Druckartikel: Gerät die Natur aus dem Gleichgewicht?

Gerät die Natur aus dem Gleichgewicht?


Autor: Ralf Dieter

Kitzingen, Freitag, 12. März 2021

Neue Arten aus wärmeren Gefilden erobern die mainfränkische Natur. Dafür sterben andere Tiere aus.
Die Bienenfresser werden langsam heimisch in unseren Gefilden. Ihr Lebensraum sind offene Landschaften mit einzelnen Bäumen und Gebüschen. Sie brüten in Steilhängen an Ufern von Gewässern und in Steinbrüchen.


Die Umwälzungen sind umfangreich – auch wenn wir davon auf den ersten Blick gar nichts mitbekommen. Neue Pflanzen und Tiere erobern schon jetzt unseren Lebensraum. Sie erfreuen uns Menschen mal mehr und mal weniger.

„Am augenscheinlichsten sind die Bienenfresser“, sagt Klaus Sanzenbacher, Vorsitzender der Kreisgruppe des Landesbundes für Vogelschutz. Normalerweise brüten sie in Höhlen von Steilwänden in Südeuropa. Seit ein paar Jahren sind sie vermehrt in Mitteleuropa zu sehen. Mit ihrem bunten Gefieder gehören sie zu den auffälligsten neuen Bewohnern in Mainfranken. In aufgelassenen Steinbrüchen oder ehemaligen Gruben für den Sandabbau finden sie Brutplätze. Mit den veränderten klimatischen Bedingungen kommen sie gut zurecht.

Kältere und kürzere Winter, dafür längere und trockenere Sommer: So lässt sich der Klimawandel in wenigen Worten zusammenfassen.

„Ich kann nur davor warnen, Nützlinge von anderswo bei uns einzubürgern.“
Dr. Beate Wende, Biologin LWG

Für etliche Arten sind das keine guten Voraussetzungen. So kommt der Kuckuck immer zur selben Zeit aus dem Süden zurück, um seine Eier in fremde Nester zu legen. Fangen die „Gasteltern“ aber früher mit ihrer Brut an, kommt der Kuckuck zu spät und seine Eier werden aus dem fremden Nest geworfen.

Es gibt aber auch Gewinner: auf sandigen Standorten kann man mit etwas Glück die Blauflügelige Ödlandschrecke sehen oder auch die großen schwarzen Holzbienen. Das „Weinhähnchen“ ist dagegen kaum zu sehen – aber dafür zu hören. „Diese Grillenart ist sehr laut“, sagt Sanzenbacher und lacht.

Ulrike Geise hat das Weinhähnchen vor etwa drei Jahren zum ersten Mal in ihrem Garten gehört. Ob es heuer wieder zu hören ist? „Schwer zu sagen“, meint die stellvertretende Vorsitzende des Bund Naturschutz in Kitzingen.

Der diesjährige Winter mit einigen empfindlich kalten Tagen und Nächten hat die Population dieser neuen mainfränkischen Bewohner eventuell zurückgeworfen. Im Sommer wird darüber Klarheit herrschen.

In den letzten Jahren sind aus Südeuropa unter anderem harmlose Libellen und Schmetterlinge nach Mitteleuropa gekommen. Aber auch Raubtiere wie der Goldschakal. Der hat sich laut Geise massiv in Richtung Norden aufgemacht. Im Februar meldeten Spaziergänger zwei gerissene Rehe in den Hassbergen. Der zuständige Jäger geht davon aus, dass der Goldschakal im Revier heimisch geworden hat.

Kleine Schädlinge hat Dr. Beate Wende im Blick. Die Biologin bei der Landesanstalt für Wein- und Gartenbau leitete in den letzten vier Jahren ein Forschungsprojekt zu den Kirschessigfliegen. Die hatten 2015 in den fränkischen Weinbergen für massive Schäden gesorgt. Mit der Behandlung durch Kaolin, einem feinen eisenfreien Gestein, können die Winzer dem Schädling beikommen. Die Trauben werden nach der Ernte gekeltert, das Kaolin abgewaschen. Die Obstbauern haben es nicht so einfach. Gerade in Gebieten mit höheren Niederschlägen gab es in den letzten Jahren hohe Ernteausfälle. In der Rhön klagten beispielsweise die Holunder-Anbauer, in Südbayern die Obstbauern. Und das ist erst der Anfang. „Weitere Schädlinge werden kommen“, prophezeit Dr. Wende und nennt einige Beispiele.

Die amerikanische Rebzikade überträgt die Erreger der Goldgelben Vergilbung in den Weinbergen, die Maulbeerschildlaus ist für Obstplantagen und Bäume gleichermaßen gefährlich, die Bläulingszikade ist bei Obst- und Weinbauern in Südeuropa unbeliebt und die marmorierte Baumwanze kann immense Schäden an Obst und Gemüse anrichten. Manche dieser Schädlinge kommen aus Süd- und Osteuropa, andere aus Asien oder Nordamerika.

Die Gefahr ist bekannt, Monitoring-Programme laufen schon seit einiger Zeit. Das Problem: Maßnahmen, die in den Herkunftsländern dieser Schädling greifen, sind in der Regel nicht eins zu eins auf unsere Verhältnisse übertragbar.

„Ich kann nur davor warnen, Nützlinge von anderswo bei uns einzubürgern“, sagt die Biologin. „Möglicherweise richten die erst recht große Schäden an.“

„Wenn es die nicht mehr geben sollte, gerät etwas gewaltig aus dem Lot.“
Ulrike Geise über Insekten und andere Baumbewohner

Verschiebungen in der Natur sind etwas Normales, weiß Ulrike Geise. Aber in den letzten Jahren sei eine Veränderung in Gang geraten, die allen Biologen, Förstern und Naturschützern große Sorge bereite. Das Waldsterben im Zuge des heißen Sommers 2018 habe alle Beteiligten regelrecht erschüttert.

Die Buchen, Kiefern und andere Arten bieten schließlich Lebensraum für tausende Arten von Lebewesen. „Wenn es die nicht mehr geben sollte, gerät etwas gewaltig aus dem Lot“, sagt Geise.

Sie gibt zu, dass niemand im Moment die Konsequenzen im Detail voraussagen könne. Aber das Tauen der Permafrost-Zone in Sibirien, das Abschmelzen des Grönlandeises und die Verlangsamung des Golfstromes lassen bei ihr die schlimmsten Befürchtungen aufkommen. „Die Natur wird auch diese Umwälzungen überleben“, meint sie. „Aber die Frage lautet, wie wir Menschen da noch hineinpassen.“