Druckartikel: "Das Aufhören tut nicht weh"

"Das Aufhören tut nicht weh"


Autor: Ralf Dieter

Kitzingen, Dienstag, 26. Sept. 2017

Renate und Rolf Ferenczy schließen die letzte verbliebene Gaststätte in der Siedlung.
Das Lachen ist ihnen nicht vergangen. Warum auch? Renate und Rolf Ferenczy waren 25 Jahre lang gerne Wirtsleute. Auch wenn die letzten Jahre schwer waren. Am Samstagabend machen sie ihr Gasthaus „Am See“ in der Kitzinger Siedlung dicht.


Eine Ära geht zu Ende. Oder ist das jetzt übertrieben? Zumindest schließt die Gaststätte „Am See“ in der Kitzinger Siedlung an diesem Samstag zum letzten Mal ihre Türen auf. Danach ist Schluss. In der Siedlung mit ihren rund 5000 Einwohnern gibt es damit keine öffentliche Gaststätte mehr – nur noch das Sportheim des SSV.

Rolf Ferenczy trinkt seinen Kaffee und schaut zufrieden aus. Wehmut? Trauer? Oder gar Zorn? Fehlanzeige. „Ich werde bald 70“, sagt er. „Es ist kein Problem, aufzuhören.“ Der Wirt geht zur rechten Zeit und mit einem guten Gefühl. Er hat viele gute Zeiten erlebt.

1951 ist die Gaststätte „Am See“ eröffnet worden, 1978 haben Rolf Ferenczys Eltern sie übernommen. Er selbst ist 1988 eingestiegen, vier Jahre später kam seine Frau Renate mit ins Geschäft. 25 Jahre haben sie zusammen das Gasthaus mit Biergarten und kleinem Saal geführt. Eine lange Zeit. Und anfangs eine sehr gute. „Die Amis haben uns die Bude eingerannt“, erinnert sich Rolf Ferenczy. Nicht nur sie. Die Stammtische waren vor 30 Jahren auch noch unter der Woche gut besucht. An Wochenenden kamen die Stammgäste sowieso. Und an den Kirchweihen ist die Post abgegangen. Live-Musik, zehn bis zwölf Mitarbeiter in Küche und Service – und Party bis in die Puppen. „Da war richtig Halligalli.“

„Eine Familie mit drei,

vier Kindern, kann es sich doch kaum noch leisten, essen zu gehen“

Rolf Ferenczy, Wirt

Sechs Gaststätten hat es in den 80er Jahren in der Siedlung gegeben. „Die sind alle gut gelaufen“, sagt Rolf Ferenczy. Mit Anfang des neuen Jahrtausends ging das Gaststättensterben los. Das Attentat auf das World Trade Center in New York markierte so etwas wie einen Wendepunkt. Die Soldaten der Army erhielten ein Ausgehverbot, 2006 wurden sie ganz aus Kitzingen abgezogen. „Das haben alle Gaststätten in der Stadt brutal gemerkt.“

Dennoch: Es gibt noch andere Gründe für die Misere der traditionellen Gasthäuser in der Siedlung. „Lauter kleine Mosaiksteine“, sagt Rolf Ferenczy und zählt auf: Die Einführung des langen Donnerstags in den Geschäften – „ab da war donnerstags bei uns tote Hose“. Die Schließung des Roxy-Kinos. „Vor und nach den Vorführungen sind die Leute bei uns vorbeigekommen. Jetzt gibt es nur noch Kinobetriebe mit angeschlossener Gastronomie.“ Die GEMA mit ihren Gebühren, das veränderte Ausgehverhalten. Der demografische Wandel tut sein Übriges – in der Siedlung leben mittlerweile viele Senioren, die nur noch selten zum Essen gehen.

Und das Geld fehlt auch den jungen Leuten. „Eine Familie mit drei, vier Kindern, kann es sich doch kaum noch leisten, essen zu gehen“, weiß Rolf Ferenczy. Da hilft auch das frischeste Essen nichts, bedauert seine Frau. Mitunter wirkt es, sehr zu ihrem Erstaunen, sogar kontraproduktiv. „Viele Gäste sind frische Zutaten wie Petersilie oder Walnüsse im Salat gar nicht mehr gewöhnt“, staunt sie. Der allgemeine Geschmack scheint von den Geschmacksverstärkern vorgegeben und geprägt.

„Unsere Senioren in

der Kitzinger Siedlung fragen immer wieder

nach einem Café.“

Bianca Tröge, Stadtteilreferentin

14 Stunden hat durchschnittlich ein Arbeitstag bei den beiden gedauert. Die eigene Wohnung und die Gaststätte sauber halten, einkaufen, das Essen vorbereiten, die Gäste bedienen, wieder aufräumen. Dazu brütende Hitze am Pizzaofen und qualmende Füße. Renate Ferenczy hat sich aus Neugier mal einen Schrittzähler in die Tasche gesteckt. Am Ende des Tages leuchtete auf dem Display die Zahl 33 Kilometer auf.

In den letzten Jahren, da ist Rolf Ferenczy ganz ehrlich, ist kaum noch etwas übrig geblieben. Vier bis fünf Euro Stundenlohn. Da fiel die Entscheidung Anfang des Jahres nicht schwer. Ende September ist Schluss.

„Natürlich ist das ein Problem“, sagt Stadtteilreferentin Bianca Tröge. Aber was tun? Als Stadt könne man da kaum eingreifen, die Ausgehkultur habe sich ganz offensichtlich in den letzten Jahren verändert. Tröge würde sich natürlich über eine neue Gaststätte im Stadtteil freuen. Genauso wie über ein Café, das am Sonntag Kaffee und Kuchen anbietet. „Danach fragen unsere Senioren immer“, berichtet sie.

Die Entwicklung in der Kitzinger Siedlung ist keine Seltenheit, wie der Kreisvorsitzende der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga), Thomas Dauenhauer, weiß. Im Maintal und im Fränkischen Weinland gebe es zwar fast keine Rückgänge, weil hier der sehr gute Tourismus wirke. Schwieriger sei die Lage allerdings im Steigerwald oder in der Rhön, aber auch in Gemeinden die nicht direkt vom Tourismus profitieren, wie zum Beispiel Buchbrunn, wo es schon seit langem keine Gaststätte mehr gibt. Heutzutage sei es fast nicht mehr möglich, mit einer reinen Gaststätte Geld zu verdienen, bedauert er.

„Die Gastronomie, wie

wir sie betrieben haben, stirbt aus. Definitiv.“

Renate Ferenczy, Wirtsfrau

Renate Ferenczy macht sich bezüglich der Zukunft deshalb auch keine Illusionen. „Die Gastronomie, wie wir sie betrieben haben, stirbt aus“, sagt sie. „Definitiv.“ Es bleibe nur noch die Systemgastronomie und das Catering übrig. Sie könne auch niemandem dazu raten, diesen Berufsweg einzuschlagen.

Ihren Mann können diese Aussagen und Aussichten nicht mehr erschüttern. „Wir haben viel gearbeitet und viel gefeiert“, sagt er. „Das Aufhören tut mir nicht weh.“

-> Ein Interview mit dem

Kreisvorsitzenden des Hotel- und Gaststättenverbandes, Thomas Dauenhauer, zum Thema lesen Sie auf Seite 12