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Ade, Kirchturmpolitik!


Autor: Diana Fuchs

Wiesentheid, Mittwoch, 27. Juni 2018

Interkommunale Zusammenarbeit. "Dorfschätze-Geschäftsführerin" zieht Bilanz
Inge Thomaier freut sich: Jetzt hat sie wieder mehr Zeit fürs Malen. FOTO Diana Fuchs


Attraktiver werden – wer will das nicht? Neun Gemeinden im westlichen Steigerwald haben schon 2007 beschlossen, nicht allein schöner und besser zu werden, sondern gemeinsam. Die „Dorfschätze“ Abtswind, Castell, Großlangheim, Kleinlangheim, Prichsenstadt, Rüdenhausen, Schwarzach am Main, Wiesenbronn und Wiesentheid haben mittlerweile nicht nur in Sachen Schönheit profitiert. Sie haben generell an Lebensqualität gewonnen. Das sagt eine Frau, die es wissen muss: Inge Thomaier hat zehn Jahr lang die Geschäfte der Dorfschätze mit ihren 18 500 Einwohnern geführt. Mit 62 Jahren zieht die Großlangheimerin sich jetzt aus dem Job zurück und blickt zum Abschied auf das gemeindeübergreifende Großprojekt.

Die „Dorfschätze“ sind quasi Ihr viertes Kind. War es eine schwere Geburt?

Inge Thomaier: Wenn man das so scherzhaft sagen darf: Ein Kind, das so viele Väter hat, braucht erst einmal ein bisschen, bis es sich entwickelt. Doch nachdem es erst mal auf der Welt war, ist es richtig schnell gewachsen.

Und hat sich zu einem attraktiven Teenager entwickelt?

Auf jeden Fall. Als wir mit der interkommalen Zusammenarbeit angefangen haben, waren wir Pioniere in Unterfranken. Noch wusste niemand so recht, wie das mit einem gemeindeübergreifenden Konzept geht und wohin es führen kann.

Wie haben die beteiligten Gemeinden den richtigen Weg gefunden?

Die ersten Gespräche gab es 2002, damals zwischen acht Gemeinden – Schwarzach kam später dazu. Im Lauf der Zeit ist man sich näher gekommen, hat gemeinsame Ziele formuliert. 2007 sind alle zusammen in Klausur gegangen, an der Schule für Dorf- und Flurentwicklung. Danach ist das ILE-Projekt – ILE steht für Integrierte Ländliche Entwicklung – richtig durchgestartet, unterstützt vom Amt für Ländliche Entwicklung Unterfranken. Unsere Geschäftsstelle in Wiesentheid wurde eingerichtet und ein Planungsbüro hat sich an die Bestandsaufnahme gemacht. Mit den Ergebnissen haben wir gemeinsame Handlungsfelder definiert.

Was bedeutet das in der Praxis?

Es geht immer darum, die Gemeinden noch lebenswerter und attraktiver zu machen. Sanfter Tourismus soll ebenso gefördert werden wie generationsübergreifendes Miteinander. Letzteres bringt etwa im Arbeitskreis „Dialog der Generationen“ verschiedenste Menschen zusammen. Die Infrastruktur sowie die regionale Selbstvermarktung sollen gestärkt werden. Nicht zu vergessen die Gemeinschaftsaktionen in Sachen Klimaschutz und Energiewende.

Gibt es ein konkretes Beispiel?

Zum Beispiel unser jüngstes und größtes Werk, unser Hochwasserschutz- und Regenrückhalteprojekt, das die Gemeinden vor Überflutungen bei Starkregenperioden schützen soll. Oder das schon 2013 auf den Weg gebrachte Energiekonzept – das erste seiner Art in Unterfranken! –, das schon vielfältige Energieeinsparungen gebracht hat. Bei unserer jährlichen Energie-Tour zeigen wir seit fünf Jahren stets „Best Practice“-Beispiele aus den Gemeinden, etwa optimal sanierte Häuser oder ideal beleuchtete Straßen.

Bei der Vielfalt der Ziele: Wer sorgt dafür, dass alle Dorfschätze-Gemeinden stets auf dem neuesten Stand sind und alle Einzelziele im Blickfeld bleiben?

Es gibt eine Lenkungsgruppe, die sich jeden Monat einmal trifft. Außerdem wird das ILE ja immer fortgeführt. Gegebenenfalls werden Ziele auch angepasst, schließlich verändert sich manches mit der Zeit. An der halbjährlichen Dokumentation für das Amt für Ländliche Entwicklung lässt sich die Arbeit der Dorfschätze gut ablesen. Übrigens: Vieles, was da passiert, bekommen die Bürger gar nicht mit.

Ist das gut oder schlecht, wenn die Bürger nicht über alles Bescheid wissen?

Alles würde sie sicher nicht interessieren. Ich merke aber, dass es sogar noch Leute gibt, die nicht wissen, was die Dorfschätze überhaupt sind und wie vielfältig wir agieren. Und das, obwohl wir zweimal pro Jahr die Dorfschätze-Zeitung an alle Haushalte verteilen, unsere Geschäftsstelle im Wiesentheider Rathaus-Foyer gut einzusehen ist und wir ja auch zu vielen Mitmach-Aktionen einladen – vom Kochkurs über Vorträge bis hin zu Seminaren über die vielfältigsten Themen. Dass uns trotzdem noch nicht alle Menschen kennen, ist nicht schön, da müssen wir weiterhin Aufklärungsarbeit leisten.

Sie waren jetzt zehn Jahre Geschäftsführerin der Dorfschätze. Welches Resümee ziehen Sie?

Gemeinsam geht so gut wie alles viel besser als alleine. Mittlerweile haben sich die Dorfschätze zu einem starken Verbund mit einem tragfähigen gemeinsamen Leitbild gemausert. Der Zusammenhalt ist enorm gestiegen, das Kirchturmdenken so gut wie verschwunden.

Woran erkennen Sie das?

Am Konzept zum Energiesparen zum Beispiel. Oder am Hochwasserschutz: Auch wenn das Projekt zunächst vor allem dem Ort Schwarzach hilft, der am schlimmsten betroffen ist, sind alle Dorfschätze-Gemeinden bereit, ihren Teil beizutragen. Das ist ein Sinneswandel ohnegleichen! In der Sitzung 2013, in der dieser Beschluss fiel, habe ich Gänsehaut gekriegt! Es war und ist toll zu sehen, wie alle dahinterstehen.

Von der Kirchturm- zur Gemeinschaftspolitik: Wer oder was ist für diesen Sinneswandel verantwortlich?

Ich denke, dafür ist vor allem die Erfahrung verantwortlich, dass man zusammen Dinge bewältigen kann, die eine einzelne Gemeinde allein niemals stemmen könnte. Wenn man sich zusammentut, kann man nicht nur viel besser für sich werben, sondern spart auch Geld – etwa, wenn man eine gemeinsame Sicherheitsschulung für die Bauhofmitarbeiter anbietet. Auch verschiedene Förderquellen lassen sich gemeinsam besser anzapfen. Dann kann man innovative Angebote auf die Beine stellen, zum Beispiel den Dorfschätze-Express.

Der Bus, der Gäste und Einheimische am Wochenende und an Feiertagen kostenlos durch die Gemeinden chauffiert, fährt jetzt im fünften Jahr. Wird er gut angenommen?

Ja, sogar sehr gut. Es ist natürlich stark wetterabhängig, wie viele Gäste mit dem Zug aus Nürnberg und Würzburg kommen und dann in den Dorfschätze-Express steigen. Aber das Angebot, den Dorfschätze-Express kostenlos zu nutzen, gilt ja auch für alle Einheimischen; und das passt gut, weil gerade am Wochenende der ÖPNV nicht so häufig fährt. Inzwischen haben schon über 10000 Menschen mit dem DE die Region erkundet.

Seit drei Wochen sind Sie nun offiziell im vorgezogenen Ruhestand. Wie fühlt sich das an?

So richtig daheim angekommen bin ich noch nicht. Das lag sicher auch daran, dass die erste Woche mit einer Familienfeier ausgefüllt war und ich dann verreist bin. Allerdings muss ich zugeben: Ich fühle mich sauwohl. Endlich habe ich Zeit für meine Hobbys: Malen und Reisen. Und natürlich für meine Enkelin!

Zur Person: Die gebürtige Großlangheimerin Inge Thomaier ist von Beruf Erzieherin. Nach der Elternzeit – die heute 62-Jährige und ihr Mann haben einen Sohn und zwei Töchter – engagierte sie sich zunächst ehrenamtlich im Rahmen der Dorferneuerung. 2005 stieg sie nebenberuflich in das gemeindeübergreifende Projekt der heutigen Dorfschätze ein. Von 2008 bis Juni 2018 war sie dort Geschäftsführerin.