Ein Koch, der dampft

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Bis tief in die Nacht hinein sitzt Markus Geißel am Schreibtisch, er rechnet und kalkuliert. Ziehsohn Wolfgang sieht ihm zu ...
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Bis tief in die Nacht hinein sitzt Markus Geißel am Schreibtisch, er rechnet und kalkuliert. Ziehsohn Wolfgang sieht ihm zu ...
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Foto: Diana Fuchs
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Bis tief in die Nacht hinein sitzt Markus Geißel am Schreibtisch, er rechnet und kalkuliert. Ziehsohn Wolfgang sieht ihm zu ...
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Foto: Diana Fuchs–

Gastro-Krise: Markus Geißel sucht jahrelang vergeblich nach einem Koch-Lehrling

Da sitzt er, umgeben von dampfendem Kaffee, Zigarettenrauch und vielen, vielen Zetteln. Es ist fast Mitternacht. Markus Geißel hat die Küche in seinem Landgasthof „Zur Krone“ aufgeräumt und sich eine Etage höher ins Arbeitszimmer begeben. Hier endet der Tag des „Krone“-Frontmanns inmitten von Zahlen und Berechnungen. Geißel ist ein Wirt in weißer Koch-Livree, wie wir ihn in Franken kennen – noch. Denn seine Zunft schrumpft. Geißel wundert das nicht. Es sei fast unmöglich, gutes Personal zu finden, sagt er. Personal, mit dem man rechnen kann.

Der Gastronom aus Brünnau bei Prichsenstadt (Landkreis Kitzingen) nennt dafür mehrere Gründe, vor allem den gesellschaftlichen Wandel und Probleme bei der Ausbildung in Berufsschule und Betrieb.

Geißel, Jahrgang 1975, führt den Landgasthof in der siebten Generation. Er ist quasi mit dem Sauerbraten aufgewachsen. Schon als Kind verbrachte er viele Stunden in der Küche der Oma. Seine Lehrjahre im Romantikhotel „Zur Schwane“ in Volkach prägten ihn ebenso wie die spätere Stellung als Sous-Chef in einem Romantikhotel bei Miltenberg. Kurz vor der Jahrtausendwende übernahm er den heimischen Herd. „Ich will unseren Gästen ehrliche, fränkische Küche bieten.“ Darin unterstützen ihn seine Eltern und seine Frau Kerstin, Ziehsohn Wolfgang Fröttinger (23) und Tochter Lea (17), die Hotelfachfrau lernt. Insgesamt kann Geißel auf ein neunköpfiges Team bauen.

Trotz dieser guten Voraussetzungen lässt Markus Geißel seine „Krone“ ab sofort montags geschlossen, „und vielleicht bald auch noch dienstags“. Seit sechs Jahren sucht Geißel einen Koch, den er langfristig anstellen möchte, um selbst entlastet zu werden. Doch keiner der Kandidaten wollte auf Dauer den geteilten Dienst – Mittags- und Abendservice mit längerer Nachmittagspause dazwischen – mittragen.

Neben diesem Problem ist der Brünnauer auch sicher: „Während der Koch-Lehre werden falsche Schwerpunkte gesetzt.“ Den Berufsschullehrern fehle Zeit für „das wirklich wichtige Thema natürliche Nahrungsmittel“. Das Thema „Arbeitsrecht“ werde im zweiten Lehrjahr dafür ausführlichst besprochen. „Ein Lehrling konnte zum Beispiel fertige Lammlachse zubereiten. Aber er hatte keine Ahnung, was er mit einem geschlachteten Tier anstellen sollte. Oder wie man Schlagsahne steif kriegt.“ Auch, dass Parmesan laktosefrei ist, habe er nicht gewusst, aber er habe „von studierten Paragrafenreitern gelernt, nach wie vielen Stunden er Pause machen soll“.

Im Betrieb seien solche jungen Menschen überfordert; einer habe in seiner Not mal per Handy ein You-Tube-Video übers Auslösen einer Rehkeule angeklickt. „Die junge Generation lernt in der Schule nicht genug über die Zusammensetzung und die Wertigkeit von Lebensmitteln! Und sie lernt nicht, dass man auch mal durchhalten muss. Dass es auch Spaß machen kann, nach der anstrengenden Stoßzeit zusammen durchzuatmen und sich über das Lob der Gäste zu freuen.“

Ein guter Koch, meint Geißel, müsse wertiges Essen schätzen. Er müsse Verantwortung übernehmen für die Lebensmittel, die er verwendet. „Mir ist es zum Beispiel wichtig, kein Fleisch aus industrieller Massenproduktion anzubieten.“

„Wir können zum Beispiel Flüchtlinge integrieren.“
Michael Schwägerl, DeHOGa-Geschäftsführer

Fakt ist, dass die Gastronomen sich ihre Lehrlinge längst nicht mehr aussuchen können. Sowohl in der Küche als auch im Service herrscht landesweit Nachwuchsmangel. „Kurz vor Ausbildungsstart haben wir zirka neun Prozent weniger Auszubildende im Hotel- und Gaststättengewerbe in Mainfranken als im Vorjahr“, stellt Dr. Lukas Kagerbauer fest, Bereichsleiter Berufsbildung an der IHK Würzburg-Schweinfurt. Bei den Köchen seien die Ausbildungszahlen zwar etwa auf Vorjahresniveau, „aber wir wissen ja, dass der Bedarf viel höher ist“.

Insgesamt sinkt die Zahl der Ausbildungsverhältnisse im Hotel- und Gaststättengewerbe laut Kagerbauer seit zehn Jahren quasi kontinuierlich. „Das ist bedenklich.“ Als Gründe nennt der Fachmann die Demografie – es gibt insgesamt weniger Nachwuchs – und die Fokussierung auf akademische Karrieren. Die IHK steuere durch Projekte wie die Berufs-Scouts und Image-Kampagnen („Elternstolz“) gegen. Kagerbauer meint, nicht die Berufe selbst seien das große Problem, sondern die Tatsache, dass viele Jugendliche sie gar nicht richtig kennen oder kennen lernen wollen. „Gastro-Berufe können viel Spaß machen. Man kann direkte, positive Resonanz von den Menschen bekommen. Als Koch etwa kann man Kreativität ausleben und Menschen glücklich machen.“

Ähnlich äußert sich Michael Schwägerl, unterfränkischer Bezirksgeschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbandes DeHoGa. „Wir würden gern mehr ausbilden.“ Leider sei die Abbrecherquote im Gastgewerbe hoch. Gerade Hotelfachleute werden von anderen Branchen, etwa Versicherungsagenturen oder Arztpraxen, die bessere Arbeitszeiten bieten, „mit Kusshand genommen“. Bei Köchen sei es ähnlich: „Manche gehen in Produktionsküchen oder Kantinen mit familienfreundlicheren Arbeitszeiten.“

Was kann man dagegen tun? „Arbeitszeiten können wir nicht verändern, aber wir können zum Beispiel Flüchtlinge integrieren“, sagt Schwägerl. „Wir fordern auch, dass gerade Menschen aus europäischen Nicht-EU-Staaten wie Serbien oder Montenegro einfacher hier angestellt werden können.“

„Es wird ein schwieriger und langwieriger Prozess werden“, blickt Schwägerl in die Gastro-Zukunft. „Wir müssen individuelle Lösungen für Betriebe finden, flexiblere Arbeitszeitmodelle, auch für Mütter nach der Babypause.“ Dass die Ausbildung selbst ein Problempunkt ist, glaubt Schwägerl nicht. „Die Ausbildungspläne werden alle fünf bis acht Jahre vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag überarbeitet. Und das duale Ausbildungssystem ist auf jeden Fall ein Erfolg – also die parallel laufende schulische und betriebliche Ausbildung.“

Auch aus Sicht von Frank Delißen, Leiter des Stattlichen Schulzentrums der Beruflichen Schulen Kitzingen-Ochsenfurt, ist die Ausbildung nicht Schuld am Dilemma. „Wir haben hier an der Schule eine hervorragende Ausbildung.“ Der Unterricht bestehe immer aus Theorie und Praxis, der Lehrplan sei sehr gut aufgestellt, sagt der gelernte Bäcker, der Ernährungswissenschaften studiert hat. Er hat die Erfahrung gemacht, dass es viele gute Ausbildungsbetriebe gibt, aber auch ein paar weniger gute.

Umworben von allen Seiten

„Die Jugendlichen werden umworben von allen Seiten. Sie suchen sich das aus, was für sie am angenehmsten ist.“ Deshalb sei die gesamte Gastro-Branche gefragt, bessere Rahmenbedingungen zu schaffen. Aber auch die Einstellung der Jugend zur Berufsfindung müsse sich vielleicht ändern. Markus Geißel meint dazu: „Viele jungen Leute wollen nicht mehr wissen, was Dienstleistung bedeutet. Dass man sich selbst zurücknimmt und dem Kunden schöne, unbeschwerte Stunden Freizeit ermöglicht.“

Geißels Ziehsohn Wolfgang Fröttinger tut genau das. „Als Restaurantfachmann im Gastgewerbe kann ich zwischen 1600 und 1900 Euro netto verdienen, plus interessante Trinkgelder. Ich bin glücklich hier“, sagt der 23-Jährige, der im Winter weitere Berufserfahrungen in einem Hotel in Kitzbühel sammeln wird. Das wird den Personalmangel bei Geißels natürlich nicht verkleinern. Markus Geißel hat entschieden, das Mittagsgeschäft künftig alleine beziehungsweise mit seiner Mutter zu stemmen und sich „mit wenigen, guten Fachkräften“ auf den Abendservice zu konzentrieren.

Wenn er heute nochmals vor der Entscheidung stünde, das Gasthaus der Eltern zu übernehmen oder nicht? „Dann würde mein Herz sehr schwer werden“, sagt der Gastwirt und zieht noch einmal an seiner Zigarette. Es ist kurz vor 1 Uhr morgens. Die in Brüssel erdachte Arbeitszeitverordnung gilt ja nicht für den Chef. „Zum Glück“, sagt der dazu, und: „Gute Nacht.“