„Nicht jeder Chor wird überleben“
Autor: Daniela Röllinger
Mainstockheim, Dienstag, 26. Mai 2020
Chöre und Gesangvereine haben es in Zeiten von Corona schwer. Seit Monaten gibt es keine Proben. Eine Besserung der Situation ist nicht in Sicht.
„Ganz schlimm“, sagt Elke Kuhn. „Furchtbar.“ Der Vorsitzenden der Sängergruppe Kitzingen genügen wenige Worte, um die Situation der Chöre in Corona-Zeiten zu beschreiben. Keine Proben, keine Konzerte, kein Miteinander. Ob alle Chöre und Gesangvereine die Krise überstehen werden? Kuhn will nicht schwarzmalen, sagt aber: „Es sind ein paar dabei, für die es schwierig werden wird.“
Ausgerechnet im Beethoven-Jahr. Mit großen Konzerten sollte der 250. Geburtstag des Komponisten heuer gefeiert werden, auch in der Region Kitzingen. Die Sängergruppen Kitzingen und Steigerwald wollten das Werk Beethovens mit zwei Projektchören musikalisch aufbereiten. Sänger hatten sich schon gemeldet, ab März beziehungsweise April waren Proben geplant, die Auftritte in Scheinfeld und Kitzingen auf November terminiert. Die Konzerte werden nicht stattfinden, ebenso wenig wie viele weitere musikalische Veranstaltungen in der ganzen Region. Denn gemeinsam Singen kann in Zeiten von Corona gefährlich werden.
Aeorosole heißen die kleinen Schwebeteilchen in der Luft, die Wissenschaftlern derzeit in Zusammenhang mit Corona noch Kopfzerbrechen bereiten. Mehr und mehr scheint es, dass das Virus nicht nur durch Tröpfcheninfektion übertragen wird, sondern auch durch Aerosole – Speicheltröpfchen, die kleiner sind als fünf Mikrometer. Beim Ausatmen gelangen sie in die Luft und schweben dort eine Weile. Weil aber beim Singen über einen langen Zeitraum tief ein- und ausgeatmet wird, stellt es insbesondere in zu kleinen, wenig durchlüfteten Räumen eine Gefahr dar.
Wie schnell eine Ansteckung erfolgen kann, zeigte sich in Berlin: Nach einer Probe mit 80 Mitgliedern der Domkantorei zeigten mehr als 50 Mitglieder unterschiedlich schwere Symptome einer Infektion. Die Aussagen zur Problematik der Aerosole sind unterschiedlich. Einige Forscher halten eine Ansteckung beim Singen für äußerst unwahrscheinlich, andere raten dringend vom gemeinsamen Singen ab.
„Das Problem ist, dass die Forschungen zu den Aerosolen noch laufen“, sagt Uwe Ungerer, der fünf Chöre in der Region leitet, darunter den Konzertchor Chorason, der im März ein großes Konzert mit James-Bond-Songs präsentieren wollte. Die Stücke waren einstudiert, sämtliche Vorarbeiten getroffen.
Dann wurde Mitte März alles „auf Eis“ gelegt, wie der Mainstockheimer sagt. Ein Ersatztermin ist für September angedacht, doch gemeinsame Proben sind auch jetzt, Ende Mai, noch nicht möglich.
Die Arbeit der Chöre, der Gesangvereine, der kirchlichen Sängergruppen im ganzen Land kam vor über zwei Monaten zum Stillstand. Die Zahl der Betroffenen ist groß. Zirka 14 Millionen Menschen in Deutschland musizieren in ihrer Freizeit gemeinsam und bewahren damit, wie Benjamin Strasser, Präsident des Bundesmusikverbands Chor & Orchester e.V., betont, das immaterielle Kulturerbe und entwickeln es weiter – und das ist ihnen derzeit nicht möglich. Täglich fallen laut Strasser etwa 1.400 Veranstaltungen in der Amateurmusik aus. Dass die schwierige Situation der Chöre öffentlich kaum thematisiert wird, ärgert Uwe Ungerer. „Chöre und Chorleiter werden mit diffusen Empfehlungen und Vertröstungen auf irgendwelche Studien, die sich in stetiger Entwicklung befinden und die vielleicht irgendwann noch kommen werden, allein gelassen”, kritisiert er. Vorgaben, wie es sie beispielweise in Nordrhein-Westfalen gibt, hält Ungerer für utopisch. Dort ist vorgeschrieben, dass beim Proben in atmungsaktiven Fächern wie Singen ein Abstand von drei Metern zwischen Personen und von sechs Metern in Ausstoßrichtung sowie eine Raumgröße von mindestens zehn Quadratmetern pro Person vorzusehen ist. „Soll sich ein Chor in ein Stadion stellen?“