Vom "Backkönig" zum "Braumeister"
Autor: Tessy Korber
Kitzingen, Dienstag, 19. Sept. 2017
Die Kitzinger Firma Arauner existiert seit 120 Jahren und wandelt sich stetig.
120 Jahre ist es nun her, dass der Paul Arauner seine Apotheke – die ehemalige Lamm-Apotheke – verkaufte, um sich mit eigenen Ideen selbstständig zu machen. „Es begann mit Reinzuchthefen“, erklärt der heutige Geschäftsführer und Gesellschafter Wolf Freiherr von Tautphoeus. „Er verkaufte an Winzer, wollte aber auch dem Ottonormalverbraucher dabei helfen, seinen Wein selbst zu machen.“ Wein war damals, anders als heute, kein Volksgetränk, sondern nur etwas für besser Betuchte und für Festtage. Das wollte Paul Arauner mit seiner Initiative ändern.
Ein zweites Standbein wurde rasch der Invertzucker, damals noch Kitzinger Kunsthonig genannt. Schnell verfügbare Energie, damit die Leute „rasch was auf die Rippen bekamen“, wie es Tautphoeus formuliert. In den Mangelzeiten während der beiden Weltkriege war das wichtig. Viele der Älteren erinnern sich noch an den Kunsthonig der Kriegs- und Nachkriegszeit, der durch die dürren Jahre half. Täglich ging ein Waggon an das Militär und daheim wurde es nolens volens ein Volksnahrungsmittel.
„Wir haben noch das Patent aus der Kaiserzeit, von 1917.“ Darauf ist Wolf von Tautphoeus stolz. Auch wenn inzwischen das EU-Recht zuschlug und die Produktbezeichnung Kunsthonig durch den Begriff Invertzuckercreme ersetzt wurde. Daher bekam das Produkt den Namen Kitzinger Backkönig. Lange wurde er von den Nürnberger Lebkuchenbäckern fassweise geordert. Heute steht er vor allem in den Regalen der Supermärkte für den Endverbraucher. „Der Kuchen wird durch den Backkönig feuchter und bleibt länger frisch“, erklärt Freya von Tautphoeus, die Tochter des Firmenbesitzers, die Vorteile ihres Produkts.
Noch immer sitzt Arauner in den ehrwürdigen Ziegelbauten in der Wörthstraße 34 und 36, die von außen eher wie eine Gründerzeitvilla wirken als wie die Fassade einer Fabrik. Nicht umsonst genießen die Gebäude Bestandsschutz. Ringsum ist längst eine Wohngegend entstanden, was einige Anpassungen erfordert hat: Der historische Kamin etwa musste rückgebaut werden. Und da die neuen, größeren LKW nicht durch den alten Torbogen passen, hat man eben den Boden tiefergelegt und leitet die Anlieferer durch eine kleine Senke.
Auch die Angebotspalette hat sich geändert, die in dem kleinen, modernen Laden auf dem Grundstück gezeigt wird.
In den 80er Jahren bekam die Idee des Selbermachens großen Auftrieb durch die Hobbythek-Serie von Jean Pütz. Paul Arauners Konzept passte perfekt dazu: Zubehör für die Herstellung von eigenem Wein, Saft, Likör und vielen anderen Köstlichkeiten sind fester Bestandteil der Produktpalette. Die meisten kennen aus dieser Zeit noch das Kitzinger Weinbuch. Dazu kommen Anleitungen und Seminare, die aufeinander aufbauen. Laborleiterin Judith Walther vermittelt das Knowhow, entwickelt es weiter und pflegt den Kontakt zu den Kunden. Auch in Kooperation mit verschiedenen Volkshochschulen gibt sie ihr Wissen weiter.
Nahrung- und Genussmittel selber zu machen ist heute noch – und wieder aktuell. Die steigende Zahl von Allergiekranken etwa wünscht sich Lebensmittel, von denen sie sicher weiß, was enthalten ist. Was also läge näher, als eigene Rohstoffe selbst zu verarbeiten. Auch möchten immer mehr Menschen ökologisch handeln, indem sie Produkte aus der Region verwenden. Und viele haben überdies entdeckt, dass es neben dem Schnell-Schnell der heutigen Zeit, in der auch das Essen „convenient“ oder gar „fast“ wird und zunehmend Fertigprodukte angeboten werden, von Wert sein kann, etwas langsam, mit Bedacht, aus hochwertigen Inhaltsstoffen und mit eigenen Händen herzustellen. Für manche ist es ein Hobby, für andere bereits ein Lebensstil.