Druckartikel: Lebendige Vergangenheit in Volkach

Lebendige Vergangenheit in Volkach


Autor: Peter Pfannes

, Dienstag, 28. August 2012

Albina Baumann erzählt am Tag der Russlanddeutschen, wie sie aus Kasachstan an die Mainschleife kam - und was beide Seiten tun müssten, um das Zusammenleben zu verbessern.
Immer an Ostern versammelte sich die Familie von Albina Baumann bei Oma Magdalena und Opa Klemenz in Karaganda.


Karaganda in Kasachstan ist der Geburtsort von Albina Baumann. Ihre Vorfahren waren Deutsche. Sie hatten immer das Ziel, in ihre Heimat zurückkehren zu dürfen. 1976 wurde der Antrag der Eltern der heute 50-Jährigen auf Auswanderung von den russischen Behörden erhört. Heute hat Albina Baumann zwei Söhne groß gezogen und lebt mit ihrem Mann Gerold in Volkach.
Im vergangenen November gründete sie auf Initiative der Kitzingerin Valentina Albert die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland, Ortsgruppe Kitzingen, und ist deren Vorsitzende. Albina Baumann ist überzeugt: "Jeder kann einen würdigen Platz in der deutschen Gesellschaft einnehmen."
Zusammen mit ihrer Mutter Katharina, ihrem Stiefvater Georg und ihren drei Geschwistern kam sie damals ins Aufnahmelager in Friedland und später ins Übergangswohnheim in Karlsruhe. In Baden Württemberg wohnten die Verwandten ihres Stiefvaters. Ihr leiblicher Vater war schon gestorben, als sie fünf Jahre alt war. "Meine Oma Magdalena konnte nur ukrainisch und deutsch, kein russisch", erzählt sie. Ihre Großeltern kamen aus der Ukraine. Im Alter von 14 Jahren wurde sie von ihren Freundinnen getrennt. "Kasachstan war für mich nie eine richtige Heimat, weil meine Großeltern und Eltern schon immer sagten, dass sie nach Deutschland wollen", schildert sie ihre damaligen Gefühle. Ihre Kindheit und Jugend in Kasachstan sieht sie als eine Station in ihrem Leben. "Ich wusste schon von klein auf, dass die Reise irgendwann weiter geht."
Schon ihr Großvater hatte 1956 einen Antrag auf Ausreise gestellt - ohne Erfolg. Zwei Faktoren waren für Albina Baumann schon damals seltsam: "Man wusste nicht, was auf einen in Deutschland zukommt. Und es war etwas Endgültiges, weil es kein Zurück mehr gab." Heute sei dies nicht mehr vorstellbar, weil es ja keinen eisernen Vorhang mehr gibt.
Im Übergangswohnheim waren die Russlanddeutschen damals unter sich. "Wir hatten kaum Kontakt zu Einheimischen und wurden von unseren Verwandten aufgefangen." In einer Sprachlernschule sollte sie "das richtige Deutsch lernen, weil wir ja nur einen Dialekt gesprochen haben."
Erst war sie in reinen Aussiedlerklassen untergebracht. Sie absolvierte die Hauptschule und die Berufsfachschule. Mit 18 heiratete sie und bekam ihr erstes Kind, was sie nicht davon abhalten sollte, ihr Abitur zu machen. "In der Abiturklasse waren nur noch zwei andere Russlanddeutsche", erinnert sie sich.
Die Kontakte zu den Einheimischen empfand sie als unterschiedlich. "Es gab Neugierige, die einen viel fragten, und manche haben sich distanziert."
Zurzeit arbeitet sie als interkulturelle Trainerin und Beraterin für Unternehmen, die in Kontakt mit dem russischen Markt sind. "Ich übersetze, führe Telefonate und die gesamte Korrespondenz." Auch an Schulen und Behörden hat sie schon Vorträge gehalten. Baumann begleitet die Firmen auf Messen und leitet selbst Seminare, in denen es vor allem um die russlanddeutsche und die russische Kultur in Deutschland geht.
Wenn Albina Baumann die Schwierigkeiten in Sachen Integration von einst und heute gegenüberstellt, kommt sie zu einem klaren Ergebnis: "Die Probleme sind die gleichen geblieben." Eine Verschärfung der Problematik sieht sie lediglich darin, dass Russlanddeutsche heute in allen Bereichen Deutschlands russisch sprechen können und nicht mehr gezwungen sind, deutsch zu reden. "Früher wurde man ins Wasser geworfen und musste sich zurechtfinden." Heute könne man sogar in Reisebüros seinen Urlaub auf Russisch buchen.
Doch die Sprache sieht Baumann nicht als das alleinige Hindernis zur Integration. Das größte Problem ist für sie die unterschiedliche Sozialisierung: Auf der einen Seite der Kollektivismus aus der ehemaligen Sowjetunion - "Die Gruppe hat dort eine wichtige Rolle gespielt" - auf der anderen das individualistische Deutschland - "Jeder ist für sich selbst verantwortlich". "Ein Kollektivist kommt sich da verloren vor und findet keinen Anschluss, weil man ganz anders aufgewachsen ist."

Tipps für die Integration


Baumann hofft darauf, dass die Distanz zum Mitmenschen auch in Deutschland schwindet. "Stehst du in Russland in der Schlange, dann spürst du den Hauch des Nächsten im Nacken. In Deutschland hat man einen Einkaufswagen, damit man sich nicht zu nahe kommt", sagt sie. Für eine bessere Integration wünscht sie sich von den Deutschen: Offenheit, Abbau von Vorurteilen und aufeinander Zugehen. Von den Russlanddeutschen erhofft sie sich, ein bisschen mehr Individualist zu sein. Ein Mixed aus Individualismus und Kollektivismus ist für sie der ideale Lösungsansatz.