Eine Zerreißprobe für Italien
Autor: Diana Fuchs
Kitzingen, Dienstag, 26. Februar 2013
Viele "Kitzinger Italiener" sind unglücklich über den Ausgang der italienischen Parlamentswahl. Noemi Martiradonna hofft und bangt mit ihren Verwandten in der Heimat - und sie fragt: Wer hat Berlusconi gewählt?
Das sind italienische Augen: Sie glühen vor Leidenschaft. Wenn Noemi Martiradonna redet, tut sie das nicht nur mit den Lippen, sondern auch mit den Händen - und eben den braunen Strahleaugen. Gestern färbten diese sich vor Zorn und Trauer aber richtig dunkel: "Italien - das ist zurzeit der schlechteste Witz der Welt!"
Die 25-Jährige schüttelt lebhaft den Kopf, wenn sie die Ergebnisse der Wahl betrachtet. "Warum haben so viele Leute wieder Berlusconi gewählt? Wir bräuchten doch so dringend frischen Wind in Italien!"
Noemi kommt aus Apulien in Süditalien, lebt aber seit drei Jahren in Deutschland. Hier hat sie gut Deutsch gelernt und ist - nach Aufenthalten in München und Bremen - nun nach Kitzingen gezogen, wo sie seit gut einem Monat in der Cortina-Eisdiele beschäftigt ist. "Kitzingen ist klein, aber fein! Ich mag das schöne Städtchen", schwärmt die junge Frau von ihrer neuen Heimat.
Unterstützung aus Deutschland
Und das ist nicht alles, was Noemi hierzulande schätzt. "Hier in Deutschland funktioniert alles: die Gesetze, die öffentliche Ordnung... Und für die Steuern, die man zahlt, bekommt man viel zurück." Anders sei das in Italien: Ihre Familie, die noch immer in Bari lebe, müsse mit knapp 800 Euro im Monat auskommen; ohne Noemis Unterstützung aus Deutschland wäre das nur schwer vorstellbar. "Ich bin für mich und für meine Familie aus Italien weggegangen", erklärt die junge Frau. "Aber ich vermisse meine Leute sehr."
Noemi findet es unglaublich, dass der frühere, skandalträchtige Premier Berlusconi, "der nicht für die Menschen, sondern für sich gewirtschaftet hat", wieder so viele Stimmen bekommen hat, dass sein konservatives Lager zweitstärkste Kraft werden konnte. Gestern ging Berlusconi - als erster Spitzenkandidat - bereits auf die Suche nach einem Koalitionspartner: Er sei interessiert an einer Zusammenarbeit mit dem Mitte-Links-Bündnis von Pier Luigi Bersani, betonte Berlusconi. Bersani hat zwar im Abgeordnetenhaus die Mehrheit; im Senat, der zweiten Parlamentskammer, halten sich seine Kräfte aber etwa die Waage mit denen des Mitte-Rechts-Bündnisses von Berlusconi.
Es werde schwer, eine stabile und vor allem produktive Regierung zu bilden, meint Noemi Martiradonna - und hofft, dass Menschen wie Berlusconi "zumindest die Hälfte von dem halten, was sie vor der Wahl versprochen haben". Sie selbst hat die Prostestbewegung "Fünf Sterne" des Komikers Beppe Grillo unterstützt, die in beiden Kammern rund ein Viertel der Stimmen bekam - ein sensationeller Erfolg. Noemi hofft, "dass etwas Neues entsteht, etwas, dass die Italiener aufweckt und mitreißt".
"Nicht nur jammern"
Denn die Lethargie vieler Landsleute sei unglaublich - und unerträglich. "Man kann doch nicht immer mit der Schulter zucken und sagen, man sei machtlos! 50 oder 60 Millionen Italiener sind sehr wohl eine Macht. Sie müssten nur aktiv werden, statt nur zu jammern und glatt wieder Berlusconi zu wählen, einfach, weil sie den Namen halt schon lange kennen."
Es sei eine "sehr schlechte Eigenschaft" vieler Italiener, nur zu träumen, aber nichts dafür zu tun, dass aus dem Traum Realität wird. "Ich denke, junge Leute wissen vielleicht noch eher, dass Berlusconi lieber in die eigene Tasche wirtschaftet als für sein Volk. Aber viele ältere wählen ihn trotzdem." Das rühre nicht zuletzt daher, dass Berlusconi die öffentlichen Medien in Italien beherrscht wie kein anderer - viele Sender gehören dem Unternehmer selbst.
Noemi bleibt Optimistin. "Wir Italiener machen grundsätzlich das Beste aus jeder Situation. Ich hoffe vor allem, dass es gelingt, Arbeitsplätze zu schaffen. Denn dann gibt es eine Zukunft!" Vor allem für ihre 23-jährige Schwester, die bald ihr Studium abschließt, wünscht sich Noemi das sehr.
Den Optimismus nicht verlieren - das möchte auch Doris Morandin vom "Casa Konrad" am Kitzinger Marktplatz. Allerdings ist auch sie alles andere als begeistert vom Ausgang der Wahl. Über den Erfolg des früheren Regierungschefs kann sie nur den Kopf schütteln. Sie selbst und ihre Familie hätten per Briefwahl mitgewählt -"und zwar ganz sicher nicht Berlusconi".
Auch im "Casa Italiana" und in den Pizzerien Kitzingens drehten sich gestern viele Gespräche um die schwierige Regierungsbildung in der Heimat - und um deren negative Folgen auf die Börse. Doch auch wenn die Italiener sonst so auskunftsfreudig und redegewandt sind: Zu dieser Thematik schwiegen sich vor allem die Männer aus. Einer sagte im Hinausgehen mit wegwerfender Handbewegung: "Ich bin so richtig enttäuscht von der Politik. Deshalb bin ich mit meiner Frau auch weggezogen."