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Kienle umarmt und fesselt


Autor: Diana Fuchs

Kitzingen, Donnerstag, 23. November 2017

Komplex, subtil, faszinierend: Kitzinger feiern Oliver Kienles Thriller "Die Vierhändige"
Wie früher: Nina Grötsch, Oliver Kienle und Alexandra Zepter erinnern sich gern an alte AKG-Zeiten.


Dieter Luthardt saß ganz vorne. Er hatte sich ein Ticket in Reihe 2 gekauft. Die Gefahr, beim Filmschauen im Kinosaal Genickschmerzen zu bekommen, nahm er in Kauf. Hauptsache, er konnte seinen ehemaligen Schüler und dessen Werk ganz nah erleben. Lehrer Luthardt, der einst die Theatergruppe des Armin-Knab-Gymnasiums Kitzingen geleitet hat, war nur einer der Wegbegleiter „von früher“, die am Mittwochabend Oliver Kienles Präsentation des Thrillers „Die Vierhändige“ im Cineworld erleben wollten.

Großes Hallo im Foyer des Kino-Komplexes: Umarmungen und freundschaftliches Schulterklopfen, dazwischen lockeres Geplauder und Gelächter schaffen eine Atmosphäre wie beim Klassentreffen. Autor und Regisseur Oliver Kienle, 35, der aus Kitzingen stammt und hier seine ersten Filmerfahrungen gesammelt hat, stand inmitten einstiger Schulkameraden und Freunde, von denen nicht wenige irgendwann feststellten: „Auch wenn er meistens in Berlin lebt und großes Kino macht: Er is' wie früher!“ Einige haben Oliver Kienle tatkräftig unterstützt, als er zu Schulzeiten nicht nur Filmkritiken für die „KITZINGER“ schrieb, sondern auch seine ersten Videos drehte. „Ich war bei allen Low-Budget-Produktionen dabei“, erinnert sich Toby Pitzki grinsend an Filmprojekte wie „Inkubation“ oder „Einmal Krieg und zurück“. Pitzki kennt Oliver Kienle schon seit der Grundschulzeit. „Über mich hat er seine erste Filmkamera gekriegt, eine Sony-Digi-Cam.“ Schon immer sei „der Oli“ zielstrebig gewesen. „Er hat ins Hausaufgabenheft kleine Szenen reingemalt.“ Filme machen sei sein Traum gewesen. „Und dass er das jetzt professionell macht, das ist schon echt sehr cooler Scheiß!“

Sowohl als Tatort-Regisseur als auch für sein Langfilm-Debut, das Jugend- und Freundschaftsdrama „Bis aufs Blut“ hat Oliver Kienle Lob und Preise erhalten. In beiden Produktionen haben Freunde aus der Region Kitzingen/ Würzburg mitgespielt. Anfang dieses Jahres bekam der 35-Jährige für den Mafia-Thriller „Auf kurze Distanz“, den er mitverfasst hat, die Goldene Kamera. Am kommenden Donnerstag nun startet der Psycho-Thriller „Die Vierhändige“ offiziell in den deutschen Kinos. Im Dettelbacher Cineworld hat der Film am Mittwochabend schon anhaltenden Applaus geerntet.

Als Autor und Regisseur erzählt Kienle die Geschichte der Schwestern Jessica (Friederike Becht) und Sophie (Frida-Lovisa Hamann), die in ihrer Kindheit Zeugen des Mordes an ihren Eltern werden. Die Ältere, Jessica, leidet auch als Erwachsene noch unter Wahnvorstellungen. Sophie dagegen will endlich ihr Leben leben, frei von Ängsten. Sie will Pianistin werden, sich verlieben... Als die Täter von damals nach 20 Jahren aus dem Gefängnis entlassen werden, bahnt Jessicas Angst sich einen unheilvollen Weg. Es kommt zu einem Unfall, der alles ändert. Eine der Schwestern stirbt. Oder ist sie gar nicht wirklich tot? Das Ende der extrem fesselnden, komplexen und subtilen Geschichte ist überraschend und bringt die Zuschauer noch tagelang zum Nachdenken. Bis zuletzt sind beide Schwestern präsent, wie zwei Seiten einer Münze – auch für den Assistenzarzt (Christoph Letkowski), der sich in eine der beiden verliebt.

Zur Sogwirkung des Films trägt eine geniale Sound- und Musikuntermalung bei, verbunden mit schnellen Schnitten und überraschenden Perspektiven in einer vorwiegend düsteren Atmosphäre. Die Kamera ist, bis auf die Luftaufnahmen des Schwestern-Hauses, immer ganz nah dran an den Gesichtern und Aktionen.

„Kino auf höchstem Niveau“

„Das ist Kino auf höchstem Niveau!“ Toby Pitzki ist nach dem Film völlig beeindruckt. „Sound, Stimmung, Schnitt – das hat der Oli drauf.“ Auch seine Frau Nadine ist fasziniert. „Das ist kein typisch deutscher Film, sondern erinnert mich eher an alte Psycho-Thriller aus Frankreich.“

Unter den Gästen, die noch vor dem Kinosaal stehen bleiben und über den Film sprechen, ist auch Oliver Kienles Schwester Merle: „Ich bin geflashed! Was mein mutiger kleiner Bruder geschafft hat – unglaublich.“

Oliver Kienle selbst stellt fest, dass ganz schön viel Zeit vergangen ist, bis „Die Vierhändige“ letztes Jahr endlich fertig war. „Gewalt und Trauma – das ist natürlich auch schwerer Stoff.“ 2011 hatte er angefangen, das Drehbuch zu schreiben. Dann sind vier Jahre ins Land gezogen, in denen erst die Finanzierung platzte und dann die Hauptdarstellerin schwanger wurde – „Herzensprojekte dauern.“ Letztendlich wurde der Film „an nur 28 Tagen“ gedreht, und zwar mit einem Budget, das nicht viel über dem einer Tatort-Folge lag. „Das geht eigentlich gar nicht“, konstatiert Kienle. „Aber wir haben es in einem tollen Team gewagt und geschafft.“

Steffen Jung, Schauspieler und Stuntman, nickt. Er war in der „Vierhändigen“ für die Planung der Action-Szene zuständig. „Die Szene, in der Sophie eine Plastiktüte über den Kopf gezogen bekommt, hab' ich zuallererst an mir selbst ausprobiert. 20 Sekunden ohne Luftzufuhr gehen. Trotzdem ist die schauspielerische Leistung von Frida-Lovisa toll.“ Und der Regisseur? Bevor Steffen Jung diese Frage beantworten kann, stellt Oliver Kienle ihm augenzwinkernd eine weitere: „Wer ist besser: Tarantino oder ich?“ Steffen Jung gibt sich kurz nachdenklich, bevor er grinsend sagt: „Du!“ Nach kurzer Pause fügt er hinzu: „Ganz im Ernst: Der Oli ist keiner, der am Set rumschreit. Wenn er genervt ist, dann merkt man das eher daran, dass er nicht mehr so viele Witze macht und ein bisschen mehr Kraft in seine Stimme legt...“

Auch Oliver Kienles früherer Lehrer Dieter Luthardt sagt: „Er war immer ein höflicher, besonnener Mensch. Ich erinnere mich gut daran, wie er den Demetrius im Sommernachtstraum gespielt hat...“ Ob damals schon offensichtlich gewesen sei, dass sein Schüler mal zum Film geht? „Ich habe ihm auf jeden Fall viel zugetraut“, sagt Luthardt. Dann schiebt er eine Kurzanalyse der „Vierhändigen“ nach: „Ich bin sehr beeindruckt, auch wenn ich nicht sofort jede Kleinigkeit verstanden habe und über manches nachdenken muss. Aber so soll das ja sein.“

Der Thriller „Die Vierhändige“ läuft ab 30. November im Cineworld Dettelbach. Die nächsten Projekte von Oliver Kienle: Anfang März startet auf ZDF und arte die Finanz-Thriller-Serie „Bad Banks“, für die Kienle des Drehbuch geschrieben hat. Als Regisseur wird er demnächst eine Komödie drehen.