Das vergessene Dorf
Autor: Diana Fuchs
Marktbreit, Dienstag, 28. März 2017
Abenteuer ohne doppelten Boden: Eine 79-Jährige bringt bare Hilfe in den Himalaya
Es klingt wie die Story für einen Kinofilm. Die Hauptperson: Margret Thalmann, 79 Jahre, sportlich, mutig, durchsetzungsfähig, geprägt von christlicher Nächstenliebe. Im Zentrum ihrer Geschichte: 13 000 Euro Spenden, zwei freundliche Zöllner, eine seltsame Geldvermehrung und viele wundersame Begegnungen. In Nebenrollen: zwei patente Nepalesen (Shailendra Basnet, 44, und Jagat Tamang, 49). Ort des Geschehens: das nepalesische Bergdorf Cheete, das nach dem großen Erdbeben 2015 vom Rest der Welt vergessen wurde. Zudem: ein Waisenhaus und eine Schule, beide am Rande von Kathmandu.
Wenn jemand wirklich einmal einen Film über Margret Thalmann dreht, dann lernt er eine Rentnerin kennen, die gerne singt, Menschen mag und jeden Frühling den Grad ihrer Fitness dadurch misst, dass sie von ihrer Heimatstadt Marktbreit hoch zum Schwanberg radelt, ohne abzusteigen. Eine achtfache Großmutter, die Schülern Nachhilfe in Mathe erteilt, weil ihr das Spaß macht. Eine Frau, in deren Wortschatz „Geht nicht“ so gut wie nicht vorkommt. Und eine Nepal-Kennerin, der Land und Leute sehr ans Herz gewachsen sind.
Im Herbst hat Margret Thalmann ihre jüngste Aktion gestartet – eine Spendensammlung. Der Grund: Auch 20 Monate nach dem verheerenden Erdbeben vom Frühjahr 2015 war in abgelegenen Orten noch keinerlei Hilfe angekommen; viele Menschen in den Bergdörfern des Himalaya hausten in notdürftig zusammengeschusterten Wellblechhütten. Margret Thalmann versprach potenziellen Spendern in Deutschland, jeden Cent direkt an Ort und Stelle zu bringen. Das scheint viele Menschen beeindruckt zu haben: 13 000 Euro kamen nach einem Zeitungsaufruf zusammen.
Mit treuen Helfern und einer Extraportion Gottvertrauen hat sie das Geld, das zum Teil von Lesern dieser Zeitung stammt, nun persönlich überbracht. Ende Februar fuhr sie mit dem Auto zum Park-&-Ride–Parkplatz des Frankfurter Flughafens. Per Shuttle-Bus erreichte sie den Airport. Dort wollte sie die 10 000 Euro, die sie am Körper mitführte, und die 3000 Euro, die im Koffer lagerten, beim Zoll anmelden. Doch auf einem Schild stand: „Vorübergehend geschlossen.“ Die angegebene Telefonnummer ließ Margret Thalmann kalt: „Ich hab' mir gedacht, wenn am größten deutschen Flughafen der Zoll nicht besetzt ist, dann ruf ich den auch nicht an.“
Den Koffer hatte Thalmann bereits abgegeben, als eine freundliche Frau sie beim Check-in-Abtasten fragte, ob sie zu Verzollendes dabei habe. Da Margret Thalmann eine ehrliche Haut ist, erklärte sie sich – woraufhin die Bedienstete sogleich den Zoll informierte. „Ich habe wie auf einem Sünderbänkchen gesessen. Dann sind zwei Männer vom Zoll gekommen. Denen habe ich alles erklärt“, berichtet die Marktbreiterin. „Die beiden haben die 10 000 Euro, die ich am Körper getragen habe, nachgezählt und gesagt, dass diese Summe zollfrei ist; dann haben sie mich noch rechtzeitig zum Check-in-Schalter begleitet und mir alles Gute für die Aktion gewünscht.“
Der Flug war angenehm, aber in Kathmandu herrschte Sturm, so dass Margret Thalmanns Maschine bis Indien weiterfliegen musste. „Nach der Landung dort durften wir nicht aus dem Flugzeug aussteigen. Das war ein komisches Gefühl.“ Nach fünf Stunden konnte das Flugzeug dann aber doch Kathmandu ansteuern. Dort erwartete Margret Thalmann eine „wunderbare Begrüßung“, unter anderem durch ihre nepalesischen Guides, die sie längst auch Freunde nennt, Shailendra Basnet und Jagat Tamang. Beide haben von Thalmanns langjähriger finanzieller Unterstützung profitiert, haben Schule und Ausbildungen absolviert und können ihre Familien gut ernähren. Nun wollten sie der Deutschen helfen, Spenden direkt an die Erdbebenopfer zu verteilen.
„Die beiden hatten alles bestens organisiert – unter anderem einen Jeep und einen Fahrer“, erzählt Margret Thalmann. Shailendra hatte extra für seinen Gast ein Zimmer an sein bescheidenes Haus am Rand der Hauptstadt angebaut – inklusive Sitzgelegenheit, gemütlichem Bett sowie Waschwanne. „Ich bin froh, dass ich sein Wohn-Angebot angenommen habe. Anders als in einem Hotel, bin ich so hautnah in Kontakt mit den Einheimischen gekommen.“ Viele kamen aus Neugierde auf die Fremde aus Deutschland einfach einmal vorbei. „Abends haben sie sogar einmal Trommeln und Instrumente mitgebracht und wir haben spontan zwei Stunden lang getanzt.“