Immer den Menschen im Blick
Autor: Daniela Röllinger
Kitzingen, Montag, 09. Mai 2022
Diakonie-Geschäftsführer Jochen Keßler-Rosa geht in den Ruhestand. Er hat viel erlebt und gestaltet – und mit seiner Meinung nie hinterm Berg gehalten.
Kitzingen Knapp 30 Jahre trug Jochen Keßler-Rosa die Verantwortung für die Diakonie in der Region, war auch Geschäftsführer der Diakonie Kitzingen. In dieser Zeit hat sich viel verändert in der Pflege. Ob Finanzen, Baumaßnahmen, die Umsetzung neuer Gesetze, Pflegenotstand oder Corona – bei der Lösung aller Probleme war ihm stets Eines wichtig: „Im Vordergrund muss immer der Mensch stehen.“
Jochen Keßler-Rosa: Es fühlt sich ein bisschen unwirklich an. Auf der einen Seite ist da Erleichterung, dass nicht mehr so viel Verantwortung auf meinen Schultern lastet. Es war schon extrem in den letzten zwei Jahren. Gleichzeitig ist da jetzt so etwas wie ein offenes, freies unbekanntes Land vor mit... Unterm Strich fühlt es sich aber gut an.
Sie waren etwa 30 Jahre Leiter des Diakonischen Werks, erst nur in Schweinfurt, später kam unter anderem Kitzingen dazu. Was hat sich in diesen Jahrzehnten verändert?Keßler-Rosa: Die Pflegebranche hat sich deutlich professionalisiert. Ich habe die Einführung der Pflegeversicherung miterlebt, die ein unglaubliches Wachstum in der Pflege mit sich brachte. Zugleich ist der Bedarf an sozialer Arbeit gestiegen. Wir erleben, dass immer mehr Menschen mit den Anforderungen, die an sie gestellt werden, nicht mehr zurechtkommen. Mein Arbeitsschwerpunkt lag zu zwei Dritteln in der Altenpflege, zu einem Drittel bei Sozialer Arbeit – beide Bereiche sind gewachsen.
Keßler-Rosa: Man kann sagen, dass es mein Job ist, zu schauen, wo es Geld gibt, um die Aufgaben, die wir haben, erledigen zu können. Wir sehen den Bedarf und überlegen: Wie kriegen wir die Finanzierung hin? Die Hilfesysteme sind ja auch gewachsen, der Pflegeschlüssel hat sich weiterentwickelt, die Einnahmemöglichkeiten sind gestiegen, wir haben Partner wie beispielsweise die öffentliche Hand, können Bankdarlehen aufnehmen. Das ist ein unternehmerisches Denken. Zugleich aber geht es immer zuerst um den Menschen. Darum, was der Mensch braucht.
Keßler-Rosa: Der Pflegenotstand ist eine Herausforderung, und Corona hat die Situation noch verschärft. Wir müssen überlegen: Wie kann man das Personal gut genug behandeln, die Tarife erhöhen, die psychische Belastung verhindern, das Arbeitsfeld anpassen? Wir müssen der Politik sagen: Ihr müsst was tun für das Image des Pflegeberufes. Es ist kein Beruf, den man mal eben nebenher machen kann, sondern ein Heilberuf, der auf Augenhöhe mit anderen medizinischen Berufen stehen muss. Und noch etwas: Nachbarschaftshilfe muss mehr Wertschätzung erfahren, da kann im Vorfeld von Pflege und Betreuung viel Gutes erreicht werden.
Mit Ihrer Meinung haben Sie nie hinter dem Berg gehalten, waren und sind ein Mann offener Worte, sei es zur Pflege, zu Hartz IV, beim Thema Asyl oder auch zur Impfpflicht. Eckt man da an?Keßler-Rosa: Ja klar. Deshalb habe ich auch nie politisch Karriere gemacht. Ich habe ein gutes Verhältnis zu den Politikern auch vor Ort, aber ich verbiege mich nicht, habe mich nie „verkauft“, um in der Politik aufzusteigen. Für mich ist das aber kein Anecken, was Sie ansprechen. Ich habe versucht, Inhalte zu transportieren. Obwohl es sicherlich Leute gibt, die sagen, ich wäre unbequem.
Sie gehörten lange dem Schweinfurter Stadtrat an, waren erst bei der CSU, dann bei den Freien Wählern, wollten Oberbürgermeister werden, saßen im Bezirkstag, haben für die Bundestagswahl kandidiert. Es gibt nicht viele Pfarrer, die politisch aktiv ist. Warum ist Ihnen politisches Engagement wichtig?Keßler-Rosa: Das ist tatsächlich eine Glaubensfrage. Ich bin in der evangelischen Jugend groß geworden, da haben wir uns die Köpfe heiß geredet. Es gibt verschiedene Möglichkeiten: Ich engagiere mich für die Gesellschaft auf der Kanzel und in der Schule, was ich ja anfangs auch gemacht habe. Oder ich rede auf andere Weise mit. Für mich war das die Diakoniearbeit. Da kann ich umsetzen, was ich auch auf der Kanzel sagen würde. Als Stadt- und Bezirksrat durfte ich keine gottesdienstlichen Handlungen ausführen – und das ist völlig in Ordnung so. Das hat mir ein Stück Freiheit gegeben. Aber ich wurde immer respektiert als jemand, dessen Beruf Pfarrer war. Ich habe gute Erfahrungen gemacht mit den Leuten in der Kirche und in der Politik.