Die Gestalter der Visitenkarte
Autor: Daniela Röllinger
Mainbernheim, Mittwoch, 22. Juni 2022
Die Grabengärten in Mainbernheim werden von Bürgern bewirtschaftet und gepflegt. In der Corona-Zeit sind sie zum Integrationsplatz für Neubürger geworden.
Blaue Latzhose, Sonnenhut, ein strahlendes Lächeln im Gesicht. Angela Tintrup ist anzusehen, wie viel Spaß ihr das Gärtnern macht. In idyllischer Umgebung, direkt vor der historischen Stadtmauer, bewirtschaftet die Mainbernheimer Neubürgerin einen Grabengarten. Hier kann sie ihr eigenes Obst und Gemüse anbauen. Hier findet sie Entspannung nach dem Arbeitstag. Hier plaudert sie und tauscht sich aus. „Das hier“, sagt die Geographin und deutet mit ausgestrecktem Arm einmal quer über die langgestreckte Fläche, „war in der Corona-Zeit unser Integrationsplatz“.
Anpacken und ausprobieren
Wer auf der B8 durch Mainbernheim fährt, dessen Blick fällt ganz automatisch auf die Flächen vor der Stadtmauer. Sträucher, Blumen, Obst, Gemüse: Die Grabengärten prägen seit vielen Jahrzehnten das Ortsbild und gelten als „Visitenkarte“ der Stadt, weil sie gerne und häufig von Touristen fotografiert werden. 56 Parzellen reihen sich aneinander, beim Vorbeifahren kaum als Einzelteile zu erkennen, denn trennende Zäune gibt es zwischen den von Bürgern bebauten und gepflegten Flächen nicht.
Angela Tintrup, Uwe Jung und Maria Luise Roth sind drei von ihnen. Allesamt sind sie zugezogen, wenn im Fall von Roth auch schon 1997. Allesamt haben sie viel Freude bei der Arbeit im Grünen. „Als ich anfing, war ich blutiger Anfänger“, erzählt Uwe Jung. Zwei Jahre ist es her, dass er nach Mainbernheim zog und einen Garten übernahm. Jetzt geht er schon fast als alter Hase durch. Täglich arbeitet er im Garten, packt auch mal bei anderen mit an, probiert aus, hört sich Ratschläge an. „Hier kann ich in der Erde graben, hier bin ich an der frischen Luft, hier kriege ich viele Tipps von den Nachbarn“, lobt der 62-Jährige. „Und wenn ich Lust auf eine schlachtfrische Zwiebel habe, hol ich sie mir einfach“, scherzt er.
Was man anbaut, kann jeder selbst entscheiden, nur große Bäume dürfen es nicht sein, weil sie die Stadtmauer verdecken würden. Auch sonst gibt es ein paar Regeln zu beachten in den Grabengärten. Keine Zäune, Bewässerung nur mit der Gießkanne, keine chemische Keule, keine Pavillons, Garten- oder Gerätehäuser. Einfache Regeln, mit denen die Gartenbesitzer gut und gern leben können. Es sind eben keine Kleingärten, in denen man für sich sein möchte, sich auf einem Rasen im Liegestuhl sonnt oder eine Grillparty veranstaltet – wo alles eher Richtung Camping geht. Es sind Nutzgärten, die schon seit ihrer Anlage um das Jahr 1938 der Versorgung der Bürger dienen.
Das Artischocken-Experiment
Kohlrabi hat Uwe Jung in seinem ersten Gartensommer angebaut. „Superschmelz. Die haben wir gegessen wie Melone“, schwärmt er von der Sorte, die besonders groß und saftig ist. „Kennen Sie die? Müssen Sie unbedingt mal probieren!“ Angela Tintrup versucht sich heuer am Artischocken-Anbau, die mag ihr Mann, der aus Spanien stammt, sehr gern. „Ein Experiment“, sagt sie lachend: Die eine Pflanze ist erfroren, die andere ist bald erntereif. „Ich bin schon gespannt, wie sie schmeckt.“ Wer was anbaut, wer wie die Kartoffelkäfer bekämpft, wie der Salat am besten gegen Nacktschnecken geschützt werden kann – es wird schnell gefachsimpelt, wenn man sich begegnet. Ein kurzer Stopp, ein mal kurzes, mal langes Gespräch, dann kümmert sich jeder wieder um seine eigenen Pflanzen. „Hier gibt es keinen Druck“, findet Uwe Jung. Höchstens mal einen kleinen Nebensatz: „So wird des fei nix.“ Wenn es doch wird, freut sich das Gärtnerherz dann umso mehr.
Die Leute seien völlig unterschiedlich, erzählt Angela Tintrup. Der eine mache viel, der andere weniger, manch einer komme auch nur mal zum Gießen vorbei. So wie Ilona Jung. Sie geht schon mal mit ihrem Mann in den Garten, „aber ich bin eher der Gießer und Unkrautzupfer“, sagt sie und nascht im Vorbeigehen schnell ein paar Himbeeren vom Strauch.
Der Genuss der eigenen Ernte ist etwas, was sie alle antreibt. Dass sie wissen, woher das Obst und das Gemüse kommen, wie es angebaut wurde und dass eben keine chemischen Rückstände darin zu finden sind. Auf Brennnesselbrühe setzen sie oder auf Handarbeit. Unzählige Kartoffelkäfer haben Angela Tintrup und ihr Mann letztes Jahr abgesammelt. „Dreimal am Tag.“ Die Fleißarbeit der Neu-Gärtnerin hat sich gelohnt: Die Ernte ist gut ausgefallen. „Wir haben sie fotografiert. Jede einzelne Kartoffel war ein Erfolg“, sagt die Geographin und lacht wieder. Obwohl – oder vielleicht auch weil – ihr Maria Luise Roth gerade erzählt, in ihren gerade mal hundert Meter entfernten Garten habe sich letztes Jahr kein einziger Kartoffelkäfer verirrt. Dafür reichlich Nacktschnecken. Die erfahrene Hobbygärtnerin schüttelt sich – an diese Tiere mag sie sich auch nach Jahrzehnten nicht gewöhnen. Die Blumen haben sie ihr abgefressen, bei Uwe Jung die Bohnen, bei Tintrup musste der Salat daran glauben. Auf diesen Satz folgt schon wieder ein Tipp: „Nimm Lollo Rosso oder Bianco, da gehen die Schnecken nicht so hin“, rät Roth.