Jedes Jahr feuchte Augen
Autor: Ralf Dieter
Kitzingen, Dienstag, 21. Mai 2019
Als Club-Fan lernt man was fürs Leben. Zum Beispiel, wie man mit Höhen und Tiefen umgeht und trotz Niederlagen treu bleiben kann.
Menschen wollen gewinnen, denn das Verlieren macht wenig Spaß. Häufiges Verlieren frustriert. Insofern müssten die Fans des 1. FC Nürnberg in diesen Tagen äußerst frustriert durchs Leben laufen. Tun sie aber nicht. Ein Lehrstück über die Gelassenheit im Angesicht des Leids und den Willen, immer wieder aufzustehen.
Treffpunkt Parkplatz am Kaufland in Kitzingen: Olaf Müller kommt aus Geiselwind angefahren. Zu übersehen ist er nicht. Sein Auto ist ein rollendes Statement. Seht her: Ich bin ein Club-Fan.
Rot-Schwarz die Lackierung, auf den Türen ein überdimensionales Logo, selbst die Radkappe ziert ein FCN-Emblem. Auf dem Armaturenbrett im Inneren haben sich ehemalige Spieler und Funktionäre verewigt: Marek Mintal hat unterschrieben, der ehemalige Sportvorstand Martin Bader und viele mehr. Olaf Müller fährt zu jedem Heimspiel mit seinem Polo, ein Parkplatz ist für ihn direkt am Stadion reserviert. Sein Sohn und einer seiner Enkel sind fast immer mit dabei. Alle fünf Enkel sind FCN-Mitglieder. „Von Geburt an.“
Olaf Müller stammt aus Thüringen, in seiner Jugend war er Fan des FC Carl-Zeiss Jena. Nach der Wende kam er nach Franken, das erste Spiel im Max-Morlock-Stadion erlebte er vor 18 Jahren. Olaf Müller weiß es noch wie heute. „Es war Liebe auf den ersten Blick.“ Gegner war der TSV 1860. Damals noch mit Icke Häßler. „Das Umfeld, die Euphorie. Ich war hin und weg.“
Neunmal ist der Club in seiner Geschichte abgestiegen. Rekord. Olaf Müller hat drei Abstiege mitgemacht. Gezweifelt hat er trotzdem nie. Der Club ist für ihn schließlich eine Familie geworden. „Natürlich hatte ich beim letzten Heimspiel Tränen in den Augen“, sagt er und muss schmunzeln. „Als Club-Fan hast du jedes Jahr feuchte Augen. Mal vor Freude, mal vor Schmerz.“ Was gegen das Leiden hilft? „Humor“, sagt der 59-Jährige. „Und die Gemeinschaft.“
Wie in jeder Beziehung müsse auch der Fußballfan mit Höhen und Tiefen zurechtkommen, meint Michael Rebitzer vom FCN-Fanclub in Rüdenhausen. Schon als kleines Kind ist er von seinem Vater ins Nürnberger Stadion mitgenommen worden. Seither ist er Club-Fan. Seine beiden Söhne haben auch schon eine Mitgliedschaft. Das Leiden gehöre als Club-Fan dazu. „Aber Meckern bringt gar nichts“, meint er. Besser sei es, die Mannschaft zu unterstützen – gerade, wenn zu spüren ist, dass sie sich selbst reinkniet, so wie es in dieser Saison der Fall war. Michael Rebitzer kennt das Leiden in einer ganz anderen Dimension. Er ist im Rettungsdienst aktiv. Seine Lehre: „Man kann sich darauf vorbereiten und so das Leid minimieren.“ Dass am Ende auch mal die Tränen kullern, sei normal. „Das Schöne als Club-Fan ist ja, dass es auch immer wieder Glückstränen gibt.“
Eine Woche vor Saisonende war der Rekord-Abstieg besiegelt. Robert Degen und seine Mitstreiter vom FCN-Fanclub Weinfranken Dettelbach sind trotzdem zum Saisonende nach Freiburg gefahren. Eine derbe 1:5-Klatsche mussten sie mit nach Hause nehmen. „Die Fahrt war schon ein Dreivierteljahr vorher geplant“, erklärt Vereinsvorsitzender Degen am Montagabend nach dem Spiel und versichert: „Die Stimmung war trotzdem gut.“