Druckartikel: Im Schwurgericht blühen die Spekulationen

Im Schwurgericht blühen die Spekulationen


Autor: Franz Barthel

Würzburg, Donnerstag, 11. April 2013

Mit Gift aus dem Garten, aus Blüten und Blättern der "Engelstrompete", soll die abgelegte Geliebte (50) eines Würzburger Arztes versucht haben, den Mediziner (69) und seine neue Freundin zu töten. Am dritten Verhandlungstag am Donnerstag "blühten" vor dem Schwurgericht die Spekulationen.
Symbolbild: FT-Archiv


Die Angeklagte soll nachts mittels Schlüsseln, die sie noch hatte, in das Haus des Arztes geschlichen sein und Gift der schön blühenden, aber extrem gefährlichen "Engelstrompete" in den Wassertank der vollautomatischen Kaffeemaschine geschüttet haben, fürs "letzte Frühstück" am nächsten Morgen. Dass es so gewesen sei, vermutet Oberstaatsanwalt Thomas Trapp, Zeugen dafür gibt es nicht. Aber, so Trapp, die angeklagte Frau aus Moskau hatte ein Motiv, sie wusste, da sie jahrelang den Garten des Arztes betreute, was in der "Engelstrompete" steckt und dass der Mediziner den Tag mit Kaffee beginnt, nicht in Tassen, sondern Humpen und davon meist fünf bis sechs.

Die Frau war anfangs nur Patientin des Arztes, ist dann während der Behandlung ihrer Depression zur Lebensgefährtin aufgestiegen und nach etwa fünf Jahren, als sich der verheiratete, getrennt lebende Mediziner in eine Lehrerin verliebte, wieder ausgemustert worden, aber nicht ganz: Sie blieb für den Garten zuständig und fürs Saubermachen im Haus, mit gelegentlichem "Aushelfen" im Schlafzimmer, in Erinnerung an gemeinsame schöne Zeiten. Denn, sagte der Arzt als Zeuge vor Gericht, was den Sex angeht, sei es eine gute Beziehung gewesen.
Grund dafür, dass er sich nach Jahren von der Aussiedlerin mit deutschem und russischem Pass trennte, sei gewesen, so der Arzt, dass er sie nicht in sein gesellschaftliches Leben integrieren konnte. Zum Beispiel habe sie sich nicht seinem Bekanntenkreis angemessen gekleidet, sie sei von den meisten seiner guten Freunde nicht akzeptiert worden und was ihn besonders ärgerte war, dass sie sich zuhause Weißwein, und es war kein billiger, in der Mikrowelle anwärmte.

Im Mittelpunkt des Prozesses standen gestern eine vollautomatische Kaffeemaschine und zwei Gutachter aus der Rechtsmedizin. Die hatten mit Engelstrompete-Material aus dem Garten des Opfers experimentiert, Blüten und Blätter aufgekocht und eine Stunde ziehen lassen, wie Tee abgegossen, den lebensgefährlichen Sud dann in den Wassertank der Kaffeemaschine gefüllt und auf Start gedrückt. Es ging darum, ob und in welcher Konzentration das Gift in der Kaffeetasse ankommt.

Auf dem Weg durch die Maschine bis in die Tasse stellten die Gutachter in dem Kaffee einen Verlust von bis zu 80 Prozent der Giftkonzentration aus Atropin und Scopolamin fest. Bei dem Sud, den sie angesetzt hatten, hätte man kübelweise Kaffee trinken müssen, bis sich die später bei den Opfern festgestellten Beschwerden einstellten.

Auf Frage des Gerichts, ob man den Gift-Zusatz beim Kaffeetrinken schmecken oder sonst wie erkennen konnte, erklärte die Rechtsmedizinerin: "Zu sehen war nichts und probiert haben wir den Sud nicht." Dafür hatten alle Prozessbeteiligte Verständnis. Welche Blätter und Blütenmenge für einen tödlichen Zusatz in den Kaffee nötig gewesen wäre, konnten die Gutachter nicht sagen, da im Einzelfall die niedrige Dosis dieselbe Wirkung erzielten kann wie bei einem anderen eine hohe Giftmenge.

Zu den "blühenden" Spekulationen an diesem Verhandlungstag im Engelstrompete-Prozess: Es muss nicht unbedingt Gift von der "Engelstrompete" gewesen sein, Lieferant könnte auch ein anderes Nachtschattengewächs gewesen sein, die Stechäpfel und theoretisch wäre auch denkbar, dass Atropin und Scopolamin als verschreibungspflichtige Arzneimittel in den Tank der Kaffeemaschine gelangten.

Die Giftstoffe können, so die Rechtsmediziner, zu einer gefährlichen Steigerung der Herzfrequenz führen, die Atmung beeinträchtigen, Halluzinationen auslösen, die Darmfunktion stilllegen, das Bewusstsein einengen. Aus der breiten Palette der ernstzunehmenden Beschwerden war einiges bei dem Mediziner passiert: Er hat, so die Sprechstundenhilfe, die ihn zum Glück rechtzeitig fand, mit Pflanzen gesprochen, Gläser fallen lassen, ihr Chef torkelte, hat in der Praxis eines Kollegen, zu dem man ihn zunächst gebracht hatte, alle Schubladen geöffnet und durchsuchen wollen und er hat die Rettungssanitäter, die ihn in die Klinik bringen wollten, "zur Sau gemacht".
Er sei in einem Zustand gewesen, so die Rechtsmedizinerin, der lebensbedrohlich hätte enden können, wenn man nicht unverzüglich die Verfassung des Patienten bemerkt und ihn dann als Notfall in eine Klinik eingewiesen hätte mit engmaschiger Überwachung der Körperfunktionen. Die Folgen bei der neuen Lebensgefährtin, einer Lehrerin, die an dem November-Morgen allerdings nur eine Tasse Kaffee getrunken hatte, hielten sich in Grenzen, sie blieben auf Sprachstörungen, Eintrocknen der Schleimhäute und allgemein merkwürdiges Verhalten beschränkt.

Wasser wird erst jetzt untersucht

Zu den Besonderheiten dieses Schwurgerichts-Falles gehört, dass die Ermittlungen zum Teil erst sehr spät einsetzen. So wurden gestern aus der Asservatenkammer der Staatsanwaltschaft zwei am Tatort sichergestellte Becher mit Wasser aus der Kaffeemaschine des Arztes an die Rechtsmediziner übergeben mit der Bitte, soweit noch möglich, die Giftkonzentration der Flüssigkeit zu ermitteln: Es handelt sich um Kaffee-Wasser vom 28. November 2011.

Die Verhandlung wird am 23. April fortgesetzt. Das Schwurgericht geht davon aus, dass an dem Tag auch Staatsanwaltschaft und Verteidigung plädieren.