Geschmackvolle alte Schätze
Autor: Daniela Röllinger
Kitzingen, Dienstag, 05. Oktober 2021
Was wächst an den Bäumen im Landkreis? In einem Pilotprojekt des „Streuobstpaktes Bayern“ bestimmen Pomologen Äpfel und Birnen. Dazu braucht es die Hilfe der Bürger.
Ist es ein „Trockener Martin“ oder nicht? Die drei Fachleute sind sich nicht ganz einig. Eine Vergleichsprobe soll auch die letzten Zweifel beseitigen, ob die Birne, die da vor ihnen im Korb liegt und an einem Baum im Landkreis Kitzingen gewachsen ist, wirklich der seltenen Sorte angehört. Es ist nur eine von über 200 Proben, die an diesem Tag im Landratsamt begutachtet werden.
Sie stehen auf den Feldern, in den Fluren, an den Wegen, neben Scheunen, in Gärten und Höfen: Apfel- und Birnbäume, die von den Vorfahren gepflanzt wurden und über die heute nur noch wenig bekannt ist. Oft kennt keiner mehr die Sorte, die Bäume sind überaltert, wenig gepflegt. Kümmert sich niemand um den Erhalt, bedeutet das nicht nur den Verlust einzelner Bäume. Weitaus schlimmer: Es gehen alte und seltene Sorten verloren.
Schätzungen gehen von 35 000 Streuobstbäumen im Kreis aus
Das zu verhindern, ist Ziel eines bayernweiten Pilotprojekts im Rahmen des „Streuobstpaktes Bayern“. Dabei treffen sich Pomologen an jeweils zwei Terminen in den Landkreisen Kitzingen und Landshut, um Früchte zu bestimmen und, so Mechthild Engert, „hoffentlich sogar verschollene Schätze zu heben“. Daher hat die Kreisfachberaterin gemeinsam mit Markus Schmitt vom Landschaftspflegeverband die Bürger aufgerufen, Äpfel und Birnen abzugeben, die an ihren Bäumen wachsen. Je Obstsorte sollen fünf typische Früchte gesammelt und an einer von 13 Sammelstellen abgegeben werden, zusammen mit Angaben über den Eigentümer, den Standort und darüber, wie die Früchte verwendet werden. Zum Backen, zum Beispiel, oder zum Brennen. Der erste Probentermin fand Ende September statt, der zweite steht im Oktober an.
200 verschiedene Äpfel und Birnen anschauen, riechen, schmecken, begutachten, die Sorten erkennen: Steffen Kahl und Wolfgang Subal sowie Hans-Thomas Bosch vom Kompetenzzentrum Obstbau Bodensee haben beim ersten Probentermin im Landratsamt gut zu tun. Und doch sind 200 Proben wenig, denn es gibt im Landkreis Kitzingen trotz eines gewaltigen Rückgangs schätzungsweise noch um die 35.000 Streuobstbäume. „Wir hoffen, dass beim nächsten Termin Ende Oktober noch mehr Leute mitmachen“, sagt Mechthild Engert.
Form , Färbung, Stiel, Größe - alles wird untersucht
Die drei Pomologen nehmen die Früchte genau unter die Lupe, um die Sorte zu bestimmen. Form, Färbung, Verteilung der Färbung, der Stiel, der Kelch, die Größe – es gibt viele Merkmale, mit deren Hilfe die Fachleute die Früchte unterscheiden können. Einfach ist es trotzdem nicht. Weil die Sorte nicht nur die Frucht an sich ist, sondern auch der Baum, den die Pomologen beim Termin im Landratsamt ja nicht sehen. Zudem können sich selbst Früchte der gleichen Sorte unterscheiden. In einem trockenen Jahr sehen sie anders aus als in einem feuchten Jahr, von einem alten, ungeschnittenen Baum anders als von einem jungen. Auch Insekten können Spuren hinterlassen. „Je kleiner die Frucht, desto weniger prägen sich die typischen Merkmale aus“, sagt Steffen Kahl. „In schlechten Jahren kann man manche Sorten gar nicht bestimmen“, fügt Wolfgang Subal an. Gerhard Horak verfolgt das Tun der drei Pomologen mit großem Interesse. Er setzt sich seit vielen Jahren für den Erhalt der Casteller Streuobstwiesen ein, pflanzt selbst auf von ihm gepachteten Flächen alte Sorten. Auch er hat Äpfel und Birnen abgegeben, die nun begutachtet werden, zudem konnten andere Bürger bei ihm ihre Proben abliefern.
Erfolg: Ein „Trockener Martin“ wurde bereits gefunden
„Gesucht: Trockener Martin und Kitzinger Taubenapfel“ – unter dieser Überschrift haben Mechthild Engert und Markus Schmitt die Bürger zum Mitmachen aufgerufen. Nur zwei von vielen selten gewordenen Sorten, auch die Sussbirne gehört dazu oder der kleine Herrenapfel. Einen Trockenen Martin haben sie tatsächlich schon beim ersten Termin gefunden – die Frucht mit dem relativ trockenem Fruchtfleisch, die sich bestens zum Dörren eignet. Mit dem Kitzinger Taubenapfel dürfte es allerdings schwieriger werden. Die Sorte, die einst vor allem im südlichen Landkreis wuchs und hoffentlich auch noch wächst, hat selbst so mancher Pomologe noch nie gesehen. Den Taubenapfel zu erkennen, ist nicht einfach, denn er taucht zwar in alten Baumschullisten mit einer kurzen Beschreibung auf, eine wirkliche pomologische Bestimmung mit ausführlicher Beschreibung der Merkmale gibt es aber nicht. Beschreibung der Samen, des Fruchtfleisches, des Geschmacks, der Konsistenz, des Aussehens samt Kelch und Stiel, womöglich eine Längsschnittzeichung? Gerade bei den lokalen Sorten sucht man das vergebens.
Das Wissen über die alten Sorten droht daher verloren zu gehen, wenn niemand eingreift – ebenso wie die alten Sorten selbst. Deshalb ist es „allerhöchste Zeit die letzten ihrer Art zu retten“, appelliert Markus Schmitt, die Sorten zu finden und wieder anzupflanzen. Mit der Abgabe von Früchten bis spätestens 22. Oktober an den Sammelstellen können die Bürger einen wichtigen Teil dazu beitragen.