Druckartikel: Von Mensch zu Mensch

Von Mensch zu Mensch


Autor: Ralf Dieter

Dettelbach, Freitag, 19. Oktober 2018

Ein Priester aus Indien und seine Erfahrungen in Franken
Er freut sich auf viele Begegnungen und gute Gespräche: Stephen Rayappan Packiam ist der neue Pfarrvikar von Dettelbach.


„Die Religion muss vom Herzen kommen. Und nicht vom Verstand.“ George Stephen Rayappan Packiam sagt diesen Satz. Der Mann mit dem komplizierten Namen spricht sich für ein unkomplizierteres Miteinander aus. Für mehr Liebe und Menschlichkeit statt zu viel Ordnung und Struktur.

Packiam stammt aus Sindalachery in Südostindien, einem bemerkenswerten Dorf. Etwa 5500 Einwohner hat es und die gehören zu etwa 90 Prozent dem katholischen Glauben an. „Um uns herum im Bundesstaat Madurai leben fast nur Hindus“, sagt Packiam. Vor etwa 300 Jahren sind die Vorfahren der Dorfbewohner aus ihrer ursprünglichen Heimat vertrieben worden und siedelten sich in Südostindien an. Ihren katholischen Glauben haben sich die Nachfahren bewahrt. 77 Priester hat der Ort hervorgebracht. Sie taten und sie tun ihren Dienst in der ganzen Welt. Packiam ist einer von ihnen. Seit Anfang September ist er Pfarrvikar in Dettelbach.

„Eigentlich wollte ich Polizist werden“, erinnert er sich. Für Gerechtigkeit sorgen, für die Menschen da sein: Das waren seine Beweggründe. „Als Pfarrer kann ich das mindestens genauso gut.“ Zehn Jahre hat die Ausbildung im Priesterseminar in den Städten Madurai und Bangalore gedauert. Theologie, Philosophie aber auch Yoga gehörten dazu. Seither verrichtet er seinen Dienst für die heilige Kirche. Erst in Indien, seit acht Jahren in Deutschland. In Geiselbach bei Aschaffenburg war er tätig, in Miltenberg und in Reckendorf im Landkreis Bamberg. Jetzt also in Dettelbach. Packiam freut sich auf die neue Herausforderung, auf neue Begegnungen, auf viele Gespräche.

Vorsichtig will er seine Aufgabe angehen, erst einmal die Strukturen und die Wünsche der Menschen vor Ort kennenlernen, begonnene Projekte fortführen. Und dann möchte er nach und nach die Vorzüge der zwei Welten, die er kennengelernt hat, zusammenführen. Unstrukturierter geht es in seiner Heimat zu. Und auch ein wenig unkomplizierter. Ist der Pfarrer da, laufen in manchen Dörfern die Ministranten mit einer Glocke durch den Ort und die Menschen versammeln sich, setzen sich im Kreis zusammen, singen und feiern Gottesdienst miteinander. Lebendiger sei die katholische Kirche in Indien. Es gebe weniger Regeln, weniger Ordnung in den Gottesdiensten. Dafür mehr Herzenswärme. In Deutschland hat er die Struktur und die Ordnung durchaus schätzen gelernt. Aber diese Dinge dürfen seiner Überzeugung nach nicht alles überstrahlen. „Beim Straßenverkehr und bei der Technik sind Regeln wichtig“, sagt Packiam. „Beim menschlichen Miteinander sind sie komisch.“ Die Seele dürfe man nicht so behandeln wie eine Straßenkreuzung. „Sonst kann keine Freude aufkommen.“ Und Freude ist für ihn ein essenzieller Bestandteil seines Glaubens.

Packiam hat die deutsche Kirche acht Jahre lang beobachten können. „Es gibt hier wunderbare Menschen“, sagt er und zeigt sich vor allem vom ehrenamtlichen Engagement begeistert. Die Menschen sind hilfsbereit – egal, ob sie sich in der Kirche engagieren oder nicht. Dass relativ wenig junge Menschen in die Kirche gehen, ist für ihn nachvollziehbar. Die Gottesdienstordnung mit ihren steifen Abläufen schreckt gerade viele junge Menschen ab. Eine ansprechendere und lebendigere Art des Gottesdienstes für junge Menschen sollte geplant und durchgeführt werden.

Packiam würde einiges gerne ändern. Natürlich kann er nicht die indische Mentalität in Dettelbach implementieren. Aber ein wenig mehr Freiheit und ein paar weniger Pflichten, das würde auch den Gläubigen hierzulande gut tun. Davon ist er überzeugt. Leicht ist dieser Weg allerdings nicht. Diese Erfahrung hat der 51-Jährige immer wieder machen müssen. Packiam erzählt, wie er einen Weihnachtsgottesdienst in einem fränkischen Dorf etwas anders als sonst zelebrierte – mit vielen Liedern und mit gemeinschaftlichem Gesang. „Die allermeisten Besucher waren begeistert“, erinnert er sich. Nur zwei ältere Besucher beschwerten sich ein paar Tage danach beim Pfarrbüro über die ungewöhnliche Christmette. „Es gibt eben auch religiöse Fundamentalisten, die Änderungen und sinnvolle Neuheiten gar nicht wollen“, bedauert Packiam.

Für ihn sollte die Kirche vor allem ein Ort sein, wo sich die Menschen frei fühlen. Die Frömmigkeit, die sich an Geboten und Verboten orientiert, hätte Jesu gar nicht gewollt. Davon ist Packiam überzeugt. „Jesu hat vor allem Menschlichkeit und Liebe gepredigt“, erinnert er. Und die will der Mann aus dem indischen Bundesstaat Madurai in die Welt hinaustragen. Ganz unkompliziert. Von Mensch zu Mensch.