Die Freien Wähler im Wahlkreis Kitzingen-Schweinfurt haben einen Direktkandidaten für die Bundestagswahl im Herbst nominiert. Jochen Keßler-Rosa überzeugte die Delegierten bei der Versammlung in Gerolzhofen mit einer engagierten Sozialpolitik.
"Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin". Viel hätte nicht mehr gefehlt und die Delegierten der Freien Wähler hätten den Schlachtruf angestimmt, den man sonst nur aus Fußballstadien hört, wenn es um das Finale des DFB-Pokals geht. Freilich: Von einem Finaleinzug sind die Freien Wähler noch weit entfernt. Die Freude darüber, einen Kandidaten aus dem Wahlkreis Kitzingen-Schweinfurt in den Bundestagswahlkampf zu entsenden, war allerdings spürbar.
Richtig spannend war die Entscheidung jedoch nicht mehr. Jochen Keßler-Rosa war der einzige Kandidat. Fraglich war lediglich, mit welcher Rückendeckung ihn die Delegierten auf die Reise schicken würden, nachdem im Vorfeld des Nominierungsabends hie und da zaghafte Kritik - nicht am Kandidaten, wohl aber am "Projekt Berlin" - laut geworden war.
Um es kurz zu machen: Es war ein glasklares Votum. Jochen Keßler-Rosa wurde einstimmig gewählt.
Einzig die recht spärlich besetzte Wählerschaft schmälerte den Erfolg ein wenig. Nur 21 Stimmberechtigte hatten sich in der Gerolzhofener Stadthalle eingefunden. Es hätten gut und gerne mehr sein können. Die gekommen waren, erlebten einen Kandidaten, der mit Sozialpolitik punkten wollte und dem dies überzeugend gelang.
Macht-Frage mal anders Es war eine ehrliche Vorstellung, mit der Jochen Keßler-Rosa um die Stimmen seiner Parteikollegen warb. Schnell wurde deutlich, dass es auf dem Feld der Sozialpolitik durchaus ein Vorteil ist, Theologie studiert zu haben und evangelischer Pastor zu sein. Für was also steht der 57-Jährige und was bewegt den zweifachen Familienvater, sich ins Rennen um die Bundespolitik zu werfen? "Generell ist Politik lebenswichtig für die Demokratie und das Zusammenleben in unserem Land", führt er als erstes Argument auf.
Viel wichtiger sei ihm aber die Macht-Frage: "Die Frage "Wer macht was?" wird immer wieder gestellt. Ich bin jemand, der etwas machen will".
Wissen, wie das Leben geht Er wolle mitreden, wenn es um Entscheidungen über Krieg und Frieden gehe. In Fragen der Außenpolitik und der Rüstung habe der für die Politik beurlaubte Pfarrer die Brille der Friedensbewegung auf. "Mich bewegt aber auch die Frage, wie wir verantwortungsvoll mit Gottes Schöpfung umgehen sollten". Er bezog klar Position gegen Atomkraft und Gentechnik und ließ auch durchblicken, dass er ethische Fragen im Gesundheitssystem für wichtig halte. Er sei außerdem entsetzt darüber, wie in Deutschland über die demografische Entwicklung diskutiert werde. "Es wird unendlich viel geredet und nur sehr wenig getan", kritisiert der Pfarrer, der seit 2001 Vorstand des Diakonischen Werks Schweinfurt ist.
Hier habe er auch gelernt, ordentlich zu wirtschaften. "Den Vorwurf, der so gern gegenüber Sozialpolitikern wie mich erhoben wird, wir würden stets mehr ausgeben als wir einnehmen, lasse ich nicht gelten", betont Keßler-Rosa. "Wir wissen, wie das Leben geht".
Es sind vor allem die kommunalpolitischen Argumente der Freien Wähler, die Keßler-Rosa in den Ring wirft. Über Bundespolitik, über mögliche Koalitionen der Freien Wähler, über Hubert Aiwanger und die Kritiker am Berlin-Kurs aus den eigenen Reihen verliert der Kandidat kein Wort. Auch bei den Delegierten ist das kein Thema.
So schlug auch Landrätin Tamara Bischof in ihrem Grußwort lokalpolitische Themen an. Mit Nachdruck rief sie dazu auf, die geplante Massenentlassung beim Kitzinger Autozulieferer Fehrer nicht kampflos hinzunehmen.
Sie ging ferner auf die üppige finanzielle Unterstützung der Meisterausbildung seitens der kommunalen Hand ein und landete schließlich bei den Sozialausgaben. Mit voller Überzeugung wolle sie Jochen Keßler-Rosa unterstützen. "Er ist ein absolut glaubwürdiger und kompetenter Sozialpolitiker", betonte sie, "und der richtige Mann dafür, die Argumente der Freien Wähler auf Bundesebene zur Geltung zu bringen". Anders als der Kandidat selbst, der seine Chancen als "gar nicht so schlecht" bezeichnete, wollte Bischof keine Spekulationen über einen möglichen Wahlerfolg abgeben. "Ich bin aber sehr gespannt". Und das darf man jetzt in der Tat sein.