Druckartikel: Arzt zum Scheitern der Impfpflicht: "Offensichtlich muss nochmal eine Covid-19-Welle das ganze Land lahmlegen, bis man anders denkt"

Arzt zum Scheitern der Impfpflicht: "Offensichtlich muss nochmal eine Covid-19-Welle das ganze Land lahmlegen, bis man anders denkt"


Autor: Daniela Röllinger

Mainbernheim, Mittwoch, 13. April 2022

Dr. Michael Bedö, Vorstand des Gesundheitsnetzes Kitzinger Land, über den Sinn von Corona-Impfungen, den Unsinn von Melde-Regeln und die reale Gefahr, die bleibt.


Die Zahl der Corona-Infektionen ist weiterhin hoch. Trotzdem wurden viele Beschränkungen gelockert und zugleich eine allgemeine Impfpflicht abgelehnt.

Wie beurteilt ein Arzt die aktuelle Situation? Ein Gespräch mit Dr. Michael Bedö, Hausarzt in Mainbernheim und Vorstand im „Gesundheitsnetz Kitzinger Land“.

Michael Bedö, sollen sich Corona-Infizierte weiterhin isolieren? Erst hieß es nein, dann wieder ja. Was halten Sie für richtig?

Dr. Michael Bedö: Im Prinzip sollten sich Corona-Infizierte auch weiterhin eine zeitlang isolieren, damit sie ihre Nächsten nicht anstecken. Nun hatten wir in zwei Jahren Covid-19-Pandemie unterschiedliche Infektionswellen (zum Beispiel Alpha, Beta, Delta, Omicron) durch unterschiedliche Virusvarianten. Im Gegensatz zu 2020 und 2021 haben wir jetzt auch uneingeschränkt Zugang zu wirksamen guten Impfstoffen und können uns dadurch vor schwerem Krankheitsverlauf schützen. Die jetzige Omicron-Virusvariante ist viel weniger gefährlich als zum Beispiel Delta, was Krankheitsschwere und Folgeerkrankungen betrifft. Das macht den Unterschied. Wir gehen aktuell davon aus, dass die Zahl der unerkannt infizierten Menschen die Zahl der nachweislich Infizierten weit übersteigt. Die Virusdurchseuchung mit Omicron findet momentan in der gesamten Gesellschaft so massiv statt, dass unter diesem Aspekt eine Isolierung Einzelner wohl kaum noch Sinn macht.

Die Maskenpflicht gilt nicht mehr überall. Was raten Sie älteren Menschen oder Vorerkrankten? Trotzdem Maske tragen?

Vorerkrankung und hohes Alter erhöhen im Falle der Covid-19-Erkrankung das Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf oder Tod. Omicron ist für vollständig geimpfte und geboosterte „alte Menschen" wenig gefährlich, trotzdem würde ich mich als alter Mensch schützen. Ich würde bei diesen hohen Infektionszahlen weiterhin Maske tragen und freiwillig Veranstaltungen mit vielen Menschen in Innenräumen meiden.

Inwieweit erschwert das Hin und Her der Politik Ihre Arbeit?

Die Covid-19-Pandemie begleitet uns seit zwei Jahren. Das war und ist viel Arbeit. Es gab in dieser vergleichsweise kurzen Zeit sehr viel politisches Hin und Her, im Nachhinein will ich aber niemandem etwas vorwerfen. Politiker sollen die Grundrechte der Bürger möglichst nicht oder nur maßvoll einschränken, sollen öffentliches Leben (Schule, Handel und Gastronomie) zulassen und gleichzeitig verantwortlich die Seuche bekämpfen. Die Datenlage und die Infektionswellen änderten sich schnell, da kamen die Politiker nicht gut mit und die Bevölkerung auch nicht. Wenn wir dann noch ein unglaublich träges Verwaltungssystem haben und das föderale Hin und Her der einzelnen Bundesländer schnelle und einfache Regeln schon gleich gar nicht zulässt, gibt es bei den Menschen viel Beratungsbedarf.

Wie erleben Sie die Patienten? Hat das Virus seinen Schrecken verloren?

Für die Patienten hat in meiner Wahrnehmung das Virus an Schrecken verloren. Bei der Delta-Variante im Herbst 2021 gab es noch viel zu viele Beatmungspatienten und Tote, vor allem bei den Ungeimpften. Wenn man vollständig gegen Corona geimpft ist, wissen die Menschen, dass sie einen sehr guten Schutz vor schwerem Verlauf haben. 2020 sind uns ungeimpfte Altenheimpatienten verstorben, jetzt hatten wir geimpfte 100-Jährige im Heim, die die Omicron-Infektion locker weggesteckt haben. Das nehmen die Menschen so auch in ihrem Umfeld war.

Gehen verschiedene Altersgruppen unterschiedlich mit einer Infektion um?

Ja, natürlich sieht man Unterschiede. Durch das „anlasslose Testen“, also Schnelltests in Kindergärten, Schulen, Arbeitsstellen, werden ja viele positive Testergebnisse produziert bei Menschen, die oft gar keine oder allenfalls leichte Symptome haben. In deren Wahrnehmung ist man „halt auch mal Corona-positiv“ und sieht das Ganze sehr locker. Würde man nur kranke Menschen testen, also die Infizierten mit Symptomen, die Menschen mit starken Halsschmerzen und hohem Fieber, würde das „nur Omicron“ auch nicht so locker gesehen werden. Also: Die jungen und gesunden Familien mit Kindern und positiven leichten Fällen gehen lockerer damit um. Der einzelne junge Patient ist manchmal nur überrascht, wenn er/sie realisiert, dass selbst nach einer „leichten“ Infektion manchmal die körperliche Belastbarkeit für ein paar Wochen nicht normal ist. Für die chronisch kranken Menschen ist auch die Omicron-Welle weiter sehr belastend. Nicht nur die Sorge um schwereren Krankheitsverlauf belastet diese Patienten, auch werden im Falle ihrer Infektion wichtige Krankenhauseingriffe oder nötige Therapien verschoben, oder es werden wichtige Eingriffe verschoben, weil im Krankenhaus Ärzte*innen und Krankenpfleger*innen in Isolation geschickt wurden, also Personal fehlt. Die Kranken und Alten sind dadurch viel häufiger von den „Kollateralschäden“ der Pandemie und der Infektionsschutzmaßnahmen betroffen.

Wer keine Krankheitssymptome hat, muss sich nur beim Gesundheitsamt melden, nicht aber beim Hausarzt. Ist es sinnvoll, den Arzt trotzdem zu informieren und warum?

(Bendö lacht) Diese Frage sollten Sie eigentlich einem Amtsarzt stellen. Die Frage, macht es Sinn, dass asymptomatische Menschen ohne Krankheitssymptome sich beim Gesundheitsamt melden, möchte ich klar mit „Nein“ beantworten. Man meldet sich momentan halt beim Gesundheitsamt, weil es die Corona-Verordnungen vorschreiben. Soll ein Patient ohne Krankheitssymptome das positive Testergebnis seinem Hausarzt melden? Da würde ich sagen: Ja. Der Hausarzt archiviert den Laborbefund in der Krankenakte des Patienten. Sollte es später vielleicht doch Langzeitfolgen geben, wenn man mit einer Sars-Cov-2-Variante durchseucht wurde, kann man später auf den Befund zurückgreifen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass das Gesundheitsamt an Patienten rückwirkend Daten rausrücken wird, wenn der Patient sie selbst nicht mehr hat.

Die Maßnahmen der Pandemie-Eindämmung mit Meldung, Quarantäneanordnung, Isolation der Infizierten und Kontaktverfolgung macht für mich nur bei der Ausbreitung der Pandemie Sinn. Wenn die tatsächlichen Infektionszahlen viel höher sind als das Auszählen von erfassten positiven Testresultaten, dann macht das für mich überhaupt keinen Sinn mehr. Um es also ganz deutlich zu sagen: Ich sehe keinen Sinn mehr in namentlicher Meldung eines Infizierte an das Gesundheitsamt, insbesondere nachdem die Kontaktverfolgung aufgrund der Masse vom öffentlichen Gesundheitsdienst nicht mehr geleistet werden kann und de facto nicht mehr erfolgt. Auch wird die Anordnung einer Isolation von niemandem überwacht. Ich sehe Patienten beim Einkaufen, von denen ich weiß, dass sie „in Isolation“ sind. Aus meiner Sicht hat sich das System dieser „namentlichen Meldung von positiven Testergebnissen“ längst von jeder Sinnhaftigkeit entfernt. Die Anzahl der positiven Tests könnte man für die Statistik ja auch über die Labormeldung an das Gesundheitsamt erfassen, so geschieht es ja auch bei anderen Infektionserregern.

Der Bundestag hat eine Impfpflicht abgelehnt. Was denken Sie darüber?

Ich glaube, es wäre gut gewesen, eine Impfpflicht ab 18 Jahren einzuführen. Am meisten Sinn hätte die Einführung eines Impfregisters zusammen mit einer Impfpflicht gemacht. Die Abgeordneten im Bundestag sehen das anders, das ist Demokratie. Würde ich nur über die jetzige Omicron-Welle sprechen, bräuchte ich auch keine Impfpflicht mehr. Die Geschwindigkeit der Entstehung, Ausbreitung und Mutation der Omicron-Variante hat aber sehr deutlich gemacht, was uns mit Coronavirus-Varianten noch bevorstehen kann. Ich habe als Hausarzt genauso wenig die Glaskugel mit dem Blick in die Zukunft. Niemand weiß, welche Virusvariante im Herbst die Hauptrolle spielt. Aber kein Experte glaubt, dass die Covid-19-Pandemie schon rum ist. Ob es im Herbst eine Variante mit „Immunescape“ gibt, unsere bisherigen Impfungen vielleicht nicht genug schützen und wir angepasste Impfstoffe anwenden müssen? Das ist möglich. Ob unsere Durchimpfungsquote und die bisherige Durchseuchung mit dem Sars-Cov-2-Virus in der Bevölkerung schon reicht, um den endemischen Status zu erreichen, also Durchseuchung wie zum Beispiel bei Influenza Viren, wird angezweifelt. Vielleicht ist das Virus erst nächstes Jahr endemisch.

Ärgert Sie, dass die Impfpflicht abgelehnt wurde?

Die Impfpflicht hätte Impflücken in der Bevölkerung schließen können und die reale Gefahr, dass im kommenden Herbst das Gesundheitssystem schon wieder über die Belastungsgrenze gebracht wird, hätte vermindert werden können. Ich habe kein Verständnis dafür, wenn im nächsten Herbst im Falle einer neuen Covid-Welle die Krankenhäuser schon wieder mit umgeimpften Infizierten volllaufen, Behandlungen verschoben werden müssen, Menschen durch die Kollateralschäden (zum Beispiel verschobene Krebstherapie) versterben müssen und Angehörige als Besucher nicht ins Krankenhaus oder Altenheim dürfen. Bisher hatte der Expertenrat von Gesundheitsminister Lauterbach recht und sagte seit November 2021 erstaunlich präzise alle Entwicklungen der vergangenen Monate voraus. Leider haben wir kein Impfregister, insofern ist es vielleicht nicht schlecht, dass die Impfpflicht ohne diese Kontrollmöglichkeit jetzt nicht gekommen ist. Offensichtlich muss nochmal eine Covid-19 Welle zum Beispiel im Herbst 2022 das ganze Land und das Gesundheitssystem lahmlegen, bis man anders denkt.

Wenn Sie in die Zukunft blicken: Wird das Virus irgendwann normal, wie eine Grippe? Oder wird es ganz verschwinden?

Ich bin kein Virologe, informiere mich aber in der Fachpresse und im Rahmen der medizinischen Fortbildungsveranstaltungen. Ja, das Sars-Cov-2 Virus wird sicher endemisch werden. Es wird nicht weg sein, sondern wie andere Beta-Coronaviren auch Teil unserer Erkältungsviren im Herbst sein. Wenn unsere Bevölkerung sowohl geimpft als auch zusätzlich natürlich mit verschiedenen Virus-Varianten durchseucht worden ist, haben wir irgendwann den endemischen Status erreicht. Das Häufigkeitsniveau und das Niveau der Infektionswellen wird abflachen und somit auch eine Erkrankung wie Covid-19 endemisch werden. Dann wird das Coronavirus Sars-Cov-2 auch nur einer der „grippale Infekt“-Erreger im Herbst sein.

Zum Weiterlesen: Studie zur Immunität gegen Corona: Können manche Menschen niemals am Virus erkranken?