Druckartikel: Eine Bezugsperson nimmt Abschied

Eine Bezugsperson nimmt Abschied


Autor: Ralf Dieter

Kitzingen, Donnerstag, 05. Juli 2018

Friedrich Tasch geht nach 19 Jahren als Schulrektor in den Ruhestand
Soll er sich auf seinen Ruhestand freuen? So ganz sicher ist Friedrich Tasch nicht. „Ich arbeite gerne“, sagt er. Aber nicht mehr lange. Ende des Schuljahres lockt der Ruhestand.


Erst war er der jüngste Leiter einer Hauptschule im Landkreis Kitzingen. Jetzt ist er der älteste. Mit Ablauf dieses Schuljahres geht Friedrich Tasch in den Ruhestand. 19 Jahre lang war er Rektor der Mittelschule Siedlung. So lange wie kein anderer vor ihm.

Der Hof zwischen Grund- und Mittelschule wird gerade gepflastert, ein Eingang ist mit einem roten Flatterband gesichert. „Nichts Neues“, sagt Tasch und muss lachen. „Seit ich hier bin, gibt es eigentlich immer Umbaumaßnahmen.“ Sein Dienstantritt fiel mitten in die Schulrenovierung. Ein paar Jahr später wurde eine Mensa gebaut, es folgte die energetische Sanierung, Brandschutzmaßnahmen und die Anpassung der IT-Infrastruktur. Seit 2016 laufen die Arbeiten für die Anbauten, die im Zuge der Genehmigung für eine gebundene Ganztagesklasse nötig sind. „Seit elf Jahren haben wir diese Schulform“, sagt Tasch und schmunzelt. „Jetzt bekommen wir auch die nötigen Räume dafür.“

Es hat sich viel verändert in der bayerischen Schullandschaft in den letzten 19 Jahren. Die Namensänderung von Haupt- auf Mittelschule ist da nur eine Randnotiz. „Früher ist die Hälfte der Grundschüler auf die Hauptschule gegangen“, sagt Tasch. Jetzt sind es in ländlichen Gebieten nur noch rund 30 Prozent. In Städten wie München gerade mal zehn Prozent. Der gesellschaftliche Druck auf eine Realschule oder ein Gymnasium zu gehen sei für die Schüler der Grundschulen sehr hoch. Fünf bis zehn kommen pro Jahrgang von diesen Schularten in die Mittelschule Siedlung zurück. Weil sie mit der Stofffülle, dem eher anonymen Fachlehrerprinzip oder dem Pensum nicht zurecht gekommen sind. „Diese Kinder müssen eingegliedert werden“, sagt Tasch. Genauso wie die etwas Lernschwächeren, die Flüchtlinge oder diejenigen, die aus sozial schwierigen Verhältnissen kommen.

Von den Lehrern wird deshalb ein besonderes Talent verlangt. „Sie sind viel mehr Bezugsperson als in den anderen Schularten“, sagt Tasch. Zwei, mitunter auch drei Jahre, sind die Klassenlehrer ganz nah dran an den Jugendlichen, müssen sie in einem schwierigen Alter für Deutsch oder Mathematik begeistern und dabei manche altersbedingte emotionale Klippe umschiffen. Die fachliche Kompetenz sei wichtig, meint Tasch. Die Persönlichkeit der Lehrkraft noch viel mehr. In der Mittelschule Siedlung scheint diese Mischung zu passen. „Es kommen immer wieder Ehemalige vorbei“, erzählt der Schulleiter. „Teilweise auch um ihre Kinder vorzustellen. Die Schule ist wohl so ein bisschen Heimat für sie geworden.“

Friedrich Tasch hat in Würzburg Lehramt studiert, sein Referendariat in Buchbrunn absolviert. Er war mehr als zehn Jahre Lehrer an der Paul-Eber-Mittelschule und acht Jahre Konrektor in Buchbrunn. Während seiner Zeit in der Siedlung führte er auch eine kurze Zeit die Grund- und Mittelschule Iphofen mit. Sein Berufsleben hat sich rund um seinen Heimatort Kitzingen gedreht. Doch Friedrich Tasch hat auch andere Länder gesehen und sich früh für Neuerungen interessiert. Die Paul-Eber-Schule war dank seines Engagements unter den ersten acht Schulen im Freistaat, in denen ein PC eingeführt wurde. Tasch meldete sich als Projektleiter und ist seither für die Schul-EDV im Landkreis Kitzingen zuständig, seit fünf Jahren für ganz Unterfranken. Drei Jahre lang hat er ein Comenius-Projekt begleitet, hat sich mit Kollegen den Schulwandel in Tirol angeschaut. „Faszinierend“, fasst er seine Eindrücke zusammen und an seinem Gesichtsausdruck ist leicht abzulesen, dass er die Erkenntnisse gerne nach Deutschland übertragen wüsste. Zehn Jahre werden die Kinder in Tirol gemeinsam beschult – ähnlich wie in Teilen Skandinaviens. Erst dann erfolgt eine Trennung in weiterführende Schulen. Der Unterschied zum deutschen Schulsystem: Alle Schüler werden gemeinsam gefördert, unterstützen sich gegenseitig. Es gibt keine frühzeitige Trennung, weniger Enttäuschungen und Frust. Das so genannte Grundschulabitur – das Übertrittszeugnis nach der vierten Klasse – in Bayern sei dagegen mit einem Riesenauftrieb, mit Druck und nicht selten mit schwierigen Schullaufbahnen verbunden.

„Der gebundene Ganztag ist meines Erachtens die beste Schulform für Mittelschulen“, meint Tasch deshalb. „Wenn er denn richtig durchgeführt wird.“ In der Realität hakt es jedoch immer wieder an baulichen oder personellen Mängeln. Die Siedlungsschule war eine der ersten, die den gebundenen Ganztag in Unterfranken eingeführt hat – mit dem Ergebnis, dass die Schüler die ersten zwei Jahre ihr Mittagessen in den Klassenzimmern einnehmen mussten. „Wir hatten ja noch keine Mensa“, erinnert Tasch.

Gewisse Schwachstellen gibt es auch heute noch: Die Nachmittagsstunden, die Theater- oder Sportprojekte, werden vorwiegend von Lehramtsstudenten gestaltet. Eine gewisse Fluktuation ist da ganz natürlich, die Schüler müssen sich immer wieder auf neue Ansprechpartner einstellen und die Schule immer wieder neue, geeignete Mitarbeiter finden. Dennoch: Der Ganztag ist für Tasch die ideale Schulform der Gegenwart und Zukunft. „Man kann sich einfach besser um die Kinder und Jugendlichen kümmern, auf sie einwirken und ihnen helfen, in der Gesellschaft mehr Anteile zu bekommen.“

Ein paar Tage wird der 65-Jährige noch dabei mithelfen. Er wird organisieren, seine Mitarbeiter führen und motivieren. Dann übernimmt sein bisheriger Stellvertreter Bernd Lussert die Stelle. Ob er sich nach 45 Arbeitsjahren auf den Ruhestand freut? Friedrich Tasch muss ein wenig überlegen. „Ich arbeite gerne“, sagt er. „So ganz sicher bin ich mir noch nicht, ob ich mich freuen soll.“