„Die Kombination von Wirtshaus und Kirche war ideal!“
Autor: Diana Fuchs
Rödelsee, Mittwoch, 21. April 2021
Schwanberg-Schwester Ruth Meili CCR feiert 80. Geburtstag und berichtet von Gottvertrauen, einer unwahrscheinlichen Liebe und Ost-West-Problemen.
Viele Politiker haben ihr Ohr leider nicht dort. Sr. Ruth Meili zog es immer ganz und gar dahin: an die Basis. Kurz vor ihrem 80. Geburtstag am Freitag, 23. April, erzählt die am Zürichsee geborene Tochter von Schweizer Missionaren vom heimlichen Theologiestudium, vom Aufbau der Wärmestuben in München und Erfurt, von weltoffenen Wohnsitzlosen und Basis-Ökumene.
Wer auf dem Schwanberg spazieren geht, dem kann es leicht passieren, dass er im Wald einem fröhlich singenden Lockenschopf begegnet. Die frühere Subpriorin der Communität Casteller Ring (CCR) liebt es, mit den Vögeln um die Wette zu trällern. „Ich stamme aus einem großen Pfarrhaus, in dem viel gesungen wurde“, erklärt sie mit charmantem Schweizer Zungenschlag. „Das wirkt fort.“
Von ihrer Mutter, einer praktisch veranlagten, humorvollen Krankenschwester, habe sie zudem die Basler Mentalität geerbt: „Ich trage mein Herz auf der Zunge und sage, was ich denke. Leider bin ich oft nicht sehr diplomatisch.“ Ihr Vater, ein bedächtiger Züricher, habe Diplomatie besser beherrscht. Der protestantische Priester hatte keine Probleme damit, dass die kleine Ruth zu den katholischen Schwestern in die Schule ging. „Ökumene war nicht schwierig. Man hat einfach beim anderen mitgemacht.“
Schon während ihrer Schulzeit war Ruth Meili in einer missionarischen Schweizer Jugendbewegung aktiv, gestaltete jede Menge Freizeiten mit. Allerdings: Ein Theologiestudium hätte den Ausschluss aus der Bewegung bedeutet. „Aber Theologie hat mich sehr interessiert“, sagt Sr. Ruth. „Also ab in den universitären Untergrund.“ Die junge Frau studierte offiziell Biologie und Chemie auf Gymnasiallehramt – und heimlich Theologie. Als die frisch gebackene Schulrätin das Angebot bekam, die Jugendbewegung auf Landesebene zu leiten, zögerte sie. „Ich war mir noch unsicher, wohin mein Lebensweg führen sollte.“ Sie erbat ein Sabbatjahr. Während dieser Auszeit ging sie nach Unterfranken, um im Kreis Schweinfurt die ökumenische Begegnungsstätte Schloss Craheim mit aufzubauen.
„Ich wollte keine Tracht tragen“
Im Bannkreis des Schwanbergs gelandet, war es nur eine Frage der Zeit, bis Meili den „heiligen Berg“ besuchte und dort die CCR kennenlernte. Was letztendlich den Ausschlag dafür gab, dass sie sich am 1. Advent 1971 dem benediktinisch lebenden Frauen-Convent anschloss? „Gottesdienste, Konzerte, Jugend- und Musikfreizeiten: Ich habe hier oben einen guten Geist gespürt“, sagt Sr. Ruth. Dann fügt sie mit einem fröhlichen Augenzwinkern an: „Außerdem wollte ich im Alltag keine Tracht tragen.“
Als Lehrerin in der Berufsfachschule für junge Frauen, die in den 70er-Jahren auf dem Schwanberg angesiedelt war, fühlte Sr. Ruth sich wohl. Dann kam aus München die Anfrage, ob die CCR eine Niederlassung in der Hauptstadt gründen und sich um Wohnsitzlose, Abhängige und so weiter kümmern wolle. „Da kam meine Missionsader durch!“ Also zog sie für drei Jahre nach München. „Schwabing war damals ein ganz buntes Viertel mit witzigen Typen.“ Ein wohnsitzloser Stammgast der neu eröffneten Wärmestube habe sämtliche Politiker „fantastisch imitiert“. Ein anderer habe zum „Beichten nach Andechs“ gebracht werden wollen, in Wirklichkeit hatte er es weniger auf den Beichtstuhl als auf das Bier abgesehen.
Besonders gern erinnert sie sich an den Tag, an dem ihre Mitschwestern nicht da waren und sie deshalb die Gäste bat, den Part der Schwestern zu übernehmen und mit ihr in der Kapelle hinter der Teestube Gottesdienst zu feiern. „Die Leute haben schief und schiefer gesungen, aber es war eine der schönsten Stunden in meinem Leben – und ein Schlüsselerlebnis: Ich erkannte, dass missionarisches Handeln nicht heißt, ein Programm zu liefern, sondern die Menschen aktiv einzubeziehen und mitgestalten zu lassen.“