Druckartikel: Feine Arbeit

Feine Arbeit


Autor: Julia Volkamer

Kitzingen, Dienstag, 07. Juni 2022

Die Flüchtlingswelle aus der Ukraine entpuppt sich hierzulande als echte Chance. Die Gastronomie könnte davon profitieren, die neuen Mitarbeiter und auch die Gäste, weiß der Dettelbacher Gastronom Thomas Dauenhauer. Er freut sich, mit Roman einen motivierten Auszubildenden zu bekommen.
Roman fühlt sich in der Küche des Akzenthotels Franziskaner in Dettelbach sehr wohl. Er ist dort für alle möglichen Zuarbeiten zuständig – und wird ab August seine Ausbildung zum Koch beginnen.


Das professionelle Schnibbeln beherrscht Roman schon perfekt – wenn er aber erklären soll, welches Kraut er da gerade in millimeterfeine Röllchen schneidet, braucht er das Handy. Er spricht das ukrainische Wort hinein und eine mechanische Stimme antwortet: „Schnittlauch“. Derzeit greift der junge Mann in der reinweißen Kochjacke noch häufig zum mobilen Übersetzer. Aber das wird sich geben. Da ist auch Thomas Dauenhauer sicher. Der Gastronom hat den Flüchtling aus der Ukraine eingestellt – und sieht das als echte Chance. Für alle Seiten.

Dauenhauer ist Gastgeber aus Leidenschaft. Sein „Akzenthotel Franziskaner“ in Dettelbach haben inzwischen die beiden Töchter federführend übernommen, der gelernte Konditor konzentriert sich zusammen mit seiner Frau Eva-Maria eher auf das Café Kehl und das Hotel am Bach. Was ihnen zu ihrem Gastronomen-Glück fehlt, sind Mitarbeiter – das ist an sich nichts Neues. Genauso wenig, wie die Tatsache, dass Corona den Mangel noch verstärkt hat. „Ein Job in der Gastronomie war mal krisensicher“, sagt Dauenhauer, der gleichzeitig Kreis- und Bezirksvorsitzender des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes ist. „Gegessen und getrunken wird immer“ war die Devise. Die Pandemie bewies aber das Gegenteil: Die Zapfhähne in den Wirtshäusern standen still und den Sonntagsbraten gab es höchstens noch zum Mitnehmen. Mitarbeiter wurden nach Hause geschickt, gingen in Kurzarbeit – oder mussten sich eine neue Stelle suchen.

Das Argument der Krisensicherheit hatte die Gastronomie damit eingebüßt. Und als es so langsam wieder anlief in den Gasthäusern und Wirtschaften, hatten sich viele Mitarbeiter schon anderweitig umgesehen. Da kam der neue Tarifvertrag, der seit dem 1. April 17 Prozent mehr Lohn und ein Einstiegsgehalt von zwölf Euro die Stunde verspricht, fast schon zu spät – für manchen Ukrainer, der vor dem schrecklichen Krieg mit Russland flüchtete, aber gerade zur rechten Zeit. Bei Thomas Dauenhauer kamen zunächst elf Flüchtlinge an, zwei blieben übrig. Heute beschäftigt er in seinem Hotel fünf Damen, die sich um Housekeeping und den Service kümmern. Und eben Roman.

Der 27-Jährige hat seine Eltern und zwei ältere Brüder mit ihren Familien in der Heimat zurückgelassen. „Ich bin ein ganz normaler Kerl aus einem kleinen Dorf“, sagt er. „Aber ich habe die große Chance gesehen, etwas Neues zu machen.“ Und zwar etwas, das er liebt: Kochen. Seit dem 1. April arbeitet er als Praktikant dem Küchenchef zu, ab 1. August beginnt er seine Ausbildung. Darüber freut sich nicht nur der Ukrainer sehr, sondern vor allem auch Thomas Dauenhauer. „Er ist fleißig und motiviert, und er spricht inzwischen auch schon ein ganz passables Deutsch. Er ist ein Gewinn für unser Team.“ Und auch Roman hat nach eigenem Ermessen schon gewonnen. Die Familie Dauenhauer half bei den Formalitäten, kümmerte sich um Dokumente wie Pass, Visum und Arbeitserlaubnis. „Ich bin ihnen so dankbar für ihre Unterstützung“, sagt Roman. Und meint auch ihre Fairness.

Schließlich ist es nicht selbstverständlich, dass in der Gastronomie auch Hilfskräfte, die eigentlich auf eine faire Behandlung und vor allem Bezahlung angewiesen wären, diese auch erwarten dürfen. Darauf weist Ibo Ocak, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten in der Region Unterfranken, hin. „Wer vor dem Krieg flieht und bei uns Schutz sucht, darf nicht ausgenutzt werden“, so Ocak. Die Ankunft von Flüchtlingen aus der Ukraine sei „eine Chance für die Gastronomen und Wirte, die faire Bedingungen bieten“. Gerade das Gastgewerbe sei weltoffen: Dort arbeiteten schon immer Menschen unterschiedlichster Herkunft – auch aus Osteuropa. „Die Branche ist ideal für den Quereinstieg: Von der Küche bis zum Service – hier haben auch Beschäftigte ohne Berufsausbildung gute Chancen. Und Fachkräfte werden ohnehin dringend gebraucht – vom Barkeeper bis zur Hotelfachfrau“, betont Ocak.

Jetzt sei die Politik in der Pflicht, rasch die Weichen zu stellen, um das Fußfassen auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu erleichtern. „Wichtig ist, dass die ukrainischen Bildungsabschlüsse unkompliziert anerkannt werden. Und es muss einen vereinfachten Zugang zu Sprachkursen geben. Denn die Sprache ist der Schlüssel, um zurechtzukommen“, so Ocak. Das Potenzial der Geflüchteten sei enorm: Nach Angaben des Bundesinnenministeriums waren 92 Prozent der Ukrainerinnen in ihrer Heimat erwerbstätig oder befanden sich in der Ausbildung. Das Hotel- und Gaststättengewerbe habe das Zeug dazu, ein „Integrationsmotor“ zu werden. Diese Chance sollte die Branche nutzen.

Thomas Dauenhauer pflichtet dem Gewerkschaftsführer voll und ganz bei, appelliert an Kollegen und die Behörden, sich den Flüchtlingen gegenüber korrekt und kooperativ zu verhalten. Aber er richtet seinen Appell auch an seine Gäste. „Wer möchte, dass es mit der Gastronomie weiter geht, der muss auch bereit sein, einen angemessenen Preis zu zahlen.“

Wenn die Energie- und Lebensmittelpreise steigen, müsse sich das zu einem gewissen Teil am Preis niederschlagen. Er wünscht sich, dass die Gäste das akzeptieren – und dass Roman weiterhin Schnittlauch schnibbeln und dem Küchenchef zuarbeiten kann. Mindestens so lange, bis er keinen Handy-Übersetzer mehr braucht.

Mitarbeiter in der Gastro

Stellen Das Gastgewerbe im Landkreis Kitzingen zählte im April 2022 129 offene Stellen – 44 mehr als noch vor einem Jahr.

Tarifvertrag Gleichzeitig wurden Tarifverhandlungen erfolgreich abgeschlossen. Nach dem aktuellen Tarifvertrag, den die Gewerkschaft für Nahrung, Genuss und Gaststätten (NGG) mit dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) ausgehandelt hat, liegt der Einstiegsverdienst in der Branche in Bayern seit 1. April bei 12 Euro pro Stunde. Fachkräfte kommen auf einen Stundenlohn von mindestens 14,27 Euro.

Infos rund um die Arbeitsrechte, die Nicht-EU-Bürger haben, bieten die Beratungsstellen des gewerkschaftsnahen Netzwerks „Faire Integration“ – auch in ukrainischer Sprache (www.faire-integration.de)