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Franken im Wüstensand


Autor: Sabine Ludwig

Bad Kissingen, Montag, 17. Sept. 2018

Der Einsatz im Norden von Mali gilt als derzeit gefährlichste UN-Mission weltweit.
Der Frankenstammtisch in der Wüste ist sonntags ein beliebter Treffpunkt der Soldaten. Der Ansbacher Michl R. (vorne rechts) genießt mit seinen Kameraden Markus R. (hinten rechts), Michael R. (hinten links) und Stefan J. (vorne links)  die Spezialitäten aus der Heimat, die die Familien über Feldpost schicken.


Michl R. hat gerade eine Nachtschicht hinter sich. Jetzt blinzelt der Ansbacher in die sengende Sonne. Sein Haar ist noch feucht. „Zwei Minuten duschen, mehr ist nicht drin. Wenn jemand von uns zuviel von dem Nass verbraucht, wird das Wasser abgestellt.“ Die Regeln bei der Bundeswehr sind streng. Die Bedingungen, die das Leben im Wüstensand mit sich bringen, muss auch der Mittelfranke akzeptieren.

Der „Frankenstammtisch“ hilft ihm dabei. Wie jeden Sonntag sitzt der Oberleutnant mit fränkischen Kameraden im Freien vor der Castor-Bar. Das muss sein, dieses bisschen Gefühl von Heimat. Das schweißt zusammen. Kameradschaft ist bei der Bundeswehr ein großes Thema, und es wird hier am Wüsten-Stammtisch auch im Kleinen zelebriert. Mit heimischen Würstchen, Salami und „Opa?s Weißem“. Die Feldpost hat die Schmankerl gebracht. Geschickt von den Lieben daheim.

Wie eine Trutzburg mit drei Kilometern Mauer und Stacheldraht ragt das deutsche Camp Castor aus dem roten Sand. Einen Steinwurf entfernt liegt die einst blühende Stadt Gao, die heute nur noch mit Patrouillen in geschützten Fahrzeugen angefahren wird. Temperaturen um die 40 bis 48 Grad gehören zum Alltag. Soldatenleben im Extremen.

Soldat Markus R. erinnert sich an frühere Einsätze. In ganz Europa ist der Streudorfer mit der Bundeswehr unterwegs gewesen, einige Male auf NATO-Ebene. Der Hauptfeldwebel absolviert in Mali seinen Dienst in der Zahlstelle von Camp-Castor. „Ich versorge die Kameraden mit Bargeld und leiste Zahlungen, die das Kontingent betreffen“, sagt der begeisterte Cabrio- und Motorradfahrer. Was mag er an seinen Job? „Es ist jedes Mal eine neue Herausforderung, das gefällt mir. Ich kenne viele Kameraden aus früheren Einsätzen.“ Zugute kommt ihm, dass er ungebunden ist.

Single ist Stefan J. nicht mehr. Er freut sich schon auf seine Freundin. Ende September wird er sie wieder in die Arme schließen können. Verständnisvoll war sie damals am Militärflughafen Köln-Bonn, als der Fürther in die Wüste flog. Das schätzt er an ihr und vieles mehr. Und nächstes Jahr wird endlich geheiratet. Ganz sicher. Da wird ihm kein Einsatz mehr in die Quere kommen. Der Berufssoldat träumt vom Familienleben mit ein, zwei Kindern.

Doch jetzt heißt es noch, sich in Geduld zu üben. Der Fürther koordiniert fünf Rettungsteams. Für den Fall der Fälle. Anfang 2018 gab es einige Angriffe auf Konvois und auch immer mal wieder Angriffe mit Mörserfeuer. Im April schlug eine von drei abgefeuerten Raketen in der Nähe des Super-Camps in Gao ein. Es gab weder Verletzte noch Tote. Auch in das UN-Camp bei Timbuktu haben insgesamt neun Selbstmordattentäter versucht, einzudringen. Sie wurden erfolgreich abgewehrt.

Bei einem Anschlag mit Verletzten gilt die 10-1-2-Regel. Das heißt, dass in zehn Minuten die Erste Hilfe durch Kameraden vor Ort erfolgen muss. Innerhalb der ersten Stunde muss die Behandlung durch einen Arzt geschehen, der mit dem MedVac-Hubschrauber, der im Camp zum Einsatz bereit steht, eingeflogen wird. Flankiert wird er von ein bis zwei Kampfhubschraubern, um die Evakuierung zu sichern. Innerhalb von zwei Stunden muss die chirurgische Versorgung in einem Militärkrankenhaus, etwa im nahe gelegenen UN-Super-Camp, stattfinden. Das ist das Szenario im Ernstfall, der jederzeit passieren kann. „Alle Sanitätseinsätze der Deutschen laufen über mich. Das gilt es zu koordinieren mit all dem nötigen Papierkram“, betont der frühere Erlanger Waldorf-Schüler.

Bis jetzt verliefen die Einsätze glimpflich. „Wir hatten drei Verletzte, die aufgrund der großen Hitze kollabierten. Einmal kam einer unserer Diensthunde in die Rettungsstelle, auch ihm hatte das Wüstenklima zugesetzt. Die Veterinärin und das Notfallteam haben ihn runtergekühlt. Er konnte die Rettungsstelle später auf allen vier Pfoten wieder verlassen.“ Im Camp gibt es mehrere Schutz- und Sprengstoffhunde.

In unmittelbarer Nähe des deutschen Lagers liegt das so genannte Super-Camp der Vereinten Nationen, in dem sich das Militärkrankenhaus befindet und Truppen aus dem Senegal, China und Bangladesch stationiert sind. Ziel aller ist es, den Konfliktherd zu befrieden. Kein leichtes Unterfangen, denn Nordmali allein ist doppelt so groß wie Deutschland.

Der Einsatz namens MINUSMA (Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali) gilt als die derzeit gefährlichste UN-Mission weltweit. Aber: „Mali ist nicht Afghanistan“, betont Kontingentführer Aslak Heisner. „Jeder Einsatz ist anders, die Konflikte sind vielschichtig: Die Ursachen unterscheiden sich und natürlich auch die Herausforderungen vor Ort. “ Mit Blick auf seine Erfahrungen stellt er fest, „dass das Engagement der Bundeswehr in allen Einsatzgebieten den Menschen immer Perspektiven und Hoffnungen gegeben hat“.

„Begeistert ist sie nie,

wenn ich auf

Auslandseinsatz bin.“

Oberleutnant Michl R. über seine Verlobte

Insgesamt 12000 Soldaten beteiligen sich an dieser UN-Friedensmission. Ziel ist es, die Stabilisierung des malischen Staats zu unterstützen und einem drohenden Bürgerkrieg entgegenzuwirken. Die rund 1000 deutschen Soldatinnen und Soldaten sollen Aufklärungsergebnisse zur Verfügung stellen. Dazu fahren sie auch in die umliegenden Dörfer, um mit den Dorfältesten und lokalen Autoritäten zu reden.

Sonntags aber ist Frankenstammtisch. Michl R., der in der Luftwaffenkaserne in Köln-Wahn stationiert ist, prostet seinen Kameraden zu. Es gibt Weißbier. Alkoholfrei, versteht sich. Im Camp herrscht Zero Promille. Für den gesamten Einsatz. „Ein ordentliches Bier vermisse ich schon“, schmunzelt er. „Und richtige Teller mit stabilem Besteck.“ Denn im Lager gibt es aufgrund der Wasserknappheit nur Plastikgeschirr, das nicht gespült werden muss. Dem Ansbacher gefällt sein Job als Sensorbediener der Drohne Heron. Verantwortlich ist er dabei für Kameraführung und Flugtechnik.

„Uns steht in Mali Spitzentechnik zur Verfügung, und wir müssen den Vergleich mit anderen Staaten nicht scheuen. Zum Beispiel kann die Heron-Drohne in ganz Nordmali zur Überwachung eingesetzt werden. Oder die kleinere Aufklärungsdrohne LUNA, die regional auch bei den Wahlen kürzlich für Aufklärungsergebnisse im Raum Gao sorgte“, sagt Kontingentführer Heisner.

Ab Oktober ist der Bad Kissinger Michael R. wieder in der Saaleck-Kaserne in Hammelburg anzutreffen. Der Präsident des EC Bad Kissinger Wölfe dient zurzeit auch in Nordmali. Und für Zuhause hat der Eishockeytrainer auch schon Pläne. „Ich will den nordbayerischen Nachwuchs voranbringen. Und meinen Ruhestand werde ich wohl auf dem Eis verbringen. Wahrscheinlich wird man mich auch da beerdigen“, schmunzelt der 48-Jährige. Wie sich der Eishockeytrainer in der Wüste fit hält? „Sobald es die Temperaturen zulassen, also sehr früh am Morgen oder nach Sonnenuntergang trainiere ich im Sportcenter“, sagt der vierfache Familienvater.

Die fränkischen Wimpel über dem Stammtisch flattern im Wüstenwind. Noch ein Prost auf die Heimat und dann geht es für drei Kameraden, auch wenn es Sonntag ist, zurück an den Arbeitsplatz. Und für Oberleutnant Michl R. erst einmal ins Bett. Zuvor ruft er aber noch seine Verlobte daheim an. „Begeistert ist sie nie, wenn ich auf Auslandseinsatz bin. Aber das ist mein Job. Sie hat es von Anfang an gewusst und akzeptiert.“ Er hofft, in Zukunft heimatnah eingesetzt zu werden.

UN-Mission in Mali

Das Mandat für die Bundeswehr in Mali geht bis Mai 2019. Die Verlängerung ist so gut wie sicher. Denn Frieden im Wüstenstaat wird es so schnell nicht geben. Dazu hatte Kanzlerin Angela Merkel Anfang des Jahres erklärt, dass Deutschland zwischen 2017 und 2020 1,7 Milliarden Euro für die Entwicklung der Sahelstaaten ausgeben werde.