das Erstzugriffsrecht wahrnehmen, sondern sich am öffentlichen Bieterverfahren beteiligen und höchstens Teile des Areals selbst erwerben, "für Wohnen und nichtstörendes Gewerbe".
Rechtsrätin Susanne Schmöger hatte die juristische Lage detailliert dargelegt - auch in Bezug auf das Bürgerbegehren der Haass-Heinlein-KIK-Initiative. Zwar sah die Rechtsrätin "gewisse Schwächen" im Wortlaut, insgesamt sei das Bürgerbegehren aber zulässig.
Schmöger betonte jedoch auch, dass selbst ein erfolgreiches Bürgerbegehren "keine Entscheidung über den Kauf der Fläche" bedeute. Das Bürgerbegehren sei im juristischen Sinn vollzogen, sobald die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) das Kitzinger Nutzungskonzept bezüglich der Marshall-Heights erhalten habe. Bei den folgenden Preisverhandlungen sei der Stadtrat "wieder komplett frei".
Was das Begehren dann überhaupt bringe, fragte Stadt entwicklungsreferent Thomas Rank (CSU). Es sei doch wohl "absurd", die Bürger zu befragen, wenn letztendlich ja doch alles am Preis hänge.
Schmögers Antwort war deutlich: Ein Bürgerbegehren sei ein demokratisches Element unseres Rechtsstaates; und dieser werte die Fragen nicht. Er unterscheide auch nicht zwischen sinnvollen, ungeschickten oder gar blöden Fragen.
"Yes, we can - pleite gehen"
"Es gibt einen besseren Weg", stellte Andreas Moser (CSU) fest und Dr. Brigitte Endres-Paul (SPD) betonte, man habe großen Respekt vor den Bürgern, die das Begehren unterschrieben haben, aber eine "vernünftige Entwicklung" sei nur durch den Eilantrag aus den Ratsreihen gewährleistet. Plakativ ergänzte die SPD-Fraktions-Chefin das Motto der KIK-Initiative: "Yes, we can - pleite gehen!"
Dies brachte Jutta Wallrapp (FBW-FW) in Rage; sie widersprach heftig. KIK-Chef Klaus Christof bohrte in alten Wunden: Jahrelang seien eigenständige Gedanken der Stadtverwaltung zur Entwicklung des Geländes unterblieben, nur die KIK und die Initiative seien aktiv geworden. Trotz seiner Worte war nach der 14:15-Abstimmung klar: Das Begehren ist erstmal vom Tisch.
Was nun? "Wir wollen eine nachhaltige Entwicklung des Wohnraums in der gesamten Stadt", konstatierte Jens Pauluhn (ödp). Er erinnerte an die Stadtratsentscheidung von Anfang März, als eine 19:9-Mehrheit gegen das Erstzugriffsrecht votiert hatte und für eine stadtverträgliche Nutzung der Marshall-Heights-Wohnungen. Genau das sei das Ziel des Eilantrags aus den Ratsreihen. "Am Entscheidungsprozess wollen wir die Bürger beteiligen."
Thomas Rank fügte hinzu: "Wir, die Unterzeichner, halten die Zielrichtung des Bürgerbegehrens für richtig, dort oben eine Entwicklung anzustoßen - aber keinesfalls über das Erstzugriffsrecht!" Letzteres triebe den Preis unnötig in die Höhe.
Oberbürgermeister Siegfried Müller (UsW) bestätigte das: "Wer von Vornherein den größtmöglichen Erhalt der Wohnungen als Ziel vorgibt, hat einen wesentlich höheren Kaufpreis zu erwarten als bei einer Teilnutzung." Es sei wichtig, das Ergebnis der aktuellen Wohnraum-Analyse für ganz Kitzingen ins Nutzungskonzept einzubeziehen und dann "wie alle anderen Bieter ein Angebot abzugeben".
Karl-Heinz Schmidt (UsW) widersprach scharf. Kitzingen werde keine Zeit für Konzepte haben, denn die BImA werde das Bieterverfahren "schnellstmöglich" einleiten. "Bis wir Hunger kriegen, haben die anderen die Wurst schon gegessen", warnte auch Jutta Wallrapp.
Deren Wurst war 18 Räten jedoch wurscht. Sie stimmten für das Ratsbegehren, elf Räte waren dagegen. Wann die Bürger befragt werden, ist noch unklar. Ein Begehren, das aus dem Rat heraus initiiert wird, ist nicht an die üblichen Fristen gebunden, erklärte Rechtsrätin Schmöger.
Kampflos aufgeben wird Renate Haass wohl nicht. Zwar wahrte sie gestern die Contenance, zeigte aber zumindest ein bisschen Frust: "Bürgerbegehren, Ratsbegehren: Man kann das den Leuten doch gar nicht mehr vermitteln." Haass: "Die Stadt versinkt im Chaos."
WORTLAUT DES RATSBEGEHRENS
Sind Sie dafür, dass...
- Teile der ehemaligen US-Wohnsiedlung Marshall-Heights in Kitzingen als Standort für Wohnen und nichtstörendes Gewerbe, stadtverträglich zur Gesamtstadt, erhalten bleiben,
-die Stadt Kitzingen sich am öffentlichen Bieterverfahren zum Erwerb von Teilen der ehemaligen US-Wohnsiedlung Marshall-Heights beteiligt
-und die nicht benötigten Flächen in der ehemaligen US-Wohnsiedlung Marshall-Heights der Natur zurückgegeben werden?
Der Kommentar von Diana Fuchs
E s gibt auch Gutes zu berichten. Zum Beispiel: Die Sonne kommt durch, rechtzeitig zum Kitzinger Frühling. Und: Keiner der Kitzinger Stadträte hat den Sitzungssaal vorzeitig verlassen. Anders als in Prichsenstadt. Dort gab es einen derartigen Zwist, dass der Bürgermeister und einige seiner Räte nicht mehr im selben Raum bleiben wollten wie der Rest. So schlimm kam es in der Großen Kreisstadt nicht. Immerhin.
Der Wahlkampf läuft, die Krallen werden ausgefahren, sichtbar, aber vor allem auch hinter den Kulissen. Um Interessen durchzusetzen, ergeben sich interessante Machtkonstellationen. Eine hauchdünne Mehrheit schaffte es, das Bürgerbegehren der "Yes, we can"-Initiative von Jutta Heinlein, Renate Haass und der Kommunalen Initiative Kitzingen (KIK) zu kippen. Stattdessen gab´s grünes Licht für ein Ratsbegehren. Die Bürger sollen also trotzdem gefragt werden, wie sie sich die Zukunft der Ex-US-Siedlung wünschen - nur die Fragestellung ist eine andere.
Rund 30 000 Euro kostet es etwa, in Kitzingen einen Bürgerentscheid abzuhalten. Gut angelegtes Geld, wenn der Entscheid die Stadt voranbringt. Basisdemokratie ist wichtig. Aber wer ganz ehrlich ist, der muss zugeben: Im Fall Marshall-Heights wird letztendlich einfach nur der Preis entscheiden. Mit oder ohne Bürgerbefragung.