Druckartikel: Gästeführer ermöglichen neuen Blick auf Kitzingen

Gästeführer ermöglichen neuen Blick auf Kitzingen


Autor: Sabine Memmel

Kitzingen, Sonntag, 07. April 2013

Marlene Hofmann und Lotte Kern lassen die Stadtgeschichte Kitzingens regelmäßig aufleben - und wissen so einiges, was selbst so manchem Kitzinger zuvor noch unter Verschluss geblieben ist. Die beiden sind als Gästeführer in der Stadt unterwegs.
Marlene Hofmann kennt sich aus in Kitzingen.  Foto: Sabine Herteux


Wer mit ihnen beiden durch die Kitzinger Altstadt läuft, sollte sich vor allem eins mitnehmen: Zeit. Einfach nur schnell durchhetzen, die wichtigsten Attraktionen abklappern - nichts für sie. Fast zu jedem Winkel in so gut wie jeder Straße fällt ihnen etwas ein, eine Anekdote, eine Besonderheit. Immer wieder bleiben sie stehen, mustern eine Häuserfassade, überbieten sich gegenseitig mit Geschichten aus einer längst vergangenen Zeit.

Sie können einfach nicht anders. Denn Lotte Kern und Marlene Hofmann laufen nicht einfach so durch Kitzingen, schlendern nicht einfach so durch die Innenstadt. Stattdessen sehen die Gästeführerinnen fast überall ein Stückchen Stadtgeschichte, lassen es lebendig werden und andere daran teilhaben. Hofmann (62 Jahre) seit 2001, Kern (76) bereits seit mehr als 25 Jahren.



Nur kleine Eselsbrücken

"Haben Sie schon mal von der cloaca publica gehört? Sie hing in der Mitte der alten Mainbrücke, dort konnten die Kitzinger ihre Hinterlassenschaften reinkippen", erzählt Hofmann wie aus dem Nichts. Es ist ihr spontan eingefallen. Wie so vieles, dass sie über Kitzingen weiß. "Und gleich daneben hing der Naschkorb", ergänzt Kern aus dem Effeff. Eine Art Weidenkorb, in dem betrügerische Bürger mit einer Kette in den Main hinuntergelassen wurden. "Das waren zum Beispiel Bäcker, die zu kleine Brötchen gebacken haben oder Obst- und Gemüsediebe", sagt Kern und blättert dabei in ihren Unterlagen

. Die haben beide seit Anfang an bei sich, haben darin alles mögliche zu Kitzingen gesammelt, Hofmann in einem kleinen Büchlein, Kern in einem großen Ordner. Über Jahre haben sie ihr Wissen erweitert, haben jedes noch so kleine neue Detail aufgesaugt, aus Büchern und Vorträgen. Während ihrer Führungen durch die Stadt brauchen sie die Aufzeichnungen aber so gut wie nie. Sämtliche Daten, historische Ereignisse und Sehenswürdigkeiten haben sie immer abrufbar, können sie im Schlaf, sind fest verankert in ihrem Gedächtnis. "Eselsbrücken legt man sich manchmal natürlich trotzdem zurecht", verrät Hofmann.

Eine Schulung unter dem damaligen Stadtheimatpfleger Siegfried Schindler und der ehemaligen Museumsleiterin Helga Walter hat Hofmann und Kern für den Job fit gemacht. An sechs Abenden büffelten sie die komplette Stadtgeschichte - ab dem Jahr 745 mit der Klostergründung durch Hageloga. "Mein Mann hat mich immer und immer wieder abgefragt, bis ich alles konnte", sagt Kern. An ihre erste Führung kann sie sich noch genau erinnern: "Ich war sehr aufgeregt und hatte schon etwas Angst. Man weiß ja nie, mit welchen Leuten man es zu tun hat."

33 Gästeführer gibt es derzeit insgesamt in Kitzingen, 22 deutsche und elf englische. Vermittelt werden sie von der Tourist-Information. "Wir gucken immer, dass die Gruppe und der Gästeführer zusammenpassen", sagt Julia Then. Und der muss ihr zufolge auf jeden Fall eins haben: "Er muss gut mit Menschen können. Da ist es auch egal, ob er mal eine Jahreszahl vergisst."

Vor allem während der Landesgartenschau 2011 wurden viele neue Gästeführer ausgebildet - an drei Abenden mit einer anschließenden schriftlichen und mündlichen Prüfung. An die Hand bekamen sie ein 18-seitiges Skript - erarbeitet von Doris Badel, der Leiterin des Stadtarchivs. Die gebuchten Gästeführungen verteilen sich seit der Landesgartenschau auf mehrere Gästeführer. Dadurch kommen auch Kern und Hofmann nicht mehr so oft dran. Inzwischen sind es noch ein bis zwei Rundgänge pro Monat. "Es sind weniger geworden, das ist schade, für das, was man gelernt und investiert hat."

Früher waren die Frauen noch mit Gruppen von bis zu 50 Mann unterwegs. Heute werden Gäste in kleinere Runden aufgeteilt. "Es ist einfach schön, wenn sich ein Dialog entwickelt", findet Hofmann. Die gebürtigen Kitzingerinnen hat die Stadtgeschichte schon immer gereizt, schon immer fasziniert. "Ich habe schon als Kind Postkarten von Kitzingen gesammelt", erinnert sich Hofmann. Beide wollten außerdem "im Kopf fit bleiben", suchten eine Aufgabe. Hofmann arbeitete zuvor als Zahnarzthelferin, Kern als Textilkauffrau. "Wir kommen mit Gästen aus allen Regionen zusammen, das ist schön", findet Kern und hält kurz inne.

"Versoffene Kitzinger"

Aber nicht allzu lange. Denn dann geht es schon wieder schnurstracks weiter durch die Kitzinger Altstadt. "Dass der Grundriss der Kreuzkapelle von Balthasar Neumann auf dem 50-DM-Schein war, das weiß so ziemlich jeder Kitzinger", glaubt Hofmann. "Und es weiß auch jeder, dass die Kitzinger damals versoffen waren", ergänzt Kern aufs Neue. Dass aber das erste deutsche Weingesetz 1482 in Kitzingen erlassen wurde - das ist den beiden Frauen zufolge nicht jedermann bekannt. " Wer sich nicht daran hielt, dem hat man die Böden aus den Fässern ausgeschlagen", erzählen die Gästeführerinnen und laufen schon wieder weiter. Die nächste Geschichte wartet schon. Gleich ums nächste Eck.

Angebot Von 6. April bis 27. Oktober bietet die Touristinformation Stadtführungen für Einzelreisende. Jeden Samstag und Sonntag um 11 Uhr führt ein Gästeführer eine Stunde durch die wichtigsten Sehenswürdigkeiten Kitzingens. Treffpunkt ist an der Touristinformation. Der Preis liegt bei 2,50 Euro, für Kinder und Schüler bei 1 Euro. Größere Gruppen können sich anmelden unter Tel. 09321/ 920019.