Druckartikel: Bedenkliche Stille

Bedenkliche Stille


Autor: Daniela Röllinger

Kitzingen, Mittwoch, 05. Mai 2021

Im vergangenen Jahr ging die Zahl der Ortolan-Gebiete in Mainfranken stark zurück. Dagmar Kobbeloer vom LBV bereitet die Entwicklung große Sorgen.
Sorgen um den Ortolan: Im Frühjahr 2020 war der Ruf des bedrohten Feldvogels, der in Bayern nur noch in den Landkreisen Kitzingen, Würzburg und Schweinfurt vorkommt, noch viel seltener zu hören als in den Jahren zuvor.


Seit Anfang Mai spitzen die ehrenamtlichen Helfer des Landesbundes für Vogelschutz wieder die Ohren: Am melodischen, weithin zu hörenden Gesang der Männchen erkennen sie, ob die Ortolane in ihre Brutreviere zurückgekehrt sind. Im vergangenen Jahr blieb es relativ still, und das lässt Schlimmes befürchten. Denn während 2011 in den drei Untersuchungsgebieten im Landkreis Kitzingen noch 42 Reviere gezählt wurden, waren es 2020 nur noch 19.

Der Ortolan ist in Bayern vom Aussterben bedroht. Hier gibt es ihn nur noch in den Landkreisen Kitzingen, Schweinfurt und Würzburg. Erste Bemühungen, die Lebensbedingungen des äußerst scheuen Bodenbrüters zu verbessern, gab es im Landkreis Kitzingen vor mittlerweile 28 Jahren. Dr. Manfred Lang, damals Biologielehrer am Gymnasium Marktbreit, Dieter Lang von der unteren Naturschutzbehörde im Landratsamt und Ewald Ruppert vom Landschaftspflegeverband entwarfen ein erstes Ortolanschutzprogramm und suchten Landwirte, die sie in ihren Bemühungen unterstützten.

Rückgang aufhalten

2006 übernahm der Landesbund für Vogelschutz die Verantwortung für das Artenhilfeprogramm Ortolan. Ziel ist es, den weiteren Rückgang des sehr seltenen Feldvogels aufzuhalten. Tatsächlich gelang es, die kleine Population zumindest auf niedrigem Niveau zu erhalten. „In manchen Jahren gab es sogar einen Zuwachs“, berichtet die zuständige LBV-Koordinatorin Dagmar Kobbeloer. Doch die Zahlen, die im vergangenen Jahr von den ehrenamtlichen Helfern aus den zehn ausgewählten Probeflächen in den drei Landkreisen Kitzingen, Schweinfurt und Würzburg gemeldet wurde, alarmieren die Biologin. Alleine in diesem einen Jahr ging der Bestand der Reviere um zehn auf 77 zurück. Und nachdem Fröste und Niederschläge die Brutzeit 2020 prägten, stellt sich nun die Frage, wie viele der sehr ortstreuen Tiere, die in Afrika südlich der Sahara überwintern, in diesem Frühjahr überhaupt in ihre Brutgebiete in Mainfranken zurückkehren.

„Der Ortolan lebt sehr heimlich, ist scheu und empfindlich“, sagt Dagmar Kobbeloer. Deshalb gehen die ehrenamtlichen Mitarbeiter des LVB äußerst vorsichtig bei der Aufnahme der Reviere vor. „Wir können nicht einfach auf dem Boden in den Getreidefeldern nach ihren Nestern suchen.“ Zum einen würde der Vogel dadurch beim Brüten gestört, zum anderen legen die Menschen so eine Geruchsspur zu den Nestern, der Füchse und Marder später folgen. Auch wer sich direkt an die Singwarte stellt, stört den Vogel. Das sind die Bäume, auf denen sich der männliche Ortolan niederlässt, um Ende April/Anfang Mai zunächst lautstark eine mögliche Partnerin auf sich aufmerksam zu machen und eventuelle Rivalen zu vertreiben. Später, während der Brut und der Aufzucht der Jungvögel, stößt er von dort aus leise, für den Menschen oft kaum zu hörende Warnrufe ans Weibchen aus. Als Singwarte nutzt der Ortolan gern einzeln stehende Bäume wie sie beispielsweise auf Streuobstwiesen zu finden sind, vor allem aber Eichen an Waldränder. Die Streuobstwiesen am Waldrand nahe Willanzheim sind eines der Probegebiete im Landkreis Kitzingen. Der Bereich darf während der Brut- und Aufzuchtphase von Mitte April bis Mitte Juli nicht betreten werden. Wer trotz der Verbotsschilder auf den Wegen und Wiesen unterwegs ist, dem droht eine sehr hohe Geldstrafe. Vom Rand des Gebietes aus lässt sich der Gesang des Ortolans aber auch wunderbar vernehmen, so Kobbeloer.

Immer weniger Reviere

60 Reviere gab es in Willanzheim Anfang der 1990er Jahre, berichtet Dagmar Kobbeloer. Inzwischen sind es nur noch vier. „Das ist schockierend.“ Dabei wird dort, wie in den anderen Probegebieten des LBV, schon lange mit Landwirten und Grundstückseigentümern zusammengearbeitet. „Ohne die Landwirte geht gar nichts“, sagt auch Dieter Lang. Die Bauern verzichten auf normale Bewirtschaftung und werden dafür entschädigt. Stattdessen bauen sie in etwa 40 Meter breiten Streifen eine Mischung aus Sommer- und Wintergetreide sowie Luzerne oder Erbsen an, um optimale Lebensbedingungen für den Ortolan zu schaffen. „Mit Mais, Rüben oder Sonnenblumen kann der Ortolan gar nichts anfangen“, erklärt die Biologin. Sie wachsen viel zu spät, um dem Bodenbrüter Schutz zu bieten. Selbst beim Getreide gibt es keine Garantie, dass der Ortolan zurechtkommt. „Ist es schon zu hoch, weil Winter und Frühjahr warm waren, kann der Vogel nur schwer ins Nest ein- und ausfliegen, um die Jungen zu füttern. Wächst es zu dicht, wie meist bei intensiver Landwirtschaft üblich, ist es im Nest am Boden zu kalt und feucht.“ Auch die Beschaffung von Nahrung wird für die Vögel immer schwieriger. „Die Landschaft ist zu aufgeräumt“, sagt Dagmar Kobbeloer. Es gibt zu wenig Wildpflanzen, die Insekten anlocken. Das ist ein Grund, weshalb sich die Ortolane an den Waldrändern niederlassen: An Eichen finden sie noch relativ viele Insekten. Um das Nahrungsangebot zu verbessern, wird in den Revieren seit vier Jahren eine extra zusammengestellte Blühmischung angesät, die nicht zu hoch aufwächst und für viele Feldvögel von Vorteil sein dürfte. Über den Erfolg lässt sich noch nichts Abschließendes sagen. „Wir sind noch in der Probephase“, so die Biologin. Fünf Mal kontrollieren die Ehrenamtlichen im Mai und Juni aus sicherer Entfernung die Probeflächen. Hört man das Männchen? Fliegt ein Vogel zu einem Nest? Vielleicht sogar mit Futter im Schnabel? Wie viele Ortolane dort letztendlich wirklich leben und wie viele Jungtiere es gibt, lässt sich nicht genau sagen. Gezählt werden die Reviere – also die Bereiche, in denen es ein Ortolan-Männchen gibt, so dass am Ende nur die Anzahl der Männchen bekannt ist. Alle sechs Jahre werden dabei nicht nur die zehn Probegebiete in Franken kontrolliert, sondern eine flächendeckende Kartierung erstellt. „Das ist heuer wieder der Fall“, so Kobbeloer. Ehrenamtliche und Landwirte helfen beim Zählen mit. Alle anderen aber sollten unbedingt davon absehen, selbst loszuziehen und die Ortolane aufzuspüren, so die dringende Bitte der Biologin. Nur wer Abstand hält und seine Hunde zur Brutzeit angeleint lässt, trägt dazu bei, den bedrohten Vogel zu schützen.