Liegt das auch daran, dass Männer grundsätzlich nicht so gern über Probleme sprechen?
Oertel: Ich würde sagen ja. Das alte Denken, dass Männer keine Schwäche zeigen dürfen, gibt es immer noch. Es dauert oft lange, bis Männer Vertrauen fassen. Aber sie haben ganz ähnliche Bedürfnisse wie Frauen. Sie müssen mit Krankheit, Glauben, Spiritualität umgehen.
Was ist der Unterschied zwischen der Arbeit mit Frauen und mit Männern?
  
  
  
  
  
    
    
    
Oertel: Anders als Frauen, sagen Männer nicht direkt: „Ich habe ein Problem.“ Der Mann taktiert, tastet sich vor, eruiert, wie sein Anliegen aufgenommen wird. Erst, wenn alles passt, dann geht es los. Manchmal braucht er auch erst einmal ein Bier. Frauen sind offener, auch in geistlichen Dingen. Sie freuen sich zusammenzukommen. Dass Männer über ihren persönlichen Glauben sprechen, darüber, was er ihnen bedeutet, das kommt viel seltener vor als bei den Frauen. Vielleicht hat das auch etwas mit der Angst zu tun, als Sensibelchen oder Weichei belächelt zu werden.
Wenn sich Männer öffnen, um welche Themen geht es ihnen dann vorrangig?
Oertel: Wenn die Basis für ein Gespräch passt, geht es oft ans Eingemachte. Um Wut, Trauer, Fehltritte. Da werden die Dinge beim Namen genannt, etwa, wenn jemand seine Frau verloren hat und sich nun neu orientieren muss. So etwas steckt kaum jemand einfach so weg. In dieser Situation hilft es, alles mal rauszulassen, Kummer abzuladen.
Aber es ist selten, dass in solchen Ausnahmesituationen gerade ein – kirchlicher – Ansprechpartner da ist.
Oertel: Ja, und das ist das Dilemma. Nach speziellen Veranstaltungen kommen zwar tatsächlich Männer auf einen zu und suchen das Gespräch. Aber insgesamt steht die Männerarbeit viel zu selten im Fokus. Auch viele meiner Kolleginnen und Kollegen messen ihr zu wenig Bedeutung bei. Dabei ist es eine wichtige Arbeit. In Wirsberg gab es mal einen Kollegen, der einmal im Monat ins Wirtshaus gegangen ist und dort angesagt hat: „Letzter Ausschank vor der geistlichen Andacht!“ Er legte den Wirtshausgängern dann die Bibel aus – und die Männer waren begeistert. Viele erzählen heute noch davon, dass der Pfarrer zu ihnen in die Wirtschaft gekommen ist. Leider gibt es heute keine solche Wirtshauskultur mehr; sonst würde ich das auch mal in Erwägung ziehen.
Stattdessen organisieren Sie zum Beispiel Männergottesdienste. Was genau passiert da?
Oertel: Jeder Männergottesdienst hat ein Motto – letztes Jahr war es „Männerschnupfen“ – , auf das besonders eingegangen wird, mit Worten und Musik. Danach geht es zum Frühschoppen. So etwas spricht Menschen quer durch alle Generationen an, die sonst nicht in die Kirche gehen. Letztes Jahr gab es im Anschluss an den Männergottesdienst Lutherbier mit vier verschiedenen Braugersten. Das 30-Liter-Fässle war gleich weg. Aber ich hatte ein Ersatzfässle dabei.
Welche Erlebnisse sind Ihnen als Männerbeauftragtem unvergesslich?
Ich erinnere mich zum Beispiel gut an ein Gespräch mit einem Menschen, der in der Öffentlichkeit stand. Er hat erzählt, dass er seine Frau betrogen hat. Das war eine ganz, ganz dichte, intensive Geschichte. Da hab? ich auch gemerkt, wie wichtig es war, dass wir seelsorgerisch reden konnten. Er wusste nicht, ob er seiner Frau den Seitensprung beichten sollte oder nicht. Diese Entscheidung konnte ich ihm nicht abnehmen. Es ist klar, dass so etwas einem ein Leben lang bleiben wird, man kann es nicht ungeschehen machen. Man muss aber auch dahinter schauen: Was waren da für unerfüllte Wünsche im Spiel? Da kommen ganz viele verschiedene Aspekte zusammen…
Wie ging die Geschichte aus?
Oertel: Das Paar ist nicht auseinandergegangen, sondern heute noch zusammen.
Reden Sie vor Männern anders als vor gemischtem Publikum oder vor Frauen?
JJa. Vor Männern rede ich ohne Umschweife, knallhart, auch über den Glauben. Da werden Leviten gelesen, aber auch ermutigt, mal Gefühle zu zeigen. Kein Gewaaf, kein Rumeiern: Da wird Tacheles geredet. Das Thema der Predigt wird vorher veröffentlicht, so dass sich jeder darauf einstellen kann.
Worum wird es heuer gehen?
Oertel: Heuer wird das Thema am 14. Oktober in der St.Oswald-Kirche lauten: „Beweglich bleiben“. Sowohl im geistlichen als auch im körperlichen Sinn. Es geht um Veränderung. Das Leben kann bedeuten, dass man umziehen muss, dass sich die Familie verändert, dass ich mich auch mal von etwas oder jemandem verabschieden muss. Nach dem Männergottesdienst geht es zum Frühschoppen mit Leberkäs, Weck und Bier.
Wenn Männerarbeit so wichtig ist: Warum etabliert man dann nicht in jeder Gemeinde einen Männerbeauftragten?
Oertel: Wir hatten im Dekanat Kulmbach mal rumgefragt, wer Interesse hätte. Aber von den 24 Kirchengemeinden interessierten sich nur drei überhaupt dafür, dass mal jemand zu einem Vortrag diesbezüglich kommt. Ich denke, es liegt auch daran, dass viele Pfarrer ohnehin so viel Arbeit haben. Allerdings finde ich, dass Männerarbeit nicht nur von Pfarrern gemacht werden muss – das können auch interessierte Laien. Der Bedarf ist sicher da: Zu den Männergottesdiensten kommen auch Leute von weiter her. In der Synode wird es auch um Männerarbeit gehen und ich bin gespannt, ob das Thema auf landeskirchlicher und deutschlandweiter Ebene weitergeführt wird.
Männergottesdienst: Der nächste Männergottesdienst findet in Untersteinach zur Landtagswahl am 14. Oktober in der St. Oswald-Kirche Untersteinach statt. Beginn ist um 10.15 Uhr. Anschließend Frühschoppen im Kantorat.
Wolfgang Oertel: Der evangelische Pfarrer ist verheiratet und hat drei Töchter. Seit 2008 ist er Pfarrer in Untersteinach (Dekanat Kulmbach). Er ist Mitglied der Landessynode und der EKD-Synode, Vorsitzender des Ökumenischen Dienstes von Schloss Craheim, Bikerpfarrer & Männerbeauftragter.