Druckartikel: Er kennt jeden Winkel im Landkreis

Er kennt jeden Winkel im Landkreis


Autor: Ralf Dieter

Kitzingen, Donnerstag, 24. Januar 2019

Bernd Schmitt hat 46 Jahre beim Vermessungsamt gearbeitet. Mit ihm konnte man immer rechnen.
Noch einmal über die alten Karten beugen. Bernd Schmitt wird eingerahmt von seinem ehemaligen Vorgesetzten Emil Fischer und seinem kommissarischen Nachfolger Christoph Graber.


Wenn Bernd Schmitt über die Felder läuft, wenn er durch die Dörfer schlendert oder in den Weinbergen wandert, dann sieht er die Landschaft mit ganz anderen Augen als jeder Normalsterbliche. Bernd Schmitt hat 46 Jahre beim Vermessungsamt in Kitzingen gearbeitet. Zuletzt als dessen Leiter. „Ich sehe überall Vermessungspunkte und bestimmte Winkel“, sagt er und muss grinsen. Zum Wandern und Schlendern hat der Willanzheimer jetzt Zeit. Ende des letzten Jahres ist er in den Ruhestand verabschiedet worden. „Es fühlt sich immer noch an wie Urlaub“, sagt er und gesteht: „Die Arbeit ist noch nicht raus aus dem Kopf.“ Wie auch? 1972 begann die Karriere des Landwirtssohnes aus Willanzheim. Mathe und Buchführung fielen ihm in der Schulzeit leicht. „Ich wollte was Technisches machen“, erinnert er sich. Also begann er eine Lehre zum Katastertechniker im Vermessungsamt Kitzingen. Das hatte damals noch die oberen Stockwerke im Finanzamt belegt. Mit Bleistift und Tusche fertigte er dort die Zeichnungen. Die Rechnungen erledigte er meist mit einem Rechenschieber – oder im Kopf. „Es gab damals nur drei Taschenrechner in der Behörde“, erinnert er sich.

140 Tage Außendienst pro Jahr

Bestehende Karten ergänzen, die aktuellen Berechnungen der Geometer einfügen und die Arbeit immer wieder auf ihre Korrektheit kontrollieren: Bernd Schmitt mochte die Tätigkeit im Innendienst. Noch besser gefiel ihm allerdings die Arbeit im Außendienst. 1994 bildete er sich fort, bestand seine Ingenieurprüfung, schaffte den Sprung in den gehobenen Dienst. Seither war er als Geometer im Landkreis Kitzingen und darüber hinaus unterwegs. Das bedeutete: Mindestens 140 Tage Außendienst pro Jahr. Bei Wind und Wetter ging es hinaus. „Jeder Tag war anders“, erzählt Schmitt. Besonders wichtig war ihm die Kommunikation mit den Feldgeschworenen, den Bürgermeistern und den Beteiligten vor Ort. „Man ist als Geometer auch als Schlichter und Vermittler gefragt“, bestätigt Schmitts letzter Vorgesetzter, der Leitende Vermessungsdirektor Emil Fischer. Es geht schließlich immer darum, eine gütliche Einigung zu erreichen.

Konkrete Beispiele will Bernd Schmitt nicht geben, keine Namen nennen. Die Verschwiegenheit ist ihm auch als Pensionär wichtig. Aber er deutet an, dass die Gespräche vor Ort nicht immer reibungslos vonstatten gingen. Klar: Bei der Arbeit als Geometer geht es um Grundstücksgrenzen, um Flächen, um Besitz. Und damit auch um Geld. In all den Jahren ist es dennoch nur zweimal vorgekommen, dass die Betroffenen ihre Unterschrift auf dem Dokument verweigerten.

Schätze im Archiv

Gemeinden und Privatleute gleichermaßen beauftragen das Vermessungsamt, Grenzermittlungen, Grenzwiederherstellungen und Grundstückszerlegungen durchzuführen. Im Maximum von 80 Tagen nach Antragseingang ist im Amtsbezirk Würzburg/Kitzingen so ein Auftrag vollständig durchgeführt. „Bayernweit liegt der Schnitt bei 120 Tagen“, sagt Emil Fischer nicht ohne Stolz. Zuerst werden die Grundlagen im Archiv eingesehen. Und das beherbergt durchaus Schätze. Seit dem Jahr 1801 gibt es im Freistaat eine Vermessungsverwaltung. Um Steuern erheben zu können, sollte ganz Bayern damals vermessen werden. Rund 50 Jahre hat das gedauert. Einzelne Unterlagen im Kitzinger Vermessungsamt sind bis zu 200 Jahre alt. Leicht vergilbte Dokumente, die die Besitzverhältnisse und Flächenanordnungen Anfang des 19. Jahrhunderts dokumentieren. „Wir können lückenlos die Geschichte eines Flurstücks nachvollziehen, auch die Fragen nach alten Flurnamen beantworten“, erklärt Emil Fischer. Noch heute greifen die 20 Mitarbeiter des Kitzinger Amtes auf diese Unterlagen zurück. Sie sind die Grundlage für Berechnungen, die sich im Lauf der Jahrzehnte immer weiter verfeinert haben.

Die Sprache der Menschen kennen

Statt Tusche und Taschenrechner arbeiten die Vermessungsingenieure mit Laserscannern und einem GPS-Satellitenprogramm. Die Pläne werden am PC mit der Maus gezeichnet. Im zweijährigen Rhythmus finden bayernweit Befliegungen statt, um Luftbilder zu machen. Die Pläne sind jetzt dreidimensional. Vieles hat sich verändert, aber nicht alles. Die Auszubildenden von heute lernen nach wie vor die altdeutsche Schrift, um die alten Flurnamen entziffern zu können. Und die notwendigen Daten müssen nach wie draußen erhoben werden – in der Flur, in den Gemeinden, im Gespräch mit den Leuten vor Ort. „Dafür muss man die Sprache der Leute und die Zusammenhänge kennen“, sagt Emil Fischer. Bernd Schmitt hat sich in seinen 46 Jahren diese Kenntnisse wie kaum ein anderer erworben. Er kennt – sprichwörtlich – jeden Winkel im Landkreis. Und kann die Landschaft deshalb auch gar nicht mit ganz normalen Augen betrachten.