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Der große Frust der Jungen


Autor: Daniela Röllinger

Kitzingen, Freitag, 21. Januar 2022

Laut Umfrage fühlen sich viele junge Menschen in der Corona-Pandemie von der Politik im Stich gelassen.
Die Jugend ist alles andere als zufrieden mit der Corona-Politik der Regierung. Sie kritisiert Management-Fehler und fühlt sich im Stich gelassen, so das Ergebnis einer Umfrage der Generationen Stiftung. Auch die Mittelfränkin Johanna Reichenbach, Mitglied im Jugendrat, fordert endlich mehr Solidarität mit jungen Menschen. Das Foto entstand bei einer Aktion des Jugendrats gegen die Klimapolitik im Juli 2021.


Junge Leute und Corona? Da ging es in den letzten beiden Jahren vor allem um eines: Wie lässt sich Wissen trotz Schul- und Uni-Schließungen bestmöglich vermitteln, wie lassen sich Wissenslücken schließen? „Aber wie es den Jugendlichen geht und was für sie auf der Strecke bleibt, das hat niemanden interessiert“, sagt Johanna Reichenbach. Die Mittelfränkin gehört dem Jugendrat der Generationen Stiftung an, die kürzlich bei jungen Menschen eine Umfrage zu Corona durchgeführt hat. Das Ergebnis ist alarmierend: Es geht um Ängste und Depressionen, um Einsamkeit und Benachteiligung und um wenig Vertrauen in die Politik. Die Jugend fühlt sich im Stich gelassen.

Johanna Reichenbach ist 19 Jahre alt, hat letztes Jahr Abitur gemacht. Eigentlich sollte sie jetzt nicht zuhause in ihrem Heimatort sitzen und mit der Zeitungsredakteurin über eine Krise sprechen. Eigentlich wäre jetzt die Zeit, das Leben zu genießen, die Welt kennenzulernen. „Ich wollte mit Interrail durch Europa reisen“, erzählt die junge Frau, „und auf jeden Fall ein Auslandsjahr machen.“

Stattdessen sind Praktika in der Heimat angesagt. „Aber das ist nicht das Gleiche.“ Es schwingt Enttäuschung mit in diesem Satz. Aber die 19-Jährige ist keine, die ihre Gefühle laut kund tut, die auf die Barrikaden geht. Sie argumentiert sachlich, trotz der Gefühle tief drinnen. Die benennt sie erst, wenn man sie gezielt danach fragt. „Ja, es ist schon frustrierend.“ Und nach kurzer Pause. „Ja, ich bin auch wütend.“

Meinung der Impfgegner beeinflusst die Politik zu sehr

Um auf die Belange der jungen Menschen aufmerksam zu machen, engagiert sich Johanna Reichenbach seit einem Jahr in der Generationen Stiftung. Eigentlich ist sie mit dem Ziel eingestiegen, sich für den Klimaschutz stark zu machen. Aber jetzt beschäftigt sie sich natürlich auch mit der Situation von jungen Leuten in der Pandemie. In beiden Fällen, beim Klimaschutz und bei Corona, fühlt sie sich von der Politik im Stich gelassen. Im Klimaschutz, weil sich da trotz Versprechungen wenig tut. Und bei Corona, weil zu viele Fehler gemacht wurden. „Die Mal-so–Mal-so-Entscheidungen“, nennt sie als Beispiel. Außerdem findet sie, dass die Meinung der Impfgegner die Politik zu sehr beeinflusst: „Denen wird eher nachgegeben, obwohl sie in der Minderheit sind“.

Vor allem aber geht es ihr um die unterschiedliche Behandlung der verschiedenen Altersgruppen in der Pandemie. „Warum wurden die Schulen gleich geschlossen und die Großraumbüros waren noch lange offen?“, fragt sie. Kinder und Jugendliche würden auf das Schülerdasein reduziert. „Es ging der Politik doch nur darum, dass Wissen vermittelt wird. Es ging darum, dass die Wirtschaft Frischfleisch bekommt, gute Azubis und Mitarbeiter.“ Dass die Corona–Pandemie aber auch andere Folgen hat als mögliche Lernrückstände, das blieb außen vor. „Die Politik kann nichts für die Krise. Aber man hätte das Management besser angehen können, dann gäbe es jetzt nicht so viele psychische Folgen“, ist Johanna Reichenbach sicher. Denn mehr und mehr junge Leute fühlen sich psychisch und emotional belastet, die Anfragen bei den Beratungsstellen und Therapeuten schnellen in die Höhe.

Seit zwei Jahren reduzieren viele junge Leute ihre sozialen Kontakte, treffen sich wenig, um die Ansteckungsgefahr für sich, vor allem aber für die ältere Generation zu verringern, um Eltern und Großeltern zu schützen. Die Schulen und Unis waren mal offen, mal zu, man wusste nie, wie es weitergeht. Viel musste zuhause gearbeitet werden. „Man hat die Aufgaben erledigt. Aber dabei irgendwie verlernt, zu lernen.“ Für diejenigen, denen eine Prüfung bevorstand, sei das fatal gewesen. Auch Johanna Reichenbach saß allein in ihrem Zimmer und hat sich aufs Abi vorbereitet. „Die Unsicherheit war bei den Abiturienten groß“, erzählt die 19-Jährige. Schafft man es, werden die Noten gut genug sein, wie geht es danach weiter? Dass sich alle so gefreut haben, als sie wieder in die Schule durften – „das war schon irgendwie verrückt.“

„Es wird nicht gehandelt, wie es die pandemische Lage erfordert“

Von der neuen Regierung hatten sich die jungen Leute eine Besserung gewünscht. Kein Hin- und Her mehr. Die Hoffnung wurde bislang enttäuscht. Kommt die Impfpflicht oder kommt sie nicht? Die Frage sei sicherlich nicht leicht zu entscheiden, aber man hätte sich besser darauf vorbereiten müssen, kritisiert die 19-Jährige. Doch auch jetzt werde die Entscheidung immer weiter hinausgezögert. „Es wird nicht so gehandelt, wie es die pandemische Lage erfordert.“ Und werde mal etwas entschieden, scheren einige wieder aus. „Jetzt wurde 2Gplus in der Gastronomie vereinbart und Bayern bleibt bei 2G.“ Reichenbach spricht von „Alleingängen wegen der politischen Profilierung, nicht wegen der Pandemie.“ Die Umfrage wird da noch deutlicher: Fast zwei Drittel der jungen Erwachsenen geben an, die Regierung habe für bessere Wahlergebnisse in Kauf genommen, dass die Corona-Pandemie außer Kontrolle gerät.

Der Frust bei den jungen Leuten ist groß, und die Mittelfränkin kann das nachvollziehen. „Man hat die Kontakte reduziert, man hat die Einsamkeit in Kauf genommen, man hat sich solidarisch gezeigt, man hat sich impfen lassen. Und trotzdem kommen immer wieder Situationen, in denen ein Lockdown droht.“

Corona-Pandemie hat die Makel im Bildungssystem aufgezeigt

Die Solidarität, die junge Leute seit zwei Jahren für die anderen zeigen, fordern sie jetzt auch für ihre Altersgruppe ein. „Die EU hat 2022 zum Jahr der Jugend ausgerufen. Da sollte man wenigstens jetzt ein Augenmerk auf unsere Belange richten.“ Eine Bildungsreform mahnt Reichenbach zum Beispiel an. „Die Corona-Pandemie hat gezeigt, welche Makel unser Bildungssystem hat.“ Zudem dürfe Schule nicht immer nur als Lernraum für Fächer wie Mathematik gesehen werden. „Die Schule ist auch ein sozialer Lernraum, dort findet ein großer Teil des sozialen Lebens statt.“ Der Verarbeitung der Pandemie sollte in der Schule Zeit eingeräumt werden, schlägt sie vor. „Ein Schulfach, in dem über die Folgen gesprochen wird.“ Das könnten vielleicht Schulsozialarbeiter übernehmen, denn die Lehrer hätten auch so schon viel zu tun.

Außerhalb der Schule wäre es sehr wichtig, mehr Therapieangebote zu schaffen. „Die Wartezeiten sind jetzt schon lang, und die Zahl der Betroffenen ist stark gestiegen.“ Man müsse darüber nachdenken, für die Folgen der Pandemie auf die psychische Gesundheit weitere Angebote zu schaffen. Einen Appell richtet sie aber auch an Lehrer und Betriebe: Durch Corona entstandene Lernrückstände dürften jetzt nicht auch noch die Zukunftschancen der jungen Leute beeinträchtigen.

Die Umfrage der Generationen Stiftung

Das Ergebnis: 1000 junge Menschen zwischen 16 und 24 Jahre wurden bei einer Umfrage der Generationen Stiftung zu Corona und ihrer Situation befragt. 68 Prozent gaben an, dass ihr Vertrauen in die politische Führung in den letzten sechs Monaten der Corona-Pandemie stark gelitten hat. Auf die Hälfte der Befragten wirkt die Corona-Politik der neuen Ampelregierung genauso unzuverlässig wie die vorherige GroKo-Regierung. 61 Prozent finden, dass die Regierung für bessere Wahlergebnisse in Kauf genommen hat, dass die Corona-Pandemie außer Kontrolle gerät. Jeder zweite schätzt sein Gesundheitsrisiko durch Ängste oder Depressionen höher ein als das Risiko einer Infektion. 54 Prozent haben Angst vor weiteren Uni- und Schulschließungen, weil die Einsamkeit im letzten Jahr schwer zu ertragen war. Und mehr als die Hälfte der jungen Menschen hat der repräsentativen Umfrage zufolge das Gefühl, dass die Rechte von Impfgegnern höher wiegen als ihr Recht auf Gesundheit, Bildung und ein soziales Leben.

Claudia Langer, Gründerin und Vorstand der Generationen Stiftung: „Diese Umfrage sollte die Politik alarmieren und auf den Plan rufen, denn sie zeugt von einer tiefen Vertrauenskrise der Jugend. Wenn aber die junge Generation, die in den nächsten Jahrzehnten von Klima bis Rente schier unlösbare Probleme erbt, in die innere Kündigung geht, dann droht eine tiefe gesellschaftliche Spaltung. Die Jugend fühlt sich von der Politik massiv im Stich gelassen. Der Fokus auf die grundlegenden Bedürfnisse junger Menschen ist überfällig, sonst ist der Generationenvertrag nicht zu retten.“