Manisch, aber nicht depressiv

2 Min

Wenn er sich von Verkehrsteilnehmern bedroht fühlt, rastet ein 42-Jähriger aus und bedroht die Fahrer. Schuldfähig ist er trotz schwerer Vergehen nicht. Grund ist eine psychische Störung. Vor Gericht bedauert der Angeklagte die Vorfälle.

Es sind Szenen wie in einem Hollywood-Film: Nach einem klassischen Überholmanöver setzt der soeben überholte Fahrer zum Gegenangriff an, überholt seinerseits den vermeintlichen "Aggressor" und steigt danach voll in die Eisen. Der nun hinter ihm fahrende Verkehrsteilnehmer hat Mühe, einen Auffahrunfall zu vermeiden. Bevor der auf diese Weise unsanft zum Stillstand gezwungene Fahrer aussteigen und den Verkehrsrowdy vor ihm zur Rede stellen kann, ist der bereits ausgestiegen, donnert ihm die Faust auf die Motorhaube und droht ihm Schläge oder gar Mord an. "Ich werde dich töten", musste sich ein derart ruppig erlegter Fahrer in die Windschutzscheibe schreien lassen. Da bleibt man dann gerne im Wagen sitzen und verriegelt die Fahrertür von innen. Nach einem Tritt gegen den Spiegel, der sich damit vom Fahrzeug verabschiedet, ist die Wut des Verkehrssünders verraucht und er zieht von dannen.


Mehrfach aggressiv im Verkehr

Zwei im Ablauf ziemlich identische Fälle ereigneten sich im März letzten Jahres in Kitzingen und Markt Einersheim. Der Täter war stets derselbe: ein zur Tatzeit 42-jähriger Lkw-Fahrer. Und es waren nicht die ersten Vergehen dieser Art. Fünf Einträge listet das Bundeszentralregister zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung am 22. Mai im Kitzinger Amtsgericht über den Angeklagten auf. Nötigung, Beleidigung, Bedrohung, Körperverletzung und Gefährdung des Straßenverkehrs finden sich im Sündenregister. Neun Einträge primär wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen und gefährlicher Überholmanöver verzeichnet außerdem noch das Verkehrszentralregister.

Bewusstseinsverschiebung

Schwere Vergehen, doch sie blieben stets ohne Folgen. Alle Anklagen wurden aufgrund der Schuldunfähigkeit des Angeklagten eingestellt. Einzig der Führerschein wurde im August letzten Jahres eingezogen. So lagen die Karten auch diesmal bezüglich der aktuell zu verhandelnden Anklagepunkte klar auf dem Tisch. "Es tut mir leid", gestand der Angeklagte, der höflich und freundlich auf die Vorwürfe antwortete. "Ich kann mir das alles nicht erklären". Von einer Bewusstseinsverschiebung berichtete er und vom Gefühl, sich selbst durch das vorangegangene Überholmanöver bedroht zu fühlen. "Der will mir was Böses", käme ihm stets ins Bewusstsein. Plötzlich laufe ein Programm ab, das der Angeklagte selbst nicht mehr steuern könne.

Seltene Form der Manie

Eine "gereizte Manie" bescheinigte der Würzburger Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Detlef Blocher, der als Sachverständiger in dem Fall zugezogen wurde, dem Angeklagten in einem ärztlichen Gutachten. Der Mediziner betonte allerdings die Besonderheit des Falles. "Diese Krankheit verläuft wellenförmig. Nach jedem Hoch kommt auch der Absturz in ein Tief, in eine Depression", so Dr. Blocher. "Bei ihm aber fehlen die Tiefs." Nur fünf Prozent aller manisch Erkrankten hätten diese Besonderheit.

Blocher wies auf die immensen Folgen der Erkrankung hin. "Eine freiwillige Therapie gibt es bei den Manikern nicht", erklärte der Mediziner. Aus diesem Grund hätten der Onkel und die geschiedene Frau des Angeklagten, mit der er einen kleinen Sohn habe, eine Betreuungsvollmacht. Zweimal war der Angeklagte dank dieser Konstruktion bereits in das "Krankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin" nach Werneck eingeliefert worden.

Seit seiner Entlassung, berichtete der Angeklagte, habe er alles unternommen, was nötig sei, um die Ausbrüche einzudämmen: Er nehme täglich Medikamente, lasse seine Blutwerte regelmäßig kontrollieren, gehe monatlich zur Psychologin und in eine Selbsthilfegruppe.

Seinen Job als Lkw-Fahrer habe er infolge des Entzugs der Fahrerlaubnis verloren. "Den wird er definitiv auch nie mehr wiederbekommen", versicherte der Psychiater. Auch wenn er noch nie aggressiv mit einem Lkw in Erscheinung getreten sei, so sei doch das Gefährdungspotenzial mit einem Zwölftonner weitaus höher als mit dem eigenen Auto. "Hinsichtlich des Führens eines Pkw sind die Richtlinien wesentlich weicher gefasst", erklärte der Sachverständige. Große Hoffnungen auf die Wiedererlangung der Fahrerlaubnis zumindest für Pkw machte der Mediziner in seinem Gutachten eher nicht. "Die Wiederholungsgefahr liegt bei hundert Prozent."

Eine Sperrfrist von vier Jahren forderte die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer. Die Verteidigung verwies dagegen auf das "engmaschige Netz", das der Angeklagte zu seiner Sicherheit geknüpft hatte. Verschiedene Indikatoren würden Alarm schlagen, wenn sich eine manische Phase ankündigt. Dieser Einschätzung schloss sich weitestgehend auch das Gericht an. Eine Sperrfrist von 15 Monaten, wovon neun bereits verstrichen waren, sei angemessen. Danach müsse die Fahrerlaubnisbehörde, im aktuellen Fall das Landratsamt Kitzingen, die Erteilung der Fahrerlaubnis für das Führen von Pkw prüfen. Der Angeklagte nahm das Urteil bereitwillig an.