Mallorcas Sternekoch Josef Sauerschell über seine Wurzeln im Steigerwald
Autor: Alice Natter
Großgressingen, Freitag, 12. März 2021
Seit 20 Jahren erhält sein Gourmetrestaurant vom Guide Michelin einen Stern. Jetzt erzählt der Spitzenkoch aus Ebrach, welche Rolle seine Mutter für seine Kochkunst spielt.
Es ist die Küche der Kindheit. Beim Sternekoch aus Spanien kamen in den vergangenen Wochen fränkische Bratwürste auf den Tisch. Und Schäufele mit Sauerkraut oder Feldkohlrabi mit Gelbwurst. Oder – ein Lieblingsessen! – gefüllte Ente mit Rotkohl und Klößen, "wie es die Mutter gemacht hat". Und der Chef des Sternerestaurants Es Racó d'es Teix auf Mallorca musste einmal mehr lachen, dass ihm die Kartoffelsuppe wieder nicht so gelang wie zeitlebens der Mutter. Bei ihr seien in der sämigen Suppe immer noch so kleine feine Kartoffelstückchen drin gewesen, sagt der Sternekoch. Doch so oft er ihr am Herd auch zugeschaut hatte – "das bekomme ich bis heute nicht hin".
Josef Sauerschell hat die Wintermonate über im Steigerwald, in Ebrach, verbracht. Im November hatten der mallorquinische Spitzenkoch und seine Frau Leonor Payeras ihr Sternerestaurant im Dörfchen Deià geschlossen. Nicht wegen Corona, sondern wie immer im Winter. Wegen der Heimat, des Elternhauses im Ebracher Flecken Großgressingen, wegen der Familie, der alten Freunde, der Bratwürste und Klöße. Und . . . wegen des Waldes, den der 65-jährige Unterfranke auf der spanischen Insel vermisst. "Es gibt wirklich nichts Schöneres als kilometerweit im Wald laufen zu können."
Karriere-Stationen: Brenners Park Hotel, Le Canard, Le Beau Rivage Palace, El Olivo
Seit 36 Jahren kocht Sauerschell auf Mallorca. Als einer der Ersten brachte er – nach Stationen in namhaften Häusern wie "Brenners Park Hotel" in Baden-Baden, dem "Le Canard" in Hamburg oder dem "Le Beau Rivage Palace" in Lausanne – Gourmetküche auf die Insel. Im "El Olivo" des Luxushotels "La Residencia" in Deià erhielt er als Vorreiter vor 30 Jahren seinen ersten Stern. Als er im Heimatdorf seiner Frau dann im Jahr 2000 sein eigenes Restaurant eröffnete, waren die Tester des Guide Michelin erneut sofort angetan von Sauerschells mediterranen Speisen mit mallorquinischer Note. Und sind es seitdem Jahr für Jahr.
Lammzunge, Artischockenrahmsuppe, Seehecht mit Hummersauce
Auf Sauerschells Karte: Lammzunge mit Pilzrisotto, Carpaccio vom Rind mit Manchegokäse oder Artischockenrahmsuppe mit roter Paprika, gegrillt. Dann Gemüse und Pilze in Blätterteig, Iberisches Schwein mit Paprika oder Seehecht mit Hummersauce. Die Küche des Franken gilt als klassisch, authentisch, vor allem regional. Der Fisch schmeckt nach Mittelmeer, das Lammfleisch nach den Tramuntanabergen. Für Sauerschell ist es selbstverständlich, dass er auch Hirn und Nieren für seine Gerichte verwendet, Lachs räucherte er schon vor 40 Jahren selbst. "Einfach und gut", nennt er seine Küche.
"Schickimicki liegt mir nicht", sagt Sauerschell. Dass die jungen Spitzenköche heute ihre Kreationen mit der Pinzette anrichten? Der Ebracher verdreht die Augen. "Bei mir bekommen Sie ein Stück Karotte, bei mir können Sie Bohnen essen." Glück, das bedeute für ihn heute, dienstags auf den Markt zu gehen. Und sich anregen zu lassen vom frischen Fisch, den Muscheln, den Gemüsebergen und Früchtetürmen. Dass er auf den Tellern später alles malerisch anrichtet, kunstvoll arrangiert und – nach Perfektion strebend – die Karotten und Bohnen dann neben Hummer und Jakobsmuschel auch optisch was hermachen? "Beim Servieren soll den Lebensmitteln Ehre erwiesen werden", sagt Sauerschell nur. "Sie sind Geschenke der Natur, entsprechend sollten wir sie behandeln."
Das Wichtigste: "Dass alles frisch ist!" So wie früher, im Elternhaus. Da wuchs das Gemüse im Garten, was man aus der Erde zog, wurde gleich verkocht. Aus dem Beet in den Topf, vom Topf auf den Tisch. Kaum war die Gurke geerntet, "gab es Gurkensalat". Die Küche der Mutter, die Kindheit in Großgressingen zwischen Obstbäumen, Backofen, Esstisch – sie stehen denn auch am Anfang des Buches, das Josef Sauerschell jetzt geschrieben hat. Nach drei Jahrzehnten mit Stern war er von Stammgästen, den drei Töchtern, dem Verlag gebeten und gedrängt worden, doch endlich seine Geschichte aufzuschreiben, von seiner Kochkunst, seiner Karriere und seinen Rezepten zu erzählen.
"Ohne sie wäre ich nicht Koch geworden", sagt der 65-Jährige über seine Mutter, die in diesem Januar – 91-jährig – gestorben ist. Sechs Jungen und zwei Mädchen waren sie zu Hause. Als Zweitältester half Josef früh der Mutter. Blumengießen, Gemüse heranziehen, Tisch decken, alle 14 Tage Teig kneten und große Brote backen, beim Eintopf-Kochen und Kartoffelschälen zuschauen. Mit ihrer Alltagsroutine habe die Mutter seine Liebe zum Kochen geweckt. Und nicht nur wegen ihrer Kartoffelsuppe mit den feinen Stückelchen oder ihren Kuchen sei sie noch mit 90 – "da ist sich die ganze Familie einig" – die beste Köchin gewesen: "Ginge es nach uns, hätte sie nicht ein oder zwei, sondern drei Michelin-Sterne", sagt der unterfränkisch-mallorquinische Gourmetküchen-Pionier. "Sie ist das prägende gastronomische Vorbild in meinem Leben, davon bin ich hundertprozentig überzeugt."