Druckartikel: Der Fußball verbindet

Der Fußball verbindet


Autor: Diana Fuchs

Kitzingen, Dienstag, 18. August 2015

Der besondere Tischkicker: In der Werkstatt der Barmherzigen Brüder in Gremsdorf entwickeln und bauen Behinderte und nicht Behinderte Kicker-Tische mit dem echten Kick. Zur Fußball-WM 2006 fertigten sie den längsten Kicker der Welt.
Balljungen: Rainer und Jürgen zeigen die Vielfalt von Spiel- und Turnierbällen. Korkbälle sorgen dafür, dass das Spiel leiser vonstatten geht als gewöhnlich. FOTO Diana Fuchs


Was hat der G7-Gipfel mit Manuel Neuer zu tun? Und was hat ein Würzburger Autoantriebs-Spezialist mit Gorbatschow gemeinsam? Die Antwort verblüfft: Jemand hat sie alle auf dem Kieker – äh, nein: auf dem Kicker.

Jener „Jemand“ kommt aus Gremsdorf, einer kleinen Gemeinde bei Höchstadt, am Rand der Fränkischen Schweiz. Genau genommen handelt es sich nicht um einen einzelnen Menschen, sondern um eine ganze Gruppe: die „Barmherzigen Brüder“. Auf dem Areal der weltweit aktiven Ordensbrüder leben und arbeiten heute in Gremsdorf 280 Frauen und Männer mit einer geistigen und/oder psychischen Behinderung. Unter weltlicher Führung arbeiten sie zum Beispiel in der Benedikt-Menni-Werkstatt, in der berufliche und soziale Integration groß geschrieben wird. Hier haben Behinderte und Nichtbehinderte eine einmalige Idee in die Tat umgesetzt.

Vor gut 15 Jahren fertigten sie den ersten individuellen Kickertisch an. Mittlerweile sind sie Spezialisten auf dem Gebiet und besetzen eine Marktnische.

„In der Schreinerei war gerade mal ein bisschen Luft. Das heißt, es blieb Zeit, etwas für den Eigenbedarf zu entwickeln“, erinnert sich Werkstattleiter Detlev Troll an die Zeit um die Jahrtausendwende. Schon damals arbeiteten einige Fußballfans in der Werkstatt. „Tja, so ist es zum Bau unseres ersten Kickers gekommen.“

Seither wird ebenso professionell wie leidenschaftlich gesägt, gehobelt, gefräst, gebohrt, geschliffen und lackiert. Langeweile hat keine Chance, denn: Fußballtisch ist nicht gleich Fußballtisch. „Wir haben unsere Turnier- und Gaudi-Kicker immer weiter entwickelt, optimiert und auf die persönlichen Wünsche der Kunden abgestimmt. Farbe und Größe sind heute frei wählbar“, beschreibt Jörg Barth, Chef in der Eigenproduktion, die Entwicklung.

Für die Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland haben die Mitarbeiter eine exklusive Sonderedition angefertigt: den „längsten Kicker der Welt“. 40 Spieler konnten an dem Tisch mit einer Gesamtlänge von 12,26 Metern zusammen kickern. „Wir sind sehr stolz darauf, dass wir damit einen Eintrag ins Guinness-Buch der Weltrekorde bekommen haben“, erinnert sich Troll.

Den Durchbruch auf dem Markt haben „die Barmherzigen“ geschafft, als sie den ersten Kicker mit Original-Unterschriften von „Very Important Persons“, berühmten Leuten also, hergestellt haben. „Wir haben die Autogramme von Putin, Schröder und Gorbatschow verewigt.“ Auch viele Fußballgrößen haben gern den Edding in die Hand genommen, damit ihr persönlicher Schriftzug einen Kickertisch zieren kann. Franz Beckenbauer etwa, Manuel Neuer und ganze Bundesliga-Teams, darunter auch der FCB und der FCN. Beim jüngsten G7-Gipfel im Allgäu haben die „Barmherzigen“ das Medienzentrum und das Schloss Elmau mit sieben Kickern ausgestattet, die das G7-Logo zierte.

„Die Bürgermeister der umliegenden Gemeinden haben sich nach dem Gipfel darum gerissen“, berichtet Detlev Troll.

800 Euro aufwärts kostet ein individuell gestaltetes Turnier-Modell aus stark beanspruchbarem Buche-Multiplex-Material und einem Gestell aus stabiler, einheimischer Rotbuche. Sonderwünsche werden je nach Aufwand berechnet.

„Die Hochzeitsgäste haben die Kickermännchen selbst angemalt.“
Jürgen, Mitarbeiter in der Werkstatt

Ob „Mannschaftskicker“ für 22 Spieler oder ein normalgroßer Firmen- und Vereinskicker mit entsprechenden Logos und Bildern: Bei den „Barmherzigen“ ist jeder Tisch ein Unikat. Kürzlich haben sie sogar einen Hochzeitskicker erschaffen. „Die Hochzeitsgäste haben die Kickermännchen selbst angemalt“, erzählt Jürgen, der seit über 20 Jahren in Gremsdorf arbeitet. „Das war interessant, was die da alles draufgemalt haben.“

Mit besonders viel Eifer haben die „Barmherzigen“ auch schon mehrere Rollstuhl-Kicker gebaut – immerhin gibt es auch in Gremsdorf zahlreiche Rollis. „Schau her“, sagt Jürgen und deutet auf einen Kicker-Tisch mit viel Beinfreiheit, „da ist genug Platz für die Rollstuhlräder“. Werkstattleiter Detlev Troll ergänzt: „Solche Rollstuhl-Kicker sind auch gute medizinische Arbeitsgeräte. Zum Beispiel kann man damit prima die Handmotorik und die Koordination fördern. Und das einfach so im Spiel.“

Über 100 Tischfußballspiele werden pro Jahr verkauft. „Jede Woche gehen zwei bis drei Tische raus“, berichtet Jürgen. Neben ihm arbeiten weitere neun Personen im „Kicker-Bau“. Rainer zum Beispiel ist für die Endmontage zuständig. Der 39-Jährige ist ein ruhiger Geselle. Er schraubt die beweglichen Stangen, an denen die Spielfiguren hängen, passgenau über dem Spielfeld an. Rainer ist eher wortkarg, aber als Jürgen sagt: „Wir haben hier ein super Team, alle helfen zusammen“ nickt er eifrig. Jürgen erzählt weiter: „Nach der Morgenrunde machen wir Arbeitseinteilung und dann geht's los. Das macht Spaß!“

Doch die Werkstatt ist nur ein kleiner Teil des „Dorfes im Dorf“, in dem Behinderte und Nicht-Behinderte arbeiten und leben. Viele sind für die Automobil-Zulieferindustrie tätig, fertigen zum Beispiel Wälzlagersegmente an. „Man findet in Deutschland kein Auto, in dem nichts von Behinderten Hergestelltes zu finden ist“, sagt Detlev Troll.

Volker Hartmann bestätigt das. Der Geschäftsführer der hofer eds GmbH aus Würzburg kennt sich mit Autos aus. Sein Unternehmen – eds steht für electric drive systems, elektrische Fahrzeug-Antriebssysteme – arbeitet markenunabhängig als Entwicklungsdienstleister im Bereich E-Mobilität und Hybridantrieb. Für die 35 Mitarbeiter am Standort Würzburg – darunter E-Mobilitäts-Pioniere mit 20 Jahren Entwicklungserfahrung ebenso wie junge Ingenieure – haben Volker Hartmann und sein Geschäftsführer-Kollege Dr. Marco Falco einen Zweimann-Kicker bestellt.

Dieser soll zur Teambildung beitragen und als Identifikationsmedium dienen. „Nachhaltigkeit ist die Motivation für die tägliche Arbeit, Fahrzeuge von morgen noch besser, sauberer und sparsamer zu machen“, betont Hartmann. „Diesen Anspruch auch auf die soziale Komponente und das Miteinander zu übertragen, funktioniert mit einem Kicker aus der Behinderten-Werkstatt der Barmherzigen Brüder hervorragend.“

Detlev Troll und Jörg Barth können solche Firmenphilosophien nur unterstützen. Bei immer mehr Menschen werden psychische und geistige Behinderungen diagnostiziert. Zirka 100 Namen stehen aktuell auf der Warteliste der „Barmherzigen Brüder“. 100 Namen, 100 Schicksale. Jörg Barth sagt: „Wir können hier gar nicht genug Arbeitsplätze schaffen.“