Für Marcus Götz gehört die Entdeckung der Balken-Bohlen-Stube zu den besonderen Momenten in seinem Berufsalltag. „Eine völlig in situ und original überkommene Bausubstanz, das findet man kaum mehr.“ Marcus Götz verweist auf die Winzerstube im Museum für Franken in der Festung Marienberg in Würzburg. Diese ist allerdings ein Jahrhundert jünger und prunkvoller und sie hatte eine andere Funktion. In Kitzingen ist sicher alles nicht so fein und edel, eher einfach und grob, dennoch ungemein faszinierend.
Die Geschichte des Hauses ist noch nicht restlos geklärt
Die alten Hölzer haben sich allerdings nur an der Südwand des Raumes und an der Decke erhalten. Auffallend ist, dass eine Art Wölbung beabsichtigt war, denn am Übergang von Decke und Wand ergibt sich durch den schrägen Einbau der Balken eine Rundung. Auch dies zeigt, dass der Raum innerhalb des Hauses wohl eine besondere Funktion hatte.
„Über die Geschichte des Hauses ist nicht viel bekannt, da tappen wir noch im Dunklen“, sagt Architekt Martin Zeltner aus Mainbernheim (Lkr. Kitzingen). Es war wohl nicht als Wohnhaus erbaut worden. Da die Bohlenwand ursprünglich „materialsichtig“, also nicht verputzt war, vermutet Restaurator Edgar Hartmann aus Marktheidenfeld (Lkr. Main-Spessart), „dass es sich hier möglicherweise um ein Handels- oder Lagerhaus“ gehandelt haben könnte. Oder eine Produktionsstätte, die nur zeit- oder teilweise zu Wohnzwecken diente, schreibt er in seinem Befundbericht.
Ein zehn Meter langer Balken verläuft quer durchs Haus
Kreisbaumeister Joachim Gattenlöhner bezeichnet das Gebäude als Kontorhaus, die Bohlenstube könnte das Abrechnungszimmer gewesen sein. Darunter, im Erdgeschoss, gab es „eine Hallensituation“. Erhalten hat sich der mächtige und ungewöhnlicherweise schräg durchs Haus verlaufende, zehn Meter lange Unterzug mit einer nicht mehr erhaltenen Stütze. „Solche Baumstämme muss man heute erst mal finden“, so Gattenlöhner. Für die Nutzung als Handels- oder Lagerhaus spricht auch, dass das Gebäude – wie der Name sagt – an der alten Poststraße liegt. Sie war wohl einst Teil oder lag in der Nähe der Handelsstraße von Brüssel nach Prag, der Via Publica, die auch durch Kitzingen führte. Gattenlöhner vergleicht die einstige Bedeutung des mittelalterlichen Hauses mit einem an der Autobahn gelegenen Logistikzentrum.
Marcus Götz war nicht nur für die Voruntersuchung zuständig, sondern auch für die Planung dessen, was für die Erhaltung des Gebäudes und für seine neue Nutzung verändert werden kann und muss. Er erzählt die Geschichte des Hauses anhand der einzelnen Bauphasen. „In Zusammenarbeit mit dem Restaurator lesen wir ab, wie sich das Bauwerk entwickelt hat.“ Ziel der Voruntersuchung ist jedoch nicht die Rekonstruktion. Im Fokus stehen die Baumängel. Was muss behoben, entfernt, was kann gehalten werden.
Motto des Architekten: „Die alte Bohlenwand wird neu interpretiert“
„Die alten Bohlen bleiben in dem künftigen Besprechungszimmer sichtbar“, sagt Architekt Zeltner. Lediglich die „Störenfriede“ werden noch entfernt, also die Halterungen an der Decke, an der die falschen Holzplatten befestigt waren. Außerdem wird die Oberfläche gereinigt, der Schmutz in den Ritzen entfernt und ein Firnis als Schutz aufgetragen, damit bei künftigen Konferenzen nichts auf den Tisch rieselt. Die drei anderen Wände der „guten Stube“ erhalten eine Holzverkleidung. Das Motto lautet dabei: „Die alte Bohlenwand neu interpretiert“, so Zeltner.
Die berüchtigten Nut-und-Feder-Bretter kommen ihm also nicht ins Haus, sondern große helle Leimholzplatten, die ohne Zwischenräume stumpf aneinander gefügt werden. Zeltner würde es freuen, wenn künftige Gäste des Raumes neugierig werden, sich das Ensemble aus alt und neu anschauen und merken, dass die Kreation nicht zufällig, sondern genau so gewollt ist.
Auch das Dach stammt größtenteils noch aus dem Mittelalter
Nicht nur die Bohlenstube lässt das Herz des Tragwerksplaners höher schlagen. Ein weiteres „Highlight“ ist – und das nicht nur für ihn – der Dachboden beziehungsweise das doppelte Kehlbalkendach. Es stammt ebenfalls noch in großen Teilen aus der Erbauungszeit im Spätmittelalter, ist aber am Tag des offenen Denkmals für Besucher nicht geöffnet. Künftig ermöglichen zwei Sichtfenster in der Decke des Vorraums Einblicke.
Vielleicht schaut Marcus Götz am Tag des offenen Denkmals vorbei. Normalerweise verlässt der Tragwerksplaner nach der Voruntersuchung und wenn der Rohbau steht die Baustelle. „Ich sehe meine Objekte fast nie, wenn sie fertig sind.“
Seit 25 Jahren gibt es den Tag des offenen Denkmals
7500 historische Baudenkmäler, Parks und archäologische Stätten öffnen bundesweit unter dem Motto „Entdecken, was uns verbindet“ am Sonntag, 9. September, ihre Türen. Darunter befinden sich auch viele Privathäuser. Daran sei der Stolz und die Freude über ein Leben im und mit einem Denkmal erkennbar, sagt der Würzburger Bauingenieur Marcus Götz, der auf Denkmalschutz spezialisiert ist. Innerhalb von 25 Jahren habe sich der Tag des offenen Denkmals zur größten Kulturveranstaltung Deutschlands entwickelt, teilte die Deutsche Stiftung Denkmalschutz (DSD) in Bonn mit. Sie koordiniert den Tag seit 1993 bundesweit. Die zentrale Eröffnung findet heuer um 11 Uhr auf dem Alten Markt in Köln statt. Das Motto nimmt Bezug auf das Thema des Europäischen Kulturerbejahres 2018 „Sharing Heritage“ – „Erbe teilen“. Der Tag soll laut DSD den Blick für die europäischen Einflüsse in Architektur, Handwerk und Landschaftsbau weiten. Thematisiert würden etwa Fragen nach der Herkunft von Handwerkern und Handwerkstechniken, Baumaterialien oder Stilelementen. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz gibt es bereits seit 1985. Damals rief Professor Gottfried Kiesow mit einer Gruppe von Vertretern deutscher Unternehmer auf Schloss Gracht bei Köln die Bürgerinitiative ins Leben. Der Denkmalschützer ist 2011 gestorben. Heute ist Steffen Skudelny der Vorstand der Stiftung. Das bundesweite Programm ist im Internet einsehbar unter www.tag-des-offenen-denkmals.de. Wer in Bayern unterwegs ist, findet die Objekte unter www.tag-des-offenen-denkmals.de/laender/by/ cj