Es hätte Tote geben können
Autor: Franz Barthel
Würzburg, Freitag, 19. Juli 2013
Jugendliche bekämpfen ihre Langeweile auf kriminelle Art: Sie schmeißen Kürbisse, Mülltonnen und schwere Betonbrocken von Brücken.
Ein Super-Gau für Autofahrer beschäftigt seit Freitag die Jugendkammer des Landgerichts: In einer unübersichtlichen Rechtskurve, noch dazu bei Dunkelheit und leichtem Nebel, wird von einer Böschung ein sieben Kilo schwerer Betonbrocken auf die Fahrbahn geworfen. Die Distanz reicht nicht mehr zum Ausweichen. Absender: Eine Clique von jungen Leuten, die von Langeweile geplagt werden.
Ein 19-jähriger Auszubildender will sich nichts dabei gedacht haben, vor allem nicht, dass dabei was Schlimmes passieren könnte. Er habe kein Auto kommen sehen und auch nichts gehört. Dagegen denkt Oberstaatsanwalt Boris Raufeisen bei dieser kriminellen Jux-Variante an versuchten Mord, gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und versuchte gefährliche Körperverletzung.
Tatort war die Bundesstraße 27 bei Retzbach, an einem Sonntag, Ende Oktober 2012 , kurz vor 7 Uhr.
Der 19-Jährige hat eine seltsam anmutende Begründung für den Wurf mit dem schweren Betonbrocken mit den Resten einer Stahlarmierung: "Ich wollte nicht als Feigling dastehen." Nachdem die Kumpels vorher Schottersteine von den Gleisen der Bahn nebenan geholt und damit nach vorbeifahrenden Autos geworfen hatten, fühlte er sich herausgefordert.
Er habe sich umgeschaut, zunächst eine Weinflasche gefunden und die auf der Straße zerdeppert. Oberstaatsanwalt Raufeisen: "Es ging offensichtlich darum, sich gegenseitig bei der Größe der Wurfgeschosse zu übertreffen".
Bei der Polizei hat der Auszubildende zunächst gesagt, er sei versehentlich mit dem Schuh gegen den sieben Kilo Betonbrocken gestoßen, der dann auf die Fahrbahn rollte. Später gab er zu, dass er den Stein, mit den Händen und Schwung, dorthin befördert hat.
Den Unfall habe der 19-Jährige Auszubildende gewollt, so die Anklage. Und er habe billigend in Kauf genommen, dass jemand den nicht überlebt. Und das nicht nur in einem Fall.
Von Karlstadt kommend soll eine Autofahrerin das Hindernis ebenfalls zu spät erkannt haben. Sie konnte bis zu ihrer Arbeitsstelle in der Nähe weiter fahren. Wieder versichert der 19-Jährige, dass er nicht wollte, dass jemand verletzt wird.
Spätestens jetzt wird es der Vorsitzenden Richterin Helga Müller zu viel. Sie fragt den Angeklagten, ob er denn an dem Sonntagmorgen davon ausging, dass auf der Bundesstraße 27 nur ferngesteuerte Autos, ohne Fahrer und ohne Insassen unterwegs waren.
Von einem Parkplatz aus haben die jungen Leute noch zugeschaut, wie der Autofahrer ausstieg, sich seinen Schaden am Fahrzeug ansah und den fotografierte, dann etwa 100 Meter zurücklief bis zu der Stelle, wo der Betonbrocken lag. Sie warteten auch noch das Eintreffen der Polizei ab, erst dann wurde es langweilig für sie und sie traten die Heimfahrt an: Nach einer Nacht, die man weitgehend in der Diskothek und bei einer Geburtstagsfete verbracht hatte.
Vor dem Betonbrocken-Fall bei Retzbach soll der 19-Jährige an jenem Sonntagmorgen mit einem mitangeklagten Jugendlichen (18) von der Rothofbrücke am Stadtrand von Würzburg einen Handball großen Kürbis auf die B 27 geworfen, dabei ein Fahrzeug getroffen und den Seitenspiegel abrasiert haben.
Vor Gericht will sich der 19- Jährige daran überhaupt nicht erinnern können, - obwohl er nüchtern gewesen sei. Sein Kumpel dagegen schildert den Kürbis-Wurf in Einzelheiten. Sein Freund habe einen der Kürbisse, die im Fahrzeuginneren herum lagen, während der Fahrt aufgehoben, das Fenster der Fahrertür geöffnet und ihn, den Beifahrer gebeten, mal kurz das Lenkrad zu übernehmen. Im Weiterfahren habe der Mann am Steuer dann den Kürbis raus- und runtergeworfen.
Die Clique hörte mit Hilfe eines Scanners den Polizeifunk ab. Anfangs wählten die Jugendlichen nur die Notrufnummer, schilderten der Polizei-Einsatzzentrale einen Crash und hörten dann über Funk, was bei Polizei und Rettungsdiensten abläuft. Aus sicherer Entfernung beobachteten die jungen Männer dann das Geschehen an den erfundenen Unfallstellen.
Später kamen sie auf die Idee, angeregt durch unbewachte Kürbis-Verkaufsstellen am Straßenrand, sich dort mit Wurfgeschossen unterschiedlicher Größe einzudecken und die dann von Brücken auf die Fahrbahn zu werfen. Später kam Müll dazu, Blumentöpfe und sogar eine Mülltonne.
Darüber hinaus haben die jungen Leute, aber darum geht es in dieser Prozessrunde nicht, Reifen platt gestochen, Seitenspiegel abgetreten, Blumen aus Töpfen gerissen und Sprit gestohlen.
Die Anklage wegen versuchtem Mord habe ihn erschüttert, sagte der Auszubildende, der seit Oktober in Untersuchungshaft sitzt. Er habe weder einen Menschen töten noch verletzten wollen, er sei noch nie an einer Schlägerei beteiligt gewesen. Nach dem Anschlag bei Retzbach sei er an der Unfallstelle vorbei gefahren und habe sich beim Fahrer erkundigt, ob alles in Ordnung sei und ob es ihm gut gehe.
Stimmt überhaupt nicht, sagen die Kumpels, das sei anfangs nur so abgesprochen worden. Und auch der betroffene Fahrer kann sich nicht daran erinnern.
Die Verhandlung wird am 29. Juli fortgesetzt.