Vom Alkohol besetzt
Autor: Daniela Röllinger
Kitzingen, Freitag, 13. Oktober 2017
Über Jahrzehnte prägte die Sucht das Leben von Herrn M. – und das seiner Familie.
Zwei Mal in seinem Leben wollte Peter M. so werden wie die anderen. Die erste Entscheidung ist über 50 Jahre her, und sie war fatal. Die zweite hat ihm womöglich das Leben gerettet. Peter M. (Name geändert) ist trockener Alkoholiker.
Der Mann ist zielstrebig. Wenn er sich etwas vornimmt, geht er es richtig an. Im Vorfeld des Treffens hat er seine Geschichte zusammengeschrieben, er hat Unterlagen mitgebracht, Broschüren zum Thema. Die Zielstrebigkeit zieht sich durch sein Leben – in Vereinen, im Sport, in der Arbeit. Aber womöglich war es genau sie, die ihm zum Verhängnis wurde.
Als Junge hatte Peter M. wenig Selbstbewusstsein, war ein Spätentwickler, relativ klein, kaum Bartwuchs. Er litt darunter, genauso wie unter ständigen Vorwürfen der Mutter und der Kritik des Vaters, dessen Vorstellungen er nicht gerecht werden konnte. Er war Anfang 20, als er beschloss, etwas zu ändern. „Ich wollte so werden wie die anderen.“ Also hat er ganz bewusst das erste Bier getrunken und die erste Zigarette geraucht. Es war der Startschuss für ein exzessives Training, er hat das Trinken geübt. „Ich habe zwei Jahre gebraucht, dann sind die anderen am Tresen eher umgefallen als ich“, erzählt Peter M. Wie gefährlich Alkohol ist, begriff er nicht. Er hat damit geprahlt, wie viel er verträgt.
Es hat sich eingeschlichen
Als er seine Frau kennen lernte, war M. schon „geeicht“. Eine Kiste Bier und jede Menge Schnaps hatte er an dem Abend intus. Betrunken wirkte er trotzdem nicht. „Ich war nur gut drauf.“ Und so hat seine Frau anfangs gar nicht gemerkt, dass Alkohol ein Problem war. Sicher, er habe bei gesellschaftlichen Gelegenheiten getrunken, aber nicht regelmäßig und nicht auffällig viel. „Das hat sich eingeschlichen.“ Nach der Arbeit ging es in die Kneipe, immer öfter kam er sturzbetrunken heim.
Vorwürfe hat sie ihm nicht gemacht. „Ich habe es unter den Teppich gekehrt“, sagt sie heute, das Problem verdrängt. „Man pflegt das ziemlich lange, solange keine wirklichen Unannehmlichkeiten entstehen.“ Und das war viele Jahre so. Peter M. hat gearbeitet, war umgänglich, wurde nicht aggressiv, schlug nicht. „Merkwürdig“, sei er manchmal gewesen, sagt seine Frau. Offen angesprochen wurde das Thema Alkohol lange nicht. „Ich wollte nicht die keifende Frau sein, die ihm einen Grund liefert, weiter zu trinken.“
Auch gegenüber den Kindern blieb das Thema tabu. Die Mutter wollte, dass der Vater weiter auf einem Sockel steht, die Familie sollte nicht in Fraktionen auseinanderbrechen. Doch genau das ist passiert, denn die Frau von Peter M. hat versucht, den Mangel an Vater in der Familie zu kompensieren. Sie begann, unbewusst ein immer engeres Verhältnis zu den Kindern aufzubauen. Der Vater blieb außen vor. Die Folge: Er zog sich zurück, in den Keller, in die Garage. „Ich war die einsamste Sau überhaupt. Es war nicht anders als damals, als ich ein Kind war“, sagt Peter M. rückblickend. Doch diese Gefühle und Gedanken ließen sich verdrängen: „Ich hatte in der Garage Schnaps versteckt.“
Mit den Jahren sprach Frau M. ihren Mann dann doch immer mal auf das Thema Alkohol an. Aber er blockierte. Auch, als sie eines Tages eine der Flaschen aus seinen Verstecken kommentarlos auf den Esstisch stellte. Oder als der Führerschein zum zweiten Mal entzogen wurde. „Ich habe sogar meine Familie verdächtigt, mich bei der Polizei angeschwärzt zu haben.“ Viele Jahre trank M. da schon. Und langsam registrierte er, dass etwas schief lief. So wie auf einer dienstlichen Autofahrt über fast 1000 Kilometer. „Ich hatte beim Start bestimmt 1,5 Promille und habe die ganze Fahrt durch alle paar Minuten einen Schluck Bier getrunken, um meinen Spiegel zu halten.“ Er habe das Gefühl gehabt, er beobachte sich dabei selbst – „als hätte ich auf dem Beifahrersitz gesessen“. Trotzdem empfand M. Anspielungen auf „seine Sauferei“ als persönlichen Angriff, verleugnete das Problem weiterhin. „Alkoholiker sind die, die am Bahnhof rumhängen oder unter Brücken schlafen.“