"F" wie Fehrer-Familie - die Zeiten sind vorbei!
Autor: Sabine Paulus
Kitzingen, Mittwoch, 10. April 2013
Das bislang kollegiale Arbeitsklima bei Fehrer in Kitzingen hat sich nach der Ankündigung des brutalen Stellenabbaus abgekühlt. Vier Mitarbeiter erzählen, wie sie sich derzeit fühlen und warum sie maßlos enttäuscht sind.
Sie hatten kein schönes Osterfest, Gerhard Denesch und seine Kolleginnen Anni Bockreis, Karin Jaekel und Silke Maier. Seit dem 26. März sind über zwei Wochen vergangen. Jener Dienstag war der Tag der Hiobsbotschaft: Die Produktion der Firma F. S. Fehrer Automotive GmbH in Kitzingen soll geschlossen werden. 500 Arbeitnehmer sollen entlassen werden.
Inzwischen fühlt sich der Schlag, den sie an jenem Dienstag bekommen haben, nicht mehr so frisch an, dafür bohrt der Schmerz in der Wunde umso mehr. Auf keinen Fall wollen sie ihre Arbeitsplätze bei Fehrer verlieren. Sie sind darauf angewiesen, weil sie Familien zu ernähren haben, weil sie ihr Haus abbezahlen, ihren Umzug finanzieren müssen und weil ihre Kinder Geld für die Ausbildung brauchen.
Zwar fühlen sie sich ein bisschen wie Marionetten, mit denen ein übles Spiel gespielt wird, dennoch wollen sie sich nicht kampflos ergeben. Seit Jahrzehnten stehen sie am Heißschaum- oder Kaltschaum-Band und bestreiten gemeinsam ihre Schichten. Manchmal unternahmen sie gemeinsam etwas nach Feierabend, weil sie sich ein bisschen wie eine Familie fühlten. Doch die Fehrer-Familie gibt es nicht mehr. Aus dem miteinander Arbeiten ist ein angstvolles Nebeneinander geworden. So richtig gut ging es den Mitarbeitern schon seit einiger Zeit nicht mehr, seit das Schreckgespenst der Schließung und Verlagerung ganzer Abteilungen umging. So genau wusste aber niemand, wie die Sanierung ablaufen sollte.
Jetzt ist es klar und es ist katastrophal. "Ich kann nicht mehr schlafen. Ich denke an nichts mehr anderes als daran, in einem Dreivierteljahr entlassen zu werden", sagt Karin Jaekel, die seit 1984, also seit 29 Jahren, bei Fehrer ist. Seit ihrem ersten Arbeitstag im Werk vor 23 Jahren ist die 62-jährige Anni Bockreis zusammen mit Karin Jaekel am Heißschaum-Band. Sechs Tage hintereinander sind die beiden im Schichtbetrieb im Werk.
Sie haben mitgeholfen, die anderen Fehrer-Werke in den USA aufzubauen, waren immer zur Stelle, wenn sie gebraucht wurden, machten freiwillig Überstunden, weil sie einen Sinn darin sahen, sich für das große Ganze abzurackern. "Aber jetzt ist der Punkt erreicht, an dem wir nicht mehr können und nicht mehr wollen", sagt Karin Jaekel.
"Warum müssen wir das ausbaden?"
Dass die Produktion in Kitzingen dicht gemacht werden soll, damit haben sie alle nicht gerechnet. Deswegen saß auch der Schock so tief. "Wir haben immer schwarze Zahlen geschrieben", sagt Bockreis. Aufträge seien da, viele Aufträge. Die Werke in Ungarn und in China hätten ein Minus gemacht, Kitzingen doch nicht! "Warum müssen wir das ausbaden?", stellt Jaekel eine der Kernfragen, über die sich die Belegschaft im Moment das Hirn zermartert.
Gerhard Denesch steckt voller Wut. Der stellvertretende Anlagenführer Kaltschaum hat in den 17 Jahren, die er bei Fehrer beschäftigt ist, an kaum einem Tag gefehlt. Er muss die Herstellung von 180 verschiedenen Teilen im Kopf haben, für die Autoproduzenten Porsche, Audi, Maybach ist nur das Beste gut genug. Denesch war bereit, viel Verantwortung zu übernehmen.
"17 Jahre - das waren schöne und schwierige Zeiten, Höhen und Tiefen, aber wir haben auch die Wirtschaftskrise 2009 überstanden", erzählt der 43-Jährige. Überstunden, Lohnkürzung, Sparpakete, Kurzarbeit - all die arbeitspolitischen Mittel hätten sie schon durchgemacht, damit es ihrem Arbeitgeber gut geht. Und jetzt? "Wir sind nur eine Nummer. Wir werden einfach weggeworfen", sagt Gerhard Denesch und seine Kolleginnen nicken stumm. Ihre Augen wirken rötlich und verwässert.
Was für ein Horror! Silke Maier hat Existenzangst. Seit 14 Jahren ist sie bei Fehrer in Kitzingen, mittlerweile als Gruppensprecherin. Dabei steht sie selbst noch am Band. "So wichtige Mitarbeiter lassen die nun gehen", wundern sich die Kollegen verzweifelt.
"Alternativlos" sei es, sich vom Werk Kitzingen zu trennen, habe Tom Graf, einer der Geschäftsführer, in der Betriebsversammlung gesagt. Alternativlos: Sie hassen dieses neudeutsche Wort. "Es gibt immer Alternativen, aber die sind nicht geprüft worden", sagt Karin Jaekel. Und das machen sie alle der Geschäftsführung zum Vorwurf. Lieber würden die Anlagen "für ein Schweinegeld" nach Wackersdorf oder Braunschweig verlegt. Wie solle denn dadurch das Unternehmen saniert werden?
Die Fehrerianer wollen nicht locker lassen, auch wenn sie schon ein bestimmtes Szenario im Kopf haben. Am 31. Januar 2014 läuft der Ergänzungstarifvertrag aus, den die IG Metall mit der Fehrer-Spitze ausgehandelt hat. Im Februar 2014 könnten dann die Kündigungsschreiben in den Briefkästen liegen.
Chancen auf neue Stellen in Kitzingen stehen schlecht
Anni Bockreis fragt sich, wo sie und andere Kollegen über 50 Jahre eine neue Arbeitsstelle finden sollen. Die Chancen auf eine neue Stelle in Kitzingen stehen schlecht. Wenn auf einen Schlag 500 Menschen plötzlich einen Arbeitsplatz suchen, ist das Chaos programmiert.
"Was sollen unsere Familien machen? Was sollen die Paare machen, die bei Fehrer beschäftigt sind und dann vor dem Aus stehen?" Auf Gerhard Deneschs Frage kann im Moment keiner eine Antwort geben.
Es ist noch nicht lange her, dass ihnen allen der Schreck in die Glieder gefahren ist, ihre Gesichter sind davon gezeichnet. Die Kollegen spüren, dass sich das Klima im Werk verändert hat. Bis zum 26. März sei es gut gewesen. "Jetzt kehrt jeder nur noch vor seiner Haustür", erzählt Silke Maier. Niemand sei mehr motiviert. Manche Männer und Frauen seien krank geschrieben. Frust und Hilflosigkeit machten sich breit.
Dennoch steckt in ihnen allen noch ein kleiner Funken Zuversicht. Und sie lassen sich anstecken vom Kampfgeist ihrer Kinder, die für Samstag eine Protestveranstaltung (Start um 11.30 Uhr auf dem Bleichwasen) organisiert haben. "Die Hoffnung stirbt zuletzt", sagt Karin Jaekel.