Kleine Reisebüros kämpfen um ihre Existenz: "Sieben Kollegen haben sich das Leben genommen"
Autor: Ralf Dieter
Kitzingen, Donnerstag, 11. Februar 2021
Während sich viele Deutsche Gedanken machen, wann sie wieder einen Urlaub im Ausland unternehmen können, kämpfen kleine Reisebüros in der Region um ihre Existenz. Zwei Betroffene aus dem Landkreis Kitzingen berichten.
Sie ist emotional. Aber das ist kein Wunder. Es geht um ihre Existenz. Kerstin Wirsing hat seit elf Monaten so gut wie keine Einnahmen generiert – und keine Aussicht auf Besserung. Die Reisebranche liegt am Boden. Vor 18 Jahren hat sie ihre Reiseagentur in Segnitz gegründet. Als eine der ersten Ich-AGs in Unterfranken. Wirsing baute sich eine treue Stammkundschaft auf, die Geschäfte liefen gut – bis Mitte März 2020. Bis zum ersten Lockdown.
Reiseagentur-Besitzerin hat ihr Anliegen mehrmals in Berlin vorgetragen
Die Geschäftsfrau engagiert sich im Aktionsbündnis „Rettet die Reisebranche“. Sie ist gut vernetzt, hat ihre Anliegen mehrmals in Berlin vorgetragen. „Ohne Ergebnis“, ärgert sie sich. Wirtschaftsminister Peter Altmaier habe die Branchenvertreter angehört und versprochen, sich explizit um deren Sorgen zu kümmern. „Vier Wochen ist das her“, berichtet die 50-Jährige. „Passiert ist nichts.“
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Dabei sind die Signale aus der Branche fatal. Von rund 11.000 Büros in Deutschland sind etwa 3000 schon jetzt pleite. Die Ungewissheit nagt an der Psyche und führt mitunter zu fatalen Folgen. „Sieben Kollegen haben sich das Leben genommen“, sagt Wirsing mit belegter Stimme.
Aufgeben ist nicht ihr Ding. Sie will weiterkämpfen. „Aber die finanziellen Ressourcen sind aufgebraucht“, erklärt sie. In den letzten Monaten hat sie von dem gelebt, was sie eigentlich für die Altersvorsorge zurückgelegt hatte, jetzt will sie ihr geerbtes Haus verkaufen, um es künftig als Mieterin zu nutzen. „Ich sehe keinen anderen Weg“, sagt sie.
Gelder vom Staat helfen kaum
Kerstin Wirsing hat die Krise mehrfach getroffen. Als Sängerin in der Band "Smile" hat sie sich vor Corona ein Zubrot verdient. „Seit einem Jahr ist nichts mehr drin.“ Das gilt auch für ihr drittes Standbein. An Kurse als Meditations- und Achtsamkeitstrainerin ist nicht zu denken. Höchstens online. „Das versuche ich jetzt“, sagt sie. Und die finanziellen Hilfen vom Staat? Kerstin Wirsing muss lächeln. Die Überbrückungshilfe muss ins Geschäft investiert werden. „Da darf ich nichts für Lebenshaltungskosten abzwacken.“ Und Arbeitslosengeld II wollte sie beantragen. 60 Seiten hätte sie für den „vereinfachten Antrag“ ausfüllen müssen, ihr Lebenspartner sollte die Konto-Auszüge der letzten 18 Monate vorlegen. Wirsing hat sich lieber bei der Post (Antwort: überqualifiziert) und beim Gesundheitsamt beworben. „Wenn im Impfzentrum Bedarf ist, wollen sie auf mich zukommen“, berichtet sie.
Auf der anderen Mainseite wartet auch Reiner Strauss auf bessere Zeiten. Seit dem 16. Dezember ist sein Reisebüro geschlossen, ein paar Anrufe und Mails beantwortet er pro Tag. Die Mitarbeiter sind in Kurzarbeit, ein Lehrling hat schon umgesattelt. „Die Branche hat es hart gebeutelt“, sagt er. Die Einbußen liegen bei mehr als 90 Prozent.
Und das Schlimmste: Es gibt kaum Hoffnung auf Besserung. Immerhin: Die Veranstalter kommen den Kunden weit entgegen. Mit dem sogenannten Flex-Tarif kann ohne großes Risiko gebucht werden. Bis 14 Tage vor Abreise kann komplett storniert oder umgebucht werden. Drei Prozent vom Reisepreis müssen die Kunden für diesen Service zuzahlen.