Druckartikel: Trotz Präsenzpflicht in der Schule: Vater aus Franken erklärt, warum sein Kind im Verborgenen lernt

Trotz Präsenzpflicht in der Schule: Vater aus Franken erklärt, warum sein Kind im Verborgenen lernt


Autor: Daniela Röllinger

Kitzingen, Mittwoch, 16. Februar 2022

Private Lerngruppe statt Unterricht in der Schule: Was der Staat verbietet, halten manche Eltern für besser. Ein Vater erklärt, warum sein Kind im Verborgenen lernt.
Testen, damit das Kind in die Schule darf? Einige Eltern im Landkreis Kitzingen sind damit nicht einverstanden und unterrichten ihre Kinder zuhause, alleine oder in Lerngruppen, obwohl das gegen die Vorschriften verstößt und mit einem Bußgeld belegt wird.


Er will seinen Namen nicht öffentlich nennen. Aber er will auch nicht länger schweigen. Wir sind irgendwo in der Region, sprechen mit Herrn Namenlos, nennen wir ihn also schlicht N. Er tut etwas, was er nicht darf: Er schickt sein Kind nicht in die Schule, der Nachwuchs lernt „frei“, in einer Gruppe. „Präsenzunterricht ist die beste Art des Unterrichtes“, sagen Politiker, Behörden, Schulleiter. Herr N. widerspricht: „Es geht doch nicht um den Unterricht, es geht um das Bildungsziel. Und das kann man auch anders erreichen.“

Natürlich hat das Ganze mit Corona zu tun, auch wenn das Wort in dem langen Gespräch nur auf Nachfrage fällt. Gibt es Corona? „Für mich gibt es eine Erkrankung, die gewisse Symptome mit sich bringt“, antwortet Herr N. „Ob das Ganze den Umfang hat, wie behauptet wird, darüber muss sich jeder selbst eine Meinung bilden.“ Es sind vor allem die Folgen, die das Virus mit sich bringt, die den Vater beschäftigen. Masken, die das Atmen erschweren und den nonverbalen Austausch über die Mimik verhindern. Tests, die oft unangenehm und manchmal nicht aussagekräftig sind. Er spricht von verängstigten Kindern, die mit beidem nicht zurechtkämen. Von Druck auf die Eltern, ausgehend von der Politik. „Die regiert direkt ins Klassenzimmer hinein.“ Schulleitern und Lehrern seien die Hände gebunden, sie dürften nicht frei entscheiden, nicht frei ihre Meinung sagen, sagt N. Wer das tue, gefährde seinen Job. Obwohl er, N., gegen die Schulpflicht verstößt, sei das Verhältnis zwischen ihm, der Schulleitung und den Lehrern nicht schlecht. „Man respektiert sich gegenseitig.“ Denn letztendlich gehe es nicht um die unterschiedliche Meinung von Staat und Eltern, sondern um die Kinder.

Vater nimmt Kind von Schule: „Das mit dem Testen und den Masken wurde uns zu bunt“

Das erste Corona-Jahr hat die Familie noch in der Schule mitgemacht. Lockdown, Homeschooling, dann Maske und Abstand. „Im Frühjahr 2021 haben wir die Reißleine gezogen.“ Das Kind, das eine Grundschule besucht, habe sich verändert, erzählt der Vater. Es habe, während es in der Schule war, seine Aufgaben erfüllt, aber mehr nicht. Die vorher vorhandene Neugier, die Begeisterung, etwas zu lernen, seien weg gewesen. „Und das mit dem Testen und den Masken wurde uns zu bunt.“ Er hat viele Informationen im Internet gesammelt, legt Unterlagen und Verweise auf Meinungen und Untersuchungen als Beleg dafür vor, dass Tests wenig Sinn machen würden, dass manche Tests gesundheitsgefährdend seien, dass Masken die Atmung und die Mimik behinderten. Er hat sich mit anderen Eltern ausgetauscht. „Kinder haben blaue Lippen, einigen wird schwindelig. Da wird das Kindeswohl gefährdet.“ N. spricht von Gruppenzwang, von Angst, von möglichen mittel- oder langfristigen physischen, psychischen, emotionalen Schäden. Von roten Linien, die seiner Ansicht nach überschritten worden seien.

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Die Eltern nahmen das Kind aus der Schule. „Nach ein paar Wochen war die Neugierde wieder da. Unser Kind hat sich wieder entfaltet. Hat wieder nachgefragt, wollte Sachen wissen, wollte lernen.“ Denn das, was die Familie boykottiert, ist nicht das Lernen. Es geht um die Pflicht, den Präsenzunterricht zu besuchen. Der sei nicht die richtige Unterrichtsform für alle Kinder, vor allem nicht in der jetzigen Situation, argumentiert der Vater. Kinder, die nicht damit zurechtkämen, müssten die Möglichkeit bekommen, auf anderem Weg das Bildungsziel zu erreichen.

Anfangs, vor allem im Frühjahr bis zu den Sommerferien, seien es eine ganze Reihe von Eltern gewesen, die ihre Kinder nicht in die Schule geschickt hätten. Bis zu den Herbstferien war das auch erlaubt, seitdem wird die Verletzung der Schulpflicht mit einem Bußgeld belegt. Das und „der Druck der Staatsregierung“ sei für manche Eltern zu viel gewesen. „Manche waren mit den Nerven am Ende, ihr Widerstand ist gebrochen.“ Sie würden ihre Kinder wieder in den Unterricht schicken, obwohl sie nach wie vor Bedenken hätten.

Vater spricht von "richtiger Bewegung": Eltern finden sich über Telegram

Andere sind beim Boykott der Schulpflicht geblieben. N. spricht von einer „richtigen Bewegung“, die entstanden sei. Gleichgesinnte finden sich über Telegram, nehmen Kontakt auf, lernen sich kennen und „wenn die Chemie passt“, wird gemeinsam gelernt. „Für viele gibt es kein Zurück mehr ins Schulsystem“, ist N. überzeugt. Ein Satz zwischendurch, der deutlich macht, dass es hier doch um mehr geht als um die Corona-Maßnahmen. Es täten sich nur wenige Kinder zusammen, beschreibt N. Fünf, sechs Mädchen und Jungs, mehr nicht, sonst wird die „Lerngruppe“ zu groß, passt nicht mehr ins heimische Esszimmer. Sind es zu viele Kinder, dann gehe es „raus aus dem privaten Bereich“, es braucht einen „Lernort“, am besten auch einen Lehrer, argumentiert N. Eine illegale Schule und damit erst recht nicht erlaubt. „Das wurde denen bei Miltenberg und in Erlangen leider zum Verhängnis.“

Ihm geht es in diesem Gespräch nicht darum, „gegen etwas“ zu sein, sondern „für etwas“, erklärt er. Die Bildung, das Kindeswohl. Er wolle informieren, aber niemandem seine Ansicht aufdrücken, betont der Mann. Er will, dass die Entscheidung seiner Familie und die von anderen, die ähnlich denken, akzeptiert und nicht bestraft wird. Denn natürlich hatten er und die anderen längst Bußgeldbescheide wegen der Verletzung der Schulpflicht im Briefkasten. „In den letzten beiden Jahren wurde mehrfach Hausunterricht angeordnet und den Eltern wurde dabei ausreichende Kompetenz dafür zugesprochen. Jetzt wird das Ganze als Ordnungswidrigkeit eingestuft.“

Er kenne mindestens vier „Lerngruppen“ im Landkreis, sagt N. Eine davon ist bei ihm – er sagt nicht wo, er sagt nicht, wer dabei ist, er sagt seinen Namen nicht. „Ich brauche die Polizei nicht im Haus.“ Jedenfalls sitzen da fünf Kinder beisammen, alle sind unterschiedlichen Alters, aus unterschiedlichen Schulen. Miteinander zu lernen statt immer nur allein sei wichtig, es gehe auch um die sozialen Kompetenzen, das Gemeinschaftsgefühl. Es wird nicht nur gelernt, es wird gebastelt, gemalt und gesungen, es ging auch schon gemeinsam auf einen Bauernhof, es gab eine Adventsfeier. An drei Tagen wird gemeinsam gelernt, ohne Test, ohne Maske, wie sie in der Schule vorgeschrieben wären. An den anderen zwei Wochentagen lernt jeder für sich allein. Beim Lernen in der Gruppe sei immer ein Erwachsener dabei, um Fragen zu beantworten, auch mal zu erklären. „Kein Frontalunterricht, sondern eine Lernbegleitung.“

Vater bezieht Unterrichtsmaterial aus der Schule und dem Internet

Die Unterrichtsmaterialien kämen teils aus den Schulen, auch wenn das Kultusministerium das nicht gerne sehe. Andere Materialien bezieht N. aus dem Internet oder wurden gekauft. „Da gibt es tolle Sachen, das hat mich wirklich erstaunt“, erzählt der Vater. Die Kinder würden sehr selbstständig arbeiten, kämen gut zurecht. „Auch die, die keine Überflieger sind.“ Sie seien aufnahmefähiger, als wenn sie im Unterricht sitzen, und so werde eigentlich den ganzen Tag über gelernt, oft ganz nebenher. „Wir rechnen auch mal beim Kochen, beim Wiegen, beim Essen.... .“

N. sieht die Gruppe als Entwicklungseinheit nicht nur der Kinder, sondern auch der Eltern. „Das ist ganzheitlich zu sehen.“ Wer nur einen „Aufbewahrungsort“ für seine Kinder suche, wer nicht bereit sei, sich einzubringen oder auch mal zu prüfen, ob er vielleicht etwas im Umgang mit den Kindern anders machen sollte, der sei in seiner Lerngruppe falsch.

Nach wie vor habe sein Kind Kontakt zu Schulkameraden, man spiele miteinander, treffe sich. „Das läuft völlig problemlos ab“, betont N. Corona und die Schulpflicht seien da überhaupt kein Thema. Er selbst habe wenig Kontakt zu anderen Eltern, denn im Moment gebe es kaum Gelegenheiten, sich zu begegnen. Von einer „Spaltung“ will N. deshalb in diesem Zusammenhang nicht reden.

Sein Wunsch: Präsenzpflicht kurzfristig aussetzen, langfristig abschaffen

Was wünscht sich ein Vater, der sein Kind aus der Schule genommen hat? Dass die Präsenzpflicht kurzfristig wieder ausgesetzt wird. Dass es mittelfristig, in den nächsten Monaten, einen öffentlichen Diskurs über das Thema Beschulung/Lernen/Bildung gibt. Die staatliche Schule habe ihre Berechtigung, sei für manche das richtige System und solle daher auch keinesfalls abgeschafft werden. Aber es brauche zulässige Alternativen. „Es gibt viele Potenziale, die genutzt werden können. Wenn die angenommen werden, wird sich was im Schulsystem ändern.“ Und damit, so der dritte Wunsch, sollte nach den Sommerferien die Präsenzpflicht endgültig erledigt sein. Schulpflicht ja, aber nicht ausschließlich in der jetzt vorgeschriebenen Form also. „Das gemeinsame Ziel ist doch der Bildungserfolg.“ Wenn die Präsenzpflicht falle, müssten die Lerngruppen nicht mehr im Verborgenen agieren. „Wir wollen doch auch nur das Beste für die Kinder.“

In Deutschland besteht eine Schulpflicht. Sie dauert neun Jahre, ihr muss in der Schule nachgekommen werden. Heimunterricht und Freilernen sind nicht erlaubt. Wird die Schulpflicht nicht erfüllt, wird das mit einem Bußgeld belegt. Mitte Januar liefen im Landkreis Kitzingen 23 Bußgeldverfahren wegen Schülern, die dem Unterricht pandemiebedingt ferngeblieben sind. Pro Tag fallen laut Landratsamt in der Regel zehn Euro Bußgeld an. Nicht überall ist die Schulpflicht so streng geregelt wie in Deutschland – in einigen europäischen Ländern erlaubt die „Bildungspflicht“ auch eine Beschulung zuhause beziehungsweise das Freilernen. (len)
 
 

Kommentar:

Miteinander reden statt übereinander

Dieser Artikel wird für Diskussionen sorgen. Wir geben damit jemandem eine Stimme, der gegen gesetzliche Vorschriften verstößt und noch dazu seinen Namen nicht nennt. Jemandem, der Test- und Maskenpflicht kritisch gegenübersteht. Jemandem, für den Corona „eine Erkrankung ist, die gewisse Symptome mit sich bringt“. Jemandem, der sich ein anderes Schulsystem wünscht und das – so machen es seine Argumente deutlich – nicht nur wegen der Corona-Maßnahmen.
Ist so eine Veröffentlichung „journalistisch sauber“? Ist sie verantwortungslos oder zu verantworten? Die Antworten darauf werden unterschiedlich ausfallen. Manche werden sagen, es würden Fakten und wissenschaftliche Erkenntnisse unterschlagen, und andere, es würden Meinungen zensiert. 
Oft ist von einer drohenden Spaltung der Gesellschaft die Rede. Nur der an die Wand gemalte Teufel? Oder ist sie schon da? Auch darüber gehen die Meinungen auseinander. Fakt aber ist, dass die Fronten verhärtet sind. Die Mehrheit ist sauer auf „Corona-Gegner“. Diejenigen dagegen, die mit den Corona-Maßnahmen nicht einverstanden sind, fühlen sich in die Ecke gedrängt, tauschen sich oft nur noch untereinander aus, beziehen ihre Informationen von Leuten, die ihre Meinung stützen.  
Man hat das Recht auf eine eigene Meinung, aber nicht auf eigene Fakten. Ein viel zitierter Satz. Ein richtiger und wichtiger Satz. Dabei darf aber nicht vergessen werden, wie wichtig Emotionen für den Menschen sind. Das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Das Gefühl, für seine Meinung in eine Schublade gesteckt zu werden. Das Gefühl, benachteiligt zu sein. Das Gefühl, dass etwas anderes besser wäre als das, was gerade abläuft.  
Der Mann hat lange überlegt, ob er sich an mich als Journalistin wenden soll oder lieber nicht von seiner Situation erzählt. Das Misstrauen gegenüber „der Presse“, die Angst, dass ich seine Meinung „verdrehe“ war da. Das hat er offen gesagt. Und ich meinerseits habe lange überlegt, wie ich den Artikel schreibe – und ob überhaupt. Ich stehe hinter den Corona-Maßnahmen und ich halte auch die Schulpflicht, so wie sie jetzt besteht, für richtig. Lasse ich mich vor einen Karren spannen, den ich nicht ziehen will?
Die drohende Spaltung geht über Corona hinaus. Sie ist ein Problem, das zu lösen nicht leicht wird. Wenn wir es lösen wollen, müssen wir einander zuhören, müssen Argumente austauschen, müssen miteinander reden und nicht länger nur übereinander. Sonst wird es für alle Beteiligten schwierig, aus „denen“ wieder ein „wir“ zu machen.