Chöre zu Zeiten von Corona: „Die Situation ist desaströs“
Autor: Ralf Dieter
Kleinlangheim, Mittwoch, 21. April 2021
Keine Proben, keine Auftritte, dafür Frust und Austritte. Den Chören im Land geht langsam die Luft aus. Chorleiter Uwe Ungerer aus Mainstockheim will sich dagegen wehren.
           
Uwe Ungerer ist in ganz Franken unterwegs. Seine Mission: Einen Film drehen, um möglichst viele Menschen auf die Bedeutung der Gesangvereine und Chöre aufmerksam zu machen. Die dürfen sich seit Monaten nicht mehr treffen. Der Mainstockheimer Chorleiter befragt vor laufender Kamera Kollegen von Fürth bis Marktheidenfeld. Deren Stimmungsbild ist eindeutig. Die Lage ist mehr als ernst. Von einer großen Unsicherheit spricht Guntram Zielonka und warnt: „Das soziale Miteinander geht den Bach hinunter.“
Von Juli bis Anfang September 2020 durften die drei Kleinlangheimer Chöre proben. Seither? Stille. „Alles liegt brach“, bedauert der Vorsitzende des Kleinlangheimer Gesangvereins. Dabei habe man schon im Mai des letzten Jahres in ein Luftreinigungsgerät und eine CO2-Meldeanlage investiert. Fast 2000 Euro hat der Verein ausgegeben, um hygienisch einwandfreie Voraussetzungen für Proben zu schaffen. „Wir dürfen trotzdem nicht“, sagt Zielonka und zuckt mit den Schultern. Wer glaubt, dass virtuelle Proben ein gleichwertiger Ersatz sind, der irre. „Man muss den Chorkollegen hören und spüren“, sagt Zielonka.
Nicht einmal der achtköpfige Vorstand darf sich zu Besprechungen treffen. Und das kann der Kleinlangheimer gleich gar nicht verstehen. „Gemeinde- und Stadträte treffen sich doch auch“, sagt er und warnt: Nicht nur Gesangvereine würden auf diese Art und Weise kaputt gemacht. Dass es im neuesten Infektionsschutzgesetz keinen einzigen Absatz zum Vereinswesen gibt, will ihm nicht in den Kopf. „Wir sind schlichtweg vergessen worden.“
Die Konsequenz: Mehr als zwei Personen aus fremden Haushalten dürfen sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht treffen. Wichtige Versammlungen müssen immer wieder verschoben werden. „Das ist undemokratisch und mit den Grundsätzen unserer Republik kaum zu vereinbaren“, so Zielonka. Im Moment ruhen die Hoffnungen bei den Sängern auf dem Herbst. Dann werden viele Menschen geimpft sein, dann können vielleicht wieder Veranstaltungen stattfinden. Ob die Vereine dann allerdings noch genug Geld haben, um Veranstaltungen finanzieren zu können, ist für Ungerer die große Frage. „Und werden die Besucher gleich wieder in Massen strömen?“ Der Mainstockheimer ist skeptisch. „Die Verunsicherung nach einem Jahr Corona ist in weiten Teilen der Bevölkerung groß“, sagt er. Es wird dauern, bis wieder eine Gewöhnung an ein normales Leben einsetzt.
Mit zwölf Vereinen hat Uwe Ungerer für sein Filmprojekt schon gesprochen. Die Tendenz ist überall die Gleiche: Die Verantwortlichen gehen von einem großen Vereins- und Chöresterben aus.
„Es wird nichts mehr so sein wie vor Corona“, sagt er. In seinem gemischten Chor in Mainstockheim haben sieben von 25 Sängern seit Ausbruch der Pandemie ihren Abschied verkündet. Anderswo stehen ganze Chöre vor dem Aus. „Die Situation ist desaströs“, sagt er. Was ihn am meisten wundert: Dass es offensichtlich niemanden stört. „Wir werden nicht gesehen und gehört“, ärgert er sich.
Der Aufschrei der Verbände sei nicht groß genug, kritisiert Guntram Zielonka. Dabei hätte man eine große Lobby. Rund 60.000 Chöre gibt es in Deutschland, die Zahl der Mitglieder reicht locker in die Millionen. In normalen Jahren werden bei all den Veranstaltungen deutschlandweit Umsätze in Milliardenhöhe generiert– von denen unter anderem die örtlichen Bäcker, Metzger, Caterer und Veranstalter profitieren.