Die Hände am Saatgut
Autor: Diana Fuchs
Kitzingen, Mittwoch, 06. April 2022
Wie David gegen Goliath kämpfen der Kitzinger Erich Gahr und die Frauen von „Wir für Vielfalt“ gegen die Agrarriesen, die wichtige genetische Vielfalt opfern, um Gewinne zu machen.
Masken aus China, Öl und Gas aus Russland: In der Pandemie und im Ukraine-Krieg ist uns plötzlich klar geworden, wie abhängig wir uns von anderen Ländern gemacht haben. Auch in Sachen Ernährung ordnen wir uns Mächten unter, deren Entwicklung wir nicht steuern können. Wer einen Garten hat, der kennt das: Samenfestes Gemüse zu finden – Saatgut, aus dem wieder neue Pflanzen wachsen können – wird zunehmend schwer. Wir werden in Sachen Saatgut immer abhängiger von wenigen Global Playern.
Keiner weiß das besser als Erich Gahr. Der Kitzinger, den alle nur in Arbeitshose, kariertem Hemd und mit wettergegerbtem Gesicht kennen, ist seit einem halben Jahrhundert quasi auf dem Feld daheim. In Rente gehen? Bei dem Gedanken lacht der Biobauer nur. Der 68-Jährige lebt und schuftet für die Solawi, die Solidarische Landwirtschaft, einen Verein motivierter Menschen, die frische, gesunde, biologisch angebaute Lebensmittel schätzen und sie deshalb, unter Gahrs fachkundiger Regie, selbst kultivieren.
„Das bedroht die genetische Vielfalt und damit die
Ernährungssicherheit.“
Nun hat Gahrs Solawi sich der fränkischen Initiative „Wir für Vielfalt“ angeschlossen – für drei Saat- und Pflanzgut-Tauschbörsen, von denen eine auf Gahrs Biohof stattfindet. Hinter „Wir für Vielfalt“ stehen sechs Frauen aus dem Raum Kitzingen/Würzburg, denen nachhaltige Landwirtschaft und Pflanzenvielfalt wichtig sind. Sinn der drei Tauschbörsen ist es zum einen, Hobbygärtnern ein Forum zu bieten, um Samen, Jungpflanzen oder Stauden miteinander zu teilen. Die Tauschbörsen sollen zum anderen das Bewusstsein dafür schärfen, dass ganz wenige Großkonzerne den weltweiten Saatgutmarkt für Nutzpflanzen unter sich aufteilen. „Das bedroht die genetische Vielfalt und damit die Ernährungssicherheit“, warnt Edith Sachse von „Wir für Vielfalt“.
„95 Prozent des weltweiten Gemüsesaatgutes ist bereits in der Hand von gerade mal fünf Konzernen“, rechnet Edith Sachse vor. „Beim Getreide gehören 60 Prozent des Saatgutes sieben, acht Unternehmen.“ Genau deshalb hofft die Burggrumbacherin, die der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) angehört, dass immer mehr Menschen, Landwirte, aber auch Hobbygärtner den Wert von samenfestem Saatgut erkennen, es anbauen, vermehren und teilen.
Warum die Machtkonzentration beim Saatgut so gefährlich ist, erklärt Erich Gahr. „In Deutschland und Europa haben Hybridsorten, also Hochleistungssorten, die für die Weitervermehrung aus der eigenen Ernte nicht geeignet sind, bei zahlreichen Gemüsearten – etwa Mais, Zuckerrüben, Zwiebeln, Tomaten – einen Marktanteil von über 90 Prozent. Sie werden auf möglichst hohe Erträge gezüchtet.“ So genannte F1- und CMS-Hybride liefern besonders reiche Ernten. Schön. Eigentlich. Denn die Crux an der Sache ist: CMS steht für „cytoplasmatische männliche Sterilität“ – das bedeutet, dass die Sorte genetisch so verändert wurde, dass keine Pollen mehr gebildet werden. Die Nachkommen aller Hybriden sind zwar sehr ertragreich – aber nur in der ersten Generation (F1); als Saatgut sind sie ebenso untauglich wie die Nachkommen von F1-Kreuzungen.