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Ein sagenumwobener Turm und obskure Gerüchte


Autor: Timo Lechner

Marktbreit, Mittwoch, 02. November 2016

Es ist eines dieser Gebäude, an denen viele Autofahrer täglich vorbeirauschen. Aber was steckt eigentlich hinter dem kleinen Turm zwischen Marktbreit und Obernbreit?
Einst ein Gartenhäuschen, jetzt – nach einer wechselvollen Geschichte – im Besitz eines Diplomaten in den USA: Der kleine Turm an der Straße zwischen Marktbreit und Obernbreit.


Es ist eines dieser Gebäude in Marktbreit, an denen viele Autofahrer täglich mehr oder weniger vorbeirauschen, sich aber dennoch hin und wieder fragen, was es eigentlich damit auf sich hat:

Zum Beispiel mit dem kleinen Turm, der an der Straße zwischen Marktbreit und Obernbreit in Richtung B 19 unterhalb der Bahnlinie zu finden ist.

Hört man sich in Marktbreit um, werden die obskursten Gerüchte rund um den neogotischen Bau laut: Geheime Freimaurer-Riten, jüdische Geheimrituale, astrologische Experimente – all das soll sich hier einst abgespielt haben. Die Realität ist weitaus nüchterner, aber nicht weniger spannend.

Einst verlief hier nur ein Weg

Einst war hier noch keine viel befahrene Straße, sondern lediglich ein Weg. Und besagtes Türmchen gehörte zum gegenüberliegenden Haus, erklärt Stadtarchivarin Christiane Berneth. Es sei als Gartenhäuschen für eine große Freifläche rundum geplant gewesen. Bauunterlagen darüber existieren im Archiv allerdings nicht mehr. Dafür aber viele Assoziationen in den Köpfen der Marktbreiter, denen wir auf den Grund gingen.

In der Tat gehörten Haus und Turm Ende des 19. Jahrhunderts der damals noch lebendigen jüdischen Gemeinde in Marktbreit, weiß ein ehemaliger Eigentümer, der anonym bleiben möchte. Demnach war hier eine Handelsschule sowie ein Versammlungsraum eingerichtet. Der Turm sei 1868 gebaut worden. Die gotischen Verzierungen sind eher untypisch und deuten in Richtung eines jüdischen Bauwerks.

Orgien-ähnliche Rituale sicher verpönt

Die jüdische Gemeinde in Marktbreit war orthodox, also recht konservativ und sicher nicht empfänglich für Orgien-ähnliche Rituale, wie dies später behauptet wurde. Die Juden wurden zu Beginn der 1920er-Jahre allmählich aus Marktbreit und vor allem aus Haus und Turm vertrieben: Dr. Otto Hellmuth, Marktbreiter Zahnarzt und ab 1924 Stadtrat sowie ab 1928 Gauleiter der NSDAP in Unterfranken, dessen Regierungspräsident er 1934 wurde, residierte hier mit seiner Gefolgschaft und gab sogar ein völkisches Kampfblatt heraus.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erwarb die Deutsche Bahn das Gelände und den Turm dazu. Auch das Landesamt für Denkmalpflege hatte sich einst für den Turm interessiert, ihn als „Gartenhaus“ in die Liste mit aufgenommen und eine Forschungsgruppe der Universität Bamberg befasste sich damit. Herausgekommen ist jedoch nicht viel. Lange war der Turm großenteils verschüttet, im Inneren weist er typische Ornamentik seiner Zeit auf, einen Boden gibt es nicht, nur blankes Erdreich. Auch ansonsten schaut es karg aus: Es sind keinerlei Reste einer Ausstattung erhalten.

Diplomat mit mittelfränkischen Wurzeln

Die Spur zum heutigen Eigentümer führt in die USA. Dort lebt und arbeitet Otto G., Diplomat bei der Weltbank, der familiäre Wurzeln in Mittelfranken hat und nach einer „Anlaufstelle“ in Franken suchte. Bei einem Besuch entdeckte er zufällig ein Anwesen in Obernbreit, das der Auslandsbeamte seither renoviert – auch den Turm.

Seine Frau hatte spaßeshalber beim Vorbeifahren gesagt „den könnten wir doch auch noch kaufen.“ Gesagt, getan. „Ich betrachte dies als Wink des Schicksals, dass ich mich um den Turm kümmern soll“, sagt Otto G.

Ein Cafe im Turm?

Leider könne er das Gebäude noch nicht nutzen. Der vorige Eigentümer hatte schon mit einem Anbau begonnen, den Otto G. weiterführen möchte. Dann soll ein kleines Haus entstehen, das wohl knapp 80 Quadratmeter Wohnfläche haben soll.

„Ich denke daran, alles schön einzurichten und dann als Ferienwohnung zu vermieten. Meine Frau träumt sogar davon, im Garten ein Café aufzumachen. Das ist noch nicht ganz entschieden“, schreibt der Turmbesitzer aus Washington. Es bleibt spannend.