Erwachsene Menschen mit Behinderung haben endlich eine medizinische Anlaufstelle
Autor: Ralf Dieter
Würzburg, Dienstag, 05. Februar 2019
Das MZEB am Würzburger Blindeninstitut nimmt Betroffenen und ihren Angehörigen den Schrecken vorm Arztbesuch.
Routine ist seit ein paar Wochen für Dr. Anja Klafke ein Fremdwort. Sie lernt jeden Tag etwas Neues dazu, steht jeden Tag vor einer neuen Herausforderung. Dabei schaut die Ärztin auf eine mehr als zehnjährige Berufserfahrung zurück, war in verschiedenen Kliniken im In- und Ausland tätig. Seit September 2017 leitet sie das Medizinische Behandlungszentrums für Menschen mit Behinderung (MZEB) in Würzburg. Im Oktober sind die neuen Räume auf dem Gelände des Blindeninstituts eingeweiht worden. Familie Reis ist aus dem Raum Miltenberg angereist. Vater Manfred, Mutter Margit und Sohn Pascal. Der ist 29 Jahre alt und ein ganz besonderer Mensch.
„Pascal lässt sich nicht
anfassen. Blut abnehmen geht gar nicht.“
Mit zweieinhalb Jahren wurde bei ihm Autismus diagnostiziert. Pascal spricht nicht. „Wir haben unsere eigene Sprache gefunden“, sagt sein Vater. Einkaufen, Schule, Urlaub: Alles Herausforderungen, die mit viel Flexibilität und Kreativität gemeistert wurden. Zu den größten Hürden gehörten und gehören die Arztbesuche. „Pascal lässt sich nicht anfassen“, erklärt Margit Reis. Fieber messen? In den Hals schauen? Was bei den kleinsten Patienten problemlos funktioniert, ist bei Pascal schier unmöglich. „Blut abnehmen geht gar nicht“, sagt seine Mutter. Jeder Arztbesuch ist für die Familie Reis eine große Belastung.
Mit Schrecken erinnern sich die Eltern daran, wie Pascal Weisheitszähne wuchsen, die entfernt werden mussten. Die Anästhesie beim Zahnarzt funktionierte gar nicht, Pascal wehrte sich mit Leibeskräften. Nächster Versuch in der Tagesklinik. Dort warteten schon etliche Schwestern im Vorbereitungsraum auf den „Problempatienten“. Pascal machte dicht, tobte.
Eine Stunde hat es gedauert, bis er sich wieder einigermaßen beruhigt hatte. Letztendlich konnte ein Arzt doch noch einen Zugang legen, unter Narkose wurden dem jungen Mann die Weisheitszähne gezogen. Die Erfahrungen haben ihre Spuren hinterlassen. „Pascal hat ein gutes Gedächtnis“, sagt seine Mutter. Die Zahnarztpraxis betritt er nicht mehr. Die Kontrollen finden dank der Flexibilität der Ärztin mittlerweile auf der Treppe im Hausflur statt. Nach Praxisende, wenn einigermaßen Ruhe eingekehrt ist und Pascal sich etwas sicherer fühlt.
2015 ist bei dem jungen Mann Morbus Crohn diagnostiziert worden. Eine Ultraschalluntersuchung wäre dringend nötig. Manfred und Margit Reis setzen ihre Hoffnung in Dr. Anja Klafke und ihr Team vom MZEB. Mindestens fünf der insgesamt 15 Mitarbeiter sind dort jeden Tag in den behindertengerecht gestalteten Räumen präsent. Ein Arzt und zwei Therapeuten kümmern sich um einen Patienten. Oberstes Prinzip: Zeit lassen, nichts überstürzen, auf die Wünsche des Patienten und dessen Begleitpersonen eingehen.