Druckartikel: Knuspriges Mysterium

Knuspriges Mysterium


Autor: Diana Fuchs

Kitzingen, Donnerstag, 30. Dezember 2021

Ein schöner alter Brauch hat dem Kreis Kitzingen ein einzigartiges Gebäck beschert: den Eierring ohne Eier.
Handarbeit: Dominik Lummel, Joshua Ziller, Florian Lenzer und (im Hintergrund) Tilo Brönner.


Er ist eine Legende. Ein lebende Legende, sozusagen. Eine, die fasziniert – und schmeckt. Den Eierring gibt es nur im Raum Kitzingen, nirgends sonst. Seine Geschichte ist sagenumwoben. Die Rauhnächte beziehungsweise Heiligen Zwölf Nächte kommen darin ebenso vor wie Sonnenstrahlen, Patenkinder, die zwölf Apostel – und ganz viel Butter. Allerdings kein einziges Ei.

Tilo Brönner ist Obermeister der Kitzinger Bäckerinnung. Er und sein Vorgänger Claus Lux sitzen in Brönners Backstube in Iphofen bei einer Tasse Kaffee zusammen. Es duftet herrlich, denn im Ofen bräunen gerade etliche Dutzend Eierringe. Brönner und Lux erzählen eine spannende Geschichte:

Die „Eierweck“ als typische Neujahrsspeise

Einst waren die „Eierweck“ – hochdeutsch: Eierringe – eine typische Neujahrsspeise. „Nur zwischen Weihnachten und Neujahr wurden sie gebacken“, erinnert sich Claus Lux an die Zeit, als er gerade die Backstube in Kitzingen übernommen hatte: Anfang der 50er-Jahre war das. „Wer genau die 'Eierweck' erfunden hat, weiß man leider nicht. Und wann genau, das liegt auch im Dunkeln.“ Sowohl Lux als auch Brönner schätzen, dass das Gebäck mindestens 100 Jahre alt ist.

Sicher ist: Speziell in den Gemeinden rund um den Repperndorfer Berg, etwa in Buchbrunn, Mainstockheim, Albertshofen, Repperndorf und am Kitzinger Muldenberg, war es von Alters her Brauch, dass Patenonkel und -tanten ihren Patenkindern zu Neujahr einen Eierring schenkten. Manchmal war dieser so groß wie ein Wagenrad. Meist aber sah er genau so aus, wie die Exemplare, die heute noch in den Bäckertheken des Landkreises liegen.

Der Name kommt vermutlich von der Form

Warum das mürbe Plunderteig-Gebilde „Eierring“ genannt wird? Tilo Brönner und Claus Lux können nur vermuten: „Wahrscheinlich wegen seiner Form“, meint Brönner. „An echten Eiern kann es jedenfalls nicht liegen, denn in den Teig kommt kein einziges Ei rein.“ Er bestehe traditionell nur aus Mehl, Salz, Hefe, Backmalz und einer gehörigen Portion Butter beziehungsweise Margarine. „Jeder Teigstreifen wird zu einem Rad geformt. Das innere Drittel wird umgeschlagen und in den äußeren Rand werden Zacken geschnitten“, erklärt Claus Lux. Wie viele Zacken es sein sollen? Auch dazu gibt es die tollsten Geschichten. „Immer wieder ist von der Zahl zwölf die Rede – ein Zacken für jeden Monat des kommenden Jahres“, sagt Claus Lux. Tilo Brönner kennt noch andere Sagen: „Ich habe schon davon gehört, dass die zwölf Zacken für die zwölf Apostel stehen sollen. Oder dass sie Sonnenstrahlen symbolisieren und deshalb nicht unbedingt zwölf sein müssen.“ Früher habe man die Zacken auf jeden Fall noch mit einem Messer von Hand in jeden Teigling geschnitten, weiß Claus Lux. Heute gibt es dafür in der Bäckerei Brönner eine Maschine. Durch diese Spezialanfertigung der Firma Fritsch läuft das Teigband hindurch und dabei werden einseitig zinnenförmige Ränder ausgestanzt. Den Rest erledigen wie von jeher der Bäckermeister, seine Gesellen und „Stiftn“: Sie messen die erforderliche Teiglänge mit einem langen Bäckerlineal ab, schneiden sie per Hand zurecht und formen aus den einzelnen Strängen je einen Eierring.

Die Teigringe werden auf Bleche gelegt und dürfen dann – im Gegensatz zur industriellen Produktion – bei acht Grad Celsius für etwa 20 Stunden ruhen. Heutzutage gibt es für die sogenannte „Langzeitführung“ eigens temperierte Schränke, in denen die Teigwaren sich ungestört entwickeln können und in denen sich zum Beispiel das im Mehl enthaltene Gluten auf ganz natürliche Weise abbaut. „Früher hat man überall, in allen möglichen Räumen, Tücher ausgelegt, auf denen die Eierringe über Nacht ruhen konnten“, erinnert sich Tilo Brönners Mutter Christine. Sie breitet lachend die Arme aus: „Überall lagen vor Silvester die weißen Laken mit dem Teig!“

  1. Vor allem die Zacken sollen richtig schön knusprig sein

Auch heute noch ist die Hoch-Zeit des Eierring-Verkaufs die Zeit um Neujahr. „Da boomt es“, sagt Tilo Brönner. Aber auch während all der anderen Wochen des Jahres ist der Eierring ein gefragtes Gebäck. „Das ist ähnlich wie bei Krapfen: Die gibt es mittlerweile ja auch nicht mehr nur an Fasching.“

In aller Früh verlassen die Bleche voller Eierringe den Gärschrank, um schließlich bei 240 Grad Celsius im Ofen innerhalb von 15 bis 17 Minuten zu ihrer vollen goldbraunen Pracht gebacken zu werden. Wichtig ist, dass vor allem die Zacken richtig schön knusprig werden. Ob es dann zwölf sind oder 15 spielt vielleicht gar nicht die entscheidende Rolle. Ebensowenig wie die Antwort auf die Frage, ob die Zacken nun die Apostel symbolisieren, die Monate oder vielleicht doch einfach nur Sonnenstrahlen. „Man muss nicht immer alles wissen“, meint Tilo Brönner mit einem Augenzwinkern. „Ein paar Geheimnisse sind doch auch ganz schön.“ Und ein bisschen machen sie es ja auch aus, das legendäre Neujahrsgebäck aus dem Kreis Kitzingen.