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„Wir haben alle Verantwortung“


Autor: Ralf Dieter

Kitzingen, Montag, 28. Mai 2018

Johannes Oerding gehört zu den angesagtesten deutschsprachigen Pop-Künstlern. Am Freitag, 13. Juli, wird er beim Open-Air-Festival auf dem ehemaligen Landesgartenschaugelände in Kitzingen spielen.
Johannes Oerding: „Nicht nur mit Gefühlen beschäftigen.“


Johannes Oerding gehört zu den angesagtesten deutschsprachigen Pop-Künstlern. Am Freitag, 13. Juli, wird er beim Open-Air-Festival auf dem ehemaligen Landesgartenschaugelände in Kitzingen spielen. Ein Gespräch über treue Fans, den Spaß an Live-Auftritten und die gesellschaftliche Verantwortung von Musikern.

Haben Sie schon mal irgendwas von Kitzingen gehört?

Oerding: Darf ich ganz ehrlich sein? Das ist absolutes Neuland für mich. Aber das ist ja das Schöne an dieser Sommertournee. Wir bespielen fast ausschließlich kleine und mittelgroße Städte.

Und da bleibt auch Zeit, um sich etwas umzuschauen?

Oerding: Das kommt auf den Anreisemodus an. Manchmal reisen wir einen Tag vorher an, aber meistens am gleichen Tag.

Klingt stressig.

Oerding: Ist es auch. Wir spielen 60 Konzerte in diesem Sommer, an den langen Wochenenden vier Tage am Stück.

Nach 60 Konzerten ist man dann auch froh, wenn es wieder vorbei ist?

Oerding: Nicht unbedingt. Ich bin Gott sei Dank belastbar und so eine Tournee ist für mich eine Belohnung. Aber es stimmt schon: Vier Konzerte am Stück schlauchen. Zumal daheim ja auch Arbeit ansteht: Koffer auspacken, Wäsche waschen, die nächste Reise vorbereiten.

Man stellt sich das Leben auf Tour viel aufregender vor.

Oerding: Jeden Tag Rock'n' Roll und hoch die Tassen? (lacht) Das ist zumindest seltener geworden. Geht ja auch gar nicht bei dem Pensum. Musiker zu sein, ist mittlerweile ein full-time-Job. Mit den Tournee als Highlight.

Sie haben vor 35 000 Zuschauern am Timmendorfer Strand gespielt. Ist man da zwei Stunden lang voller Adrenalin?

Oerding: Ich erinnere mich gerne an dieses Konzert. Wir waren in diesen Zeiten noch vorwiegend als Vorband unterwegs. An dem Tag gab es eine Doppelbuchung des Haupt-Acts und wir durften zwei Stunden lang spielen. Danach habe ich gewusst, dass es geht.

War das so etwas wie die große Chance, die vielleicht nie wieder kommt?

Oerding: Mir war schon klar, dass das eine einmalige Chance ist, sehr viele Menschen zu überzeugen. So ein Auftritt kann eine Art Beschleuniger sein, der einen zügiger ans Ziel bringt. Und so war es ja auch. Radiosender und TV-Stationen waren vor Ort. Das hat Türen geöffnet.

Welche Ziele haben Sie sich gesetzt?

Oerding: Als Jugendlicher wollte ich vor vielen Leuten auf der Bühne stehen. Ich wollte, dass die Fans meine Lieder mitsingen. Dann wollte ich eine eigene Tour, Alben aufnehmen, im Radio und im Fernsehen auftreten. Das habe ich alles erreicht.

Das heißt: Keine Ziele mehr?

Oerding: Doch, ich nehme mir immer wieder neue Dinge vor. Schlecht wäre allerdings so etwas wie ein Endziel. Weil danach nichts mehr kommen könnte.

Ein anderer Beruf als Musiker ist für Sie wohl gar nicht vorstellbar?

Oerding: Überhaupt nicht. Nach der Schule war es mir noch nicht klar, dass ich den Beruf tatsächlich ausleben könnte. Dann habe ich von der verbotenen Frucht gekostet und schnell war mir klar: Ich brauche keinen Plan B.

Ist es nicht anstrengend, immer wieder neue Lieder zu komponieren? Neue Texte zu finden?

Oerding: Es ist ein kreativer Prozess. Ich gehe da eher intuitiv ran, weniger handwerklich. Ich bin kürzlich auf einen Song von Reinhard Mey gestoßen, der hat mich inspiriert. Ich muss in mich selbst reinhören können, herausfinden, was gerade interessant ist, was raus muss.

Und dafür brauchen Sie ruhige Momente?

Oerding: Klar, während einer Tour bin ich nicht so zugänglich für kreative Arbeit. Während einer Schreibphase mache ich mir viel mehr Gedanken, da fahre ich auch mal ganz gezielt alleine weg. Ich liebe das Schanzenviertel in St. Pauli, wo ich lebe. Aber zum Songschreiben muss ich auch mal raus.

Früher gab es nur ein paar vereinzelte erfolgreiche deutschsprachige Musiker. Das hat sich verändert. Warum?

Oerding: Das haben wir sicher auch den deutschen Radios zu verdanken, die uns spielen. So bekommen die Zuhörer wieder ein Gefühl für deutsche Lieder. Die Musikszene war ja eine ganze Zeit lang von der englischen Sprache geprägt.

Die deutschen Zuhörer mussten erst wieder lernen, dass sich ihre eigene Sprache auch für Pop-Musik eignet?

Oerding: Ich denke schon. Das heißt aber nicht zwangsläufig, dass alles gut ist, was wir hören. Alle kopieren Texte und Rhythmen voneinander, keiner ist mehr Vorreiter. Das ist eine gefährliche Entwicklung. Ich sehe schon die Gefahr einer Reizüberflutung durch deutsche Musik und das kann inflationär werden. Da ist ja auch viel Schrott dabei.

Sie befürchten einen Abwärtstrend?

Oerding: Ich sehe eine zyklische Bewegung. In zehn Jahren kann es mit diesem Trend durchaus vorbei sein.

Sie haben von Schrott gesprochen. Kollegah und Farid Bang sind heuer mit dem Echo geehrt worden. Obwohl Sie teils judenfeindliche Textpassagen in ihren Liedern haben. Meinten Sie das mit Schrott?

Oerding: Es gab schon immer provokative Kunst und Musik, gerade im Hip Hop. Ich sehe das mehr als gesellschaftliches Problem. Es scheint da keine Grenzen mehr zu geben, keinen Anstand. Ich will mich nicht mit dem Phänomen „Gangsta Rap“ befassen. Ich bin ein Verfechter davon, dass wir als Musiker alle Verantwortung haben. Wir erreichen sehr viele Menschen.

Das Publikum entscheidet durch sein Kauf- und Hörverhalten ja auch, wer für einen Musikpreis in Frage kommt?

Oerding: Genau. Und das ist das eigentlich Schlimme. Das ist es, was ich mit dem gesellschaftlichen Problem gemeint habe. Insbesondere der Hip Hop war und ist ja ein Stück weit ein echter Spiegel der Gesellschaft, betont und besingt die prekären Verhältnisse. Die Frage lautet doch: Wie kann das so einen Anklang finden? Warum gibt es so eine Gewaltbereitschaft? So eine Frustration?

Wenn Musik so einen Einfluss hat, kann man ja auch etwas gegen diese Entwicklung tun. Dagegen ansingen. Oder ist das zu naiv gedacht?

Oerding: Überhaupt nicht. Das machen auch viele. Campino ist da so etwas wie eine Gallionsfigur. Ich sehe aber tatsächlich einen Auftrag auch für Pop-Künstler, sich mehr mit diesen Dingen zu befassen. Auch mal Lieder über diese gesellschaftlichen Themen zu schreiben und sich nicht nur mit Gefühlen zu beschäftigen.

Es ist sicher schwieriger, über die Vernichtung der Juden im Zweiten Weltkrieg zu texten als über die Liebe zu einer Frau?

Oerding: Das ist so. Man will mit seiner Musik den Hörern ja auch nicht weh tun. Das ist ein schmaler Grat. Aber es gibt sicher die Möglichkeit, auf wichtige gesellschaftliche Themen hinzuweisen, ohne den Zeigefinger zu heben.

Wie ist das mit Ihnen?

Oerding: Ich habe auf meinem neuen Album „Kreise“ den Titel „Weiße Tauben“ mit Sami Deluxe eingesungen. Da geht es um Krieg und Frieden. Aber das sind halt Songs, die im Radio nicht so gut funktionieren. Die Crux ist: Irgendwie sind wir Musiker davon abhängig, dass wir gespielt und gehört werden. Einerseits ist es wichtig, Texte mit Tiefgang und Aussage zu singen, auf der anderen Seite will man auch Hits landen. Das ist so.

Sie fühlen aber schon so etwas wie eine Verantwortung, die man als Musiker hat?

Oerding: Sicher. Ich war auf Tour mit Udo Lindenberg und Peter Maffay. Zwei Menschen, die seit Jahrzehnten eine klare Haltung vertreten, für Offenheit stehen. Ihre Fans verinnerlichen diese Haltung. Ich bin ein Freund davon, das Publikum auch mal anzupieksen, auf Missstände aufmerksam zu machen. Und klar: Ich will keine hasserfüllten Menschen auf meinen Konzerten.

Udo Lindenberg und Peter Maffay gehören zu den wenigen Künstlern, die tatsächlich ein ganzes Leben lang als Musiker erfolgreich waren. Ist das auch Ihr Wunsch?

Oerding: Wenn ich so alt werde wie die beiden, dann schaffe ich es auch (lacht). Nein, im Ernst: Ich bin ja auch schon seit 16 Jahren live unterwegs und habe in der Zeit sehr viele Fans eingesammelt. Ein Fundament an Zuhörern, wenn man so will. Das beruhigt mich. Selbst wenn ich ein paar Alben herrausbringen sollte, die floppen, werden diese Fans immer noch kommen. Wegen des Live-Erlebnisses. Im Moment spiele ich vor ausverkauften Hallen, ich würde auch spielen, wenn „nur“ noch 500 kämen. Die Frage ist allerdings, ob mein Ego das verkraften würde.