Ein buntes Arbeitsleben

4 Min
Kaum einer kennt die Geschichte der Lebenshilfe im Landkreis Kitzingen so gut wie Manfred Markert. Der 56-Jährige hat sie in den letzten 26 Jahren maßgeblich mitgeprägt.
Foto: Ralf Dieter
Vor zehn Jahren konnte die Generalsanierung der St. Martin-Schule gefeiert werden. Eine der größten Förderer der Lebenshilfe in Bayern ist deren Präsidentin Barbara Stamm.
Foto: M. Markert

Seit 26 Jahren leitet Manfred Markert die Geschicke der Lebenshilfe in Kitzingen. Die hat sich seit ihren Anfängen stark gewandelt – und ist jetzt mitten in der Gesellschaft angekommen.

Kitzingen Die Lebenshilfe Bayern feiert ihren 60. Geburtstag. Ihre Einrichtungen sind längst ein Teil des öffentlichen Lebens geworden. Mit der Frühförderstelle, der Heilpädagogischen Tagesstätte, den Lebenshilfe-Wohnstätten und der St. Martin-Schule ist die Lebenshilfe in Stadt und Landkreis Kitzingen präsent und angesehen. Das war nicht immer so, wie Manfred Markert zu berichten weiß. Er ist seit 1996 Geschäftsführer des Lebenshilfe Kitzingen e.V.

Frage: Wann wurde der Kitzinger Lebenshilfe-Verein gegründet?

Markert: 1965, drei Jahre nach der bayernweiten Gründung, aber noch vor der Würzburger Vereinigung (grinst). Die Anfänge waren spartanisch. Es ging vor allem darum, Menschen mit Behinderungen eine Beschäftigung zu verschaffen. Im Archiv finden sich Unterlagen, die zeigen, dass beispielsweise Gürtelschnallen für eine hiesige Lederwarenfabrik angefertigt wurden.

Von einem Recht auf Schulbildung für Menschen mit geistiger Behinderung war damals noch nicht die Rede?

Markert: Allerdings, das kam erst in den 1970er-Jahren auf. Unsere St. Martin-Schule wurde 1978 eingeweiht.

Und ist heute ein Vorzeigeobjekt.

Markert: Das kann man so sagen. Sie wurde 2011 und 2012 grunderneuert. Wir haben hier tatsächlich sehr gute Bedingungen, um unsere rund 100 Schüler und 24 Kindergartenkinder zu betreuen. Sonderschullehrer, Erzieher, Therapeuten, Kinderpfleger und Schulbegleiter unterrichten und betreuen die Kinder und Jugendlichen in Schule und Tagesstätte.

Wie war das, als Sie vor 26 Jahren anfingen?

Markert (lacht): Ganz anders. Ich saß damals in einem Büro ohne Fenster, es gab wenig Technik, der Verein war zudem finanziell nicht auf Rosen gebettet. Wir haben die Struktur nach und nach aufgebaut und verbessert. Die jetzige Frühförderstelle wurde ins Leben gerufen, bekam in der Inneren Sulzfelder Straße ein neues Domizil, die Schule und die Heilpädagogische Tagesstätte wurden immer weiter ausgebaut und modernisiert.

Eine Erfolgsgeschichte?

Markert: Im Rückblick gesehen, ja. Glücklicherweise haben Bund und Land das Teilhabegesetz mit Leben gefüllt, die nötigen Institutionen auch finanziell unterstützt. Menschen mit Behinderung standen vor 50 Jahren noch am Rand der Gesellschaft, wurden misstrauisch beäugt oder gemieden. Jetzt sind sie mittendrin. Das Verständnis hat sich gewandelt.

Woran liegt das?

Markert: Vor allem an den vielen kleinen Projekten, die landesweit gestartet wurden. Sie haben Möglichkeiten für Begegnungen geschaffen. Wir arbeiten beispielsweise mit dem AKG und der Siedlungsschule zusammen. Schüler nehmen gemeinsam an Chorprojekten oder Sportfesten teil. Faschingsgesellschaften laden uns zu ihren Sitzungen ein, das Benefiz-Weinfest in Castell ist vielleicht das bekannteste Inklusions-Fest im Landkreis. Durch die vielfältigen Begegnungen konnten Vorurteile abgebaut werden, das Verständnis ist gewachsen. Und natürlich hat uns Barbara Stamm als Vorsitzende enorm geholfen. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es um die Rechte von Menschen mit Behinderung geht, sie fühlt sich als Teil der Lebenshilfe-Familie.

Die unter Corona wahrscheinlich auch leiden musste.

Markert: Natürlich. Viele Begegnungen mussten abgesagt werden. Das tut uns allen weh. Der Austausch fehlt, jede Klasse muss für sich sein. Das nagt an den Schülern. Aber immerhin haben wir die Corona-Krise bislang alle gesundheitlich gut überstanden.

Welche Kinder gehen in die St.- Martin-Schule?

Markert: Die Bandbreite ist groß. Unsere Schule besuchen Schüler mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. Sie sind uns alle willkommen. Vor dem Besuch wird ein sonderpädagogisches Gutachten erstellt.

Seit zehn Jahren dürfen behinderte Kinder auch in Regelschulen mit dem Profil Inklusion unterrichtet werden. Sinken die Schülerzahlen an der St. Martin-Schule seither?

Markert: Nein, am Anfang war eine gewisse Unsicherheit spürbar. Die hat sich gelegt. Wir überlegen gerade, ein weiteres Klassenzimmer einzurichten. Die steigenden Zahlen haben aber auch etwas mit der Migration zu tun.

Ist das Projekt Inklusion an den Regelschulen gescheitert?

Markert: Ich kann nur sagen, dass wir hier die besten Bedingungen haben, um allen Kindern gerecht zu werden. Letztendlich entscheiden die Eltern.

Welche Rolle spielt die Frühförderstelle in Ihrem Konzept?

Markert: Eine ganz wichtige. Ursprünglich wurde sie an die St.-Martin-Schule und damit an die Lebenshilfe angegliedert, um Kinder mit Down-Syndrom schon vor Schulbeginn zu fördern. Mittlerweile kommen all diejenigen Eltern zu uns, deren Kinder eine Entwicklungsverzögerung zeigen. Pro Jahr beraten und betreuen wir etwa 300 Familien. Seit Corona ist die Nachfrage gestiegen, die Warteliste ist derzeit lang.

In drei Jahren feiert die Kitzinger Lebenshilfe ihren 60. Geburtstag. Was muss bis dahin passieren?

Markert: Die Digitalisierung muss vorangebracht werden, eine Lüftungsanlage würde uns helfen und die SMV wünscht sich – zurecht – mehr Umweltschutz. Wir überlegen, ob Photovoltaik auf unseren Dächern angebracht werden kann. Aber auch in Werkstatt und Wohnheim wird es Verbesserungen geben.

Man merkt Ihnen auch nach 26 Jahren den Spaß an der Arbeit an. Wie kommt das?

Markert: Die Arbeit hier ist niemals eintönig, jeder Tag kommt mit einer neuen Herausforderung daher. Das Wichtigste sind aber die Kinder und Jugendlichen sowie die Menschen in Werkstatt und Wohnheim. Ich bekomme wahnsinnig viel zurück. Zudem macht es einfach Spaß ein Teil dieses Teams mit tollen Kollegen und einer engagierten Vorstandschaft zu sein.

Lebenshilfe in Kitzingen

Der Verein Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung Kitzingen e.V. wurde als Vereinigung von Eltern, Angehörigen und Freunden im Jahr 1965 gegründet. Der Verein zählt mehr als 350 Mitglieder.

Aufgabe und Zweck des Vereins ist die Errichtung und Förderung aller Maßnahmen und Einrichtungen, die eine Hilfe für Menschen aller Altersstufen mit einer geistigen Behinderung bieten. Das Ziel ist die Integration behinderter Menschen in die Gesellschaft.

Die Frühförderstelle Kitzingen ist eine offene Anlaufstelle für alle Eltern des Landkreises, die sich Sorgen um die Entwicklung ihres Kindes machen. Sie erhalten Informationen, Beratung, Diagnostik und Fördermöglichkeiten für ihre Kinder. Unser Angebot richtet sich an Familien mit Kindern von Geburt an bis zum Schuleintritt, bei denen eine Entwicklungsverzögerung vorliegt beziehungsweise droht oder eine Behinderung vermutet wird.

Die Heilpädagogische Tagesstätte betreut Kinder und Jugendliche im Alter von 3 bis 20 Jahren. Sie ergänzt SVE und Schule zu einem Ganztagsangebot für alle Altersstufen. Bei Bedarf werden die Kinder und Jugendlichen physiotherapeutisch, ergotherapeutisch, logopädisch und psychologisch betreut.

Die St. Martin-Schule ist ein Förderzentrum mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. Rund 100 Schüler werden dort in elf Klassen unterrichtet.