Praxis ohne Patienten
Autor: Ralf Dieter
Kitzingen, Dienstag, 28. April 2020
Seit Beginn der Corona-Krise sind die Behandlungen in Zahnarztpraxen um rund 80 Prozent gesunken. Dabei haben die Ärzte große Erfahrungen im Umgang mit Infektionen.
An der Praxistür hängt ein großer Zettel: „Haben Sie Erkältungssymptome?“ Innen riecht es nach Desinfektionsmitteln. Das Wartezimmer ist leer. In der Marktbreiter Zahnartzpraxis von Dr. Thorsten Thalmann läuft seit der Corona-Krise nichts mehr normal. Nicht nur dort.
„Die Patienten bleiben überall weg“, weiß Leo Hofmeier aus vielen Gesprächen mit bayerischen Zahnärzten. Der Leiter des Geschäftsbereiches Kommunikation und Politik der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Bayerns beziffert den Rückgang der Behandlungen seit dem Beginn der Corona-Krise auf rund 80 Prozent. „Das hat natürlich auch erhebliche wirtschaftliche Folgen.“ Wolfram Beha kann mit den finanziellen Einbußen derzeit noch ganz gut leben. Seit 1988 praktiziert er in Kitzingen, konnte in all den Jahren entsprechende Rücklagen bilden. „Aber die jüngeren Kollegen trifft es schon hart.“
Thorsten Thalmann ist 51 Jahre alt. Acht Angestellte beschäftigt er. „Alle arbeiten nur noch reduziert“, sagt er. Kurzarbeit hat Thalmann längst beantragt. Die fixen Kosten laufen weiter. Miete und Gehälter müssen bezahlt werden. „Das geht schon an die Substanz“, bekennt der Marktbreiter. Rund 50.000 Beschäftigte gibt es in den bayerischen Zahnarztpraxen – von den Ärzten bis zur Putzfrau. Wie viele Praxen Kurzarbeit angemeldet haben, kann Hofmeier nicht sagen. Seine Vermutung: Es dürften die meisten mein.
Ob manche Praxen die Pandemie nicht überstehen werden und schließen müssen? „Das lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht seriös beantworten“, sagt Leo Hofmeier. Die Rechnungen laufen in der Regel erst Wochen nach der Behandlung auf dem Konto der Praxen ein. „Wir werden die Folgen erst im Juni oder Juli richtig spüren“, vermutet der Sprecher der Kassenzahnärztlichen Vereinigung. Um so wichtiger sei es, den Patienten spätestens jetzt die Angst vor einer Ansteckung in der Zahnarztpraxis zu nehmen. Eine entsprechende Öffentlichkeitskampagne will die Vereinigung in dieser Woche starten. „Wenn die Friseursalons wieder öffnen, gibt es wirklich keinen Grund mehr, einen Zahnarztbesuch abzusagen“, betont Hofmeier.
Am Anfang der Pandemie ist die Vertretung der Zahnärzte noch den Empfehlungen der Politik gefolgt und hat den Patienten empfohlen, Termine abzusagen. „Dabei war schon damals der Weg zur Praxis gefährlicher als die Behandlung“, meint Hofmeier und verweist auf die hohe Sensibilität der Zahnärzte im Umgang mit Infektionen. Ob HIV, Hepatitis oder Tuberkulose: Im Lauf der letzten Jahrzehnte seien die Zahnärzte immer wieder infektiösen Krankheiten ausgesetzt gewesen. „Wir haben alle diese Patienten versorgt, ohne uns selbst anzustecken“, erinnert Hofmeier und betont: „Es gibt wenige Orte in diesen Tagen, die so sicher sind wie eine Zahnarztpraxis.“
Sterile Handschuhe, Mundschutz, ständige Desinfektion der Hände und Materialien: Thalmann und seine Kollegen arbeiten von jeher vorsichtig. „Wir haben die Hygienestandards noch einmal gesteigert“, erklärt der Marktbreiter. Er arbeitet jetzt immer mit dem sichereren FFP-2-Mundschutz, dazu mit Handschuhen und Schutzbrille. Im Wartezimmer darf nicht mehr als ein Patient Platz nehmen. Begleitpersonen dürfen nur in Ausnahmefällen mit in die Praxis. Wer Erkältungsymptome oder sogar Fieber hat, darf die Praxis nicht betreten. „Das ist aber bisher nicht vorgekommen“, berichtet der Marktbreiter, der die Verunsicherung der Patienten durchaus für gefährlich hält. „Einige trauen sich auch dann nicht in die Praxis, wenn sie Schmerzen haben.“ Das sei vollkommen unnötig. „Wenn nötige Behandlungen verschleppt werden, ist der Schaden später erst recht groß“, warnt auch Leo Hofmeier. Zwei Patienten am Vormittag, zwei am Nachmittag. So schaut der Alltag bei Wolfram Beha derzeit aus. Menschen mit massiven Schmerzen würden kommen, einzelne Patienten mitunter zur Kontrolle. „Aber keiner lässt sich mehr einen Termin geben.“ Dabei brauche keiner Angst vor einer Infektion zu haben. „Angst ist sowieso ein schlechter Ratgeber“, findet der Kitzinger, der auf eine baldige Rückkehr in die Normalität hofft. „Wie soll es sonst auch weitergehen?“, fragt er.