Druckartikel: Hand in Hand am Handy

Hand in Hand am Handy


Autor: Julia Volkamer

Kitzingen, Mittwoch, 09. Juni 2021

Damit Kinder den verantwortungsvollen Umgang mit ihrem Smartphone lernen, braucht es Digitalministerium, Polizei, Schule – und die Eltern.
Polizeipräsident Gerhard Kallert und Digitalministerin Judith Gerlach werben für eine verantwortungsvolle Handynutzung.


Das Foto taucht immer wieder auf. Lena R. (Name von der Redaktion geändert) wollte eigentlich nur ihrer Freundin das neue Oberteil zeigen, das der Paketdienst gerade geliefert hatte. Mit der sexy Pose kam aber der Kummer. Erst Streit mit der Freundin. Dann das Foto auf allen Kanälen. Und eine Zwölfjährige, die Angst davor hat, den Stempel auf ihrer Stirn nie mehr los zu bekommen.So wie Lena ging es schon Jugendlichen, die sich der Tragweite ihrer Aktivität auf dem Smartphone nicht bewusst sind. Dabei sind die jungen Handynutzer längst nicht nur Opfer, sondern oft auch Täter.

„Man muss das Thema zum Thema machen, die Eltern in die Verantwortung nehmen.“
Markus Hack, Polizeidirektor

In vielen Fällen unwissentlich, weiß Markus Hack, Leiter der Polizeiinspektion Kitzingen.

Unter Umständen strafbar

Darum war es für ihn auch keine Frage, sich zusammen mit dem Kollegen Christopher Gansbühler im Rahmen der bayernweiten Kampagne „Dein Smartphone – Deine Entscheidung“ an einem virtuellen Elternabend am Armin-Knab-Gymnasium in Kitzingen (AKG) zu beteiligen.

„Die Kinder müssen im Umgang mit ihrem Handy geschult werden“, erklärt der Polizeidirektor. „Sie müssen wissen, welche Folgen es haben kann, wenn ich etwas schreibe, etwas speichere, etwas verschicke. Dass ein Foto nicht weg ist, wenn sie es bei sich löschen. Und dass sie sich unter Umständen strafbar machen, wenn sie etwas speichern oder weiterschicken.“

Genau an diesem Punkt setzt das Präventionsprogramm des Bayerischen Digitalministeriums unter Federführung von Judith Gerlach und der Bayerischen Polizei an. Anfang Mai gaben beide den Startschuss für eine Reihe von Veranstaltungen mit Eltern und Schülern.

90 Teilnehmer bei Videokonferenz

Am AKG stieß das Angebot auf großes Interesse: Rund 90 Teilnehmer verzeichnete Schulleiterin Monika Rahner bei der Videokonferenz, während der es nach einer informativen Präsentation der Faktenlage auch zu einer lebhaften Diskussion kam. Sowohl Polizeichef Hack als auch Oberstudiendirektorin Rahner vertraten die Meinung, dass vor allem auch die Eltern eine wichtige Rolle bei der Smartphone-Nutzung ihrer Kinder spielen. „Wichtig ist, dass es erzieherische, vorbeugende Maßnahmen gibt, die bei den Kindern ansetzt, aber auch regulatorische Konsequenzen, die vor allem durch die Eltern durchgesetzt werden müssen.“ So sieht es auch Markus Hack. „Man muss das Thema zum Thema machen, die Eltern in die Verantwortung nehmen. Sie müssen mit viel Einfühlungsvermögen dafür sorgen, dass die Kinder ihrerseits eine Sensibilität für die Smartphone-Nutzung entwickeln.“ So könnten sie ihrem Kind viel Ärger, aber auch viel Leid ersparen. „Ob brutale Gewaltvideos oder Mobbing in Chatgruppen: Leider kommen Kinder und Jugendliche viel zu häufig in Kontakt mit schlimmen Inhalten im Netz“, hatte Digitalminsterin Gerlach bei der Auftaktveranstaltung in Aschaffenburg gewarnt. „Die Schäden an Kinderseelen können gravierend sein.“ Oft sei allein der Besitz solcher Inhalte strafbar, und so hält es Unterfrankens Polizeipräsident Gerhard Kallert für unerlässlich, die Eltern mit einzubeziehen und „aktiv zu werden, bevor sich Jugendliche strafbar machen“. Auch Oliver Schübert weiß aus seiner Erfahrung als Medienexperte beim „Jungstil“-Team der Kitzinger Stadtjugendpflege, dass Bilder oft aus reiner Unwissenheit verbreitet werden. In den wenigsten Fällen stecke, gerade bei den jüngsten Smartphone-Nutzern im Alter von elf, zwölf Jahren, eine böse Absicht dahinter. Dafür, pornografische und auch gewaltverherrlichende Inhalte zu verstehen und bewusst weiter zu verbreiten, seien die Kinder in diesem Alter fast noch zu jung, erklärt Schübert. Hier bestehe das Problem eher darin, wie die Kinder sich in den sozialen Medien zeigen wollen – oder sollen: Wie gehe ich digital mit meinem Körper, mit meiner sich entwickelnden Sexualität um? Wie bekomme ich Rückmeldungen von Leuten aus meiner Altersgruppe, ob ich attraktiv bin. „Bilder und Videos werden erstellt und geteilt, um zu sehen, wie die Welt auf mich reagiert“, erklärt Oliver Schübert die Motivation der Jugendlichen, sich öffentlich zu zeigen.

Eltern spielen entscheidende Rolle

Dass diese Dateien aber auch von ganz anderen Menschen betrachtet, heruntergeladen, gespeichert und verbreitet werden können, ist vielen Kindern in seiner Tragweite nicht bewusst. „Deswegen ist eine medienpädagogische Aufklärung in dem Alter sehr wichtig.“ Dass Digitalministerin Judith Gerlach dabei die Polizei und die Schulen mit ins Boot holt, ist vor diesem Hintergrund eine richtige Entscheidung, findet auch Monika Rahner. Die Schulleiterin ist überzeugt, dass die Eltern eine entscheidende Rolle bei der Medienerziehung einnehmen müssen. Die Aufgabe der Polizei sei es, vor allem auch die Eltern über die Gefahren der Smartphone-Nutzung ihrer Sprösslinge aufzuklären. Am Armin-Knab-Gymnasium werden dann vornehmlich ihre Kinder gezielt dabei begleitet. „Wir haben ein Präventionsprogramm, das nicht mit dem erhobenen Zeigefinger arbeitet, sondern sich auf die Ebene der Jugendlichen begibt.“ So würden zum Beispiel beim Theaterabend „Krasses Zeug“ verschiedene Szenen auf die Bühne gebracht, die die Kinder zum Nachdenken anregen sollen. Diese werden dann auch noch einmal im Unterricht aufgearbeitet. Und trotzdem weiß die Pädagogin, dass Medienerziehung ohne die Unterstützung der Eltern nicht funktioniert – und dass Konflikte dabei vorprogrammiert sind. „Sie allein haben es in der Hand, die Handyzeiten der Kinder zu beschränken.“ Dabei sei viel Fingerspitzengefühl gefragt. „Kinder sind damit überfordert, sich selbst einzuschränken – wie auch die Erwachsenen. Man kennt das ja von sich selbst, wenn man versucht, etwas abzustellen, das man bei sich selbst als veränderungswürdig erkannt hat. Das gelingt nicht immer sofort.“ Trotzdem brauche es, bei aller Privatsphäre für die Kinder, beim Thema Smartphone einfach ein gewisses Maß an Kontrolle durch die Eltern.

Und so schließt sich Markus Hack dem Appell seines Präsidenten an. „Gerade weil die Kinder teilweise fitter am Smartphone und mit den sozialen Netzwerken sind, müssen sich die Eltern selbst auch damit beschäftigen.

„Die Schäden an

Kinderseelen können gravierend sein.“

Judith Gerlach, Digitalministerin

Sie müssen ihnen klar machen, dass sie selbst entscheiden, was sie veröffentlichen, was sie teilen und weiterleiten.“ Sollte es sich nämlich um strafbare Inhalte handeln, gilt das Legalitätsprinzip, die Polizei muss der strafbaren Handlung nachgehen und sie zur Anzeige bringen. Während des Elternabends entwickelte sich dazu eine lebhafte Diskussion und die Beamten konnten wertvolle Tipps geben, welche konkreten Maßnahmen Eltern ergreifen können, um ihre Kinder vor Smartphone-Missbrauch zu schützen – sowohl als Opfer wie auch als Täter. „Es gibt in nahezu jeder Klasse mindestens eine What's App-Gruppe, in der nicht alle Schüler drin sind“, weiß Markus Hack auch um das Thema Mobbing – welches ebenfalls strafrechtlich verfolgt werden kann. „Viele lassen sich übers Handy einfacher anstecken, machen einfach mit“, sagt der Polizeichef. „Den wenigsten ist bewusst, dass sie jemanden durch das, was sie in einer Nachricht über ihn schreiben, auch ausgrenzen können.“ Wird das Mobbing angezeigt, geht die Polizei dem Sachverhalt grundsätzlich nach. „Ob es zur Strafe kommt, entscheidet dann die Staatsanwaltschaft.“ Damit es so weit nicht kommt, soll das Pilotprojekt „Dein Smartphone – Deine Entscheidung“ in Zukunft noch ausgebaut und verbessert werden. Der Ansatz ist aus Sicht der Experten aus Jugendarbeit und Schule sowie der Polizei jedenfalls richtig. Durch gezielte Aufklärung können Kinder und Jugendliche vor großem Leid geschützt werden – und davor, ein gefühltes Leben lang mit einem Stempel auf der Stirn herumzulaufen.