"Normalerweise sind es ein, zwei. Jetzt sind es viele": Corona-Folgen bei Kindern deutlich
Autor: Daniela Röllinger
Kitzingen, Freitag, 05. November 2021
Viele Schüler sind gut durch die Pandemie gekommen. Andere leiden verstärkt unter Ängsten. Und an Schulen im Landkreis Kitzingen fallen die Folgen besonders auf.
Seit mehr als eineinhalb Jahren beeinflusst Corona unser Leben und das unserer Kinder. Das hinterlässt Spuren. Zum einen haben Ängste und Depressionen bei Jugendlichen zugenommen. Zum anderen berichten Lehrer aus dem Landkreis: „Wir hatten noch nie so viele verhaltensauffällige Erstklässler.“ Der Arbeitskreis Schule-Wirtschaft Kitzingen hatte kürzlich zu einer Online-Veranstaltung eingeladen. Prof. Dr. Marcel Romanos, Klinikdirektor der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universtität Würzburg, referierte über Entwicklungseinschränkungen bei Jugendlichen infolge der Corona-Krise. Der Andrang war groß, vor allem viele Lehrer hatten sich zugeschaltet. Ein Zeichen dafür, wie sehr die Folgen der Pandemie den Schulalltag prägen. Zeichen aber auch, dass es den Lehrern um sehr viel mehr geht als nur darum, dass ihre Schüler gute Noten schreiben.
Zu den Hoch-Zeiten von Homeschooling und Distanzunterricht war von einer „lost generation“, einer verlorenen Generation, die Rede. „Ein Hammer“, sagt Prof. Dr. Marcel Romanos. „So kann man nicht reden!“ Weil solche Sätze den Kindern und Jugendlichen suggerieren, aus ihnen könne nichts werden. Und weil es schlicht und einfach nicht stimmt. Gleichwohl habe die Pandemie natürlich Auswirkungen auf die jüngere Generation. Die fallen unterschiedlich aus und für einen Teil der Kinder und Jugendlichen sind sie tatsächlich gravierend: Die Zahl der Angsterkrankungen und Depressionen hat zugenommen. Ein Teil davon mögen Fälle sein, die wegen der im Lockdown nur eingeschränkt möglichen Behandlungen erst jetzt auftauchen. „Wie eine Bugwelle, die wir vor uns hergeschoben haben“, sagt Dr. Romanos.
„Mehr Ängsten und Depressionen"; Klinikdirektor spricht wegen Corona von "lost generation"
Ein Teil gehe vielleicht auch darauf zurück, dass Eltern jetzt niederschwelliger Hilfe suchen. „Wir haben noch keine richtigen Daten.“ Aber der Facharzt weiß, dass es „eine Verschiebung gegeben hat hin zu mehr Ängsten und Depressionen“.
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Ängste an sich sind noch kein Zeichen für eine Erkrankung, sondern ein typischer Entwicklungsschritt. Bei kleinen Kindern, wenn die Mama aus dem Raum geht. Bei etwas älteren, wenn es dunkel wird. Später dann, wenn sich das Umfeld ändert, weil die Familie umzieht, die Eltern sich trennen, wenn das Kind vom Kindergarten in die Schule kommt, von der Grund- in die weiterführende Schule. Welche Lehrer werde ich haben? Werden die anderen Kinder mich mögen? Schaffe ich es, gute Noten zu schreiben?
Gerade auch der Schritt von der Schule zum Beruf sei mit viel Druck verbunden. Welchen Beruf soll ich ergreifen, damit ich mal eine Familie ernähren kann? Was, wenn ich Schulden machen muss? Meine Eltern später versorgen soll? Alles das sind normale soziale Ängste, die jeder durchlebt, die normalerweise auch jeder verarbeitet. Durch die Pandemie wurden sie noch verstärkt.
Erstklässler leiden unter Corona: "Normalerweise sind es ein, zwei. Jetzt sind es viele"
Auch für die Erstklässler hat sich das Umfeld gerade verändert und damit kommen nicht alle gut zurecht. Es gebe deutlich mehr auffällige Erstklässler als sonst, berichtete ein Schulleiter in der Fragestunde, die sich an Romanos' Vortrag anschloss. „Normalerweise sind es ein, zwei im Jahrgang. Jetzt sind es viel mehr.“ Kinder, die wenig sozialisiert scheinen und einen normalen Unterricht mit ihrem Verhalten fast unmöglich machen. Schulrat Florian Viering bestätigt, dass es derartige Beobachtungen derzeit an vielen Schulen im Landkreis gibt. Er spricht von Verhaltensauffälligkeiten im sozial-emotionalen Bereich, berichtet von Kindern, die sich nicht an Regeln halten, die nicht stillsitzen können. Die betreffenden Kinder seien oft nicht nur in der Schule auffällig, sondern auch zu Hause.
Wegen des Lockdowns sei viel Zeit im Kindergarten und damit in der Vorschule weggefallen, erinnert Viering. Programme wie „Hören-Lauschen-Lernen“ oder „Fokus Deutsch“ fanden nicht statt. Defizite, die Corona mit sich brachte. Deshalb sei es auch rechtlich kein Problem, notfalls die Brückenkräfte zur Unterstützung heranzuziehen, um überhaupt den normalen Unterricht zu ermöglichen. Eigentlich sollten diese Kräfte das Wissen der Kinder in den Kernfächern vertiefen.